N
ein, zumindest an diesem Dienstag
kann man nicht behaupten, Ursula
von der Leyen kümmere sich zu
wenig um die Europaparlamentarier. Ge-
gen Mittag betritt die künftige Kommis -
sionschefin einen abseits gelegenen Sit-
zungssaal im Parlamentsbau, etwa ein
Dutzend EU-Abgeordnete sind dort ver-
sammelt. Sie haben sich zu einem Treffen
des Europäischen Pferdenetzwerks zusam-
mengefunden. »Es ist mir wichtig, mit
Ihnen allen in Kontakt zu treten«, sagt die
CDU-Politikerin.
Pferdeliebhaberin von der Leyen hat
allerdings auch eine Botschaft, die über
die Frage hinausreicht, wie Pferdebesitzer
künftig besser von EU-Agrarfördermitteln
profitieren können. »Das große Thema ist
unsere Europäische Union«, sagt sie. »Wir
müssen jetzt loslegen, wir müssen jetzt mit
der neuen Kommission starten.«
Der Appell an Einheit und Eile ist nötig,
und auch etwas mehr Nähe zu den Parla-
mentariern. In den vergangenen Wochen
hatten die EU-Abgeordneten gleich drei
der 26 Kommissarsanwärter zurückgewie-
sen, die von der Leyen vorgeschlagen hat-
te: die Kandidaten aus Ungarn und Rumä-
nien sowie Sylvie Goulard, die Frankreich
ins Rennen geschickt hatte.
Weil Franzosen und Rumänen noch kei-
ne neuen Bewerber nach Brüssel gemeldet
haben, musste die Abstimmung über die
neue Kommission am kommenden Mitt-
woch abgesagt werden. Von der Leyen
kann frühestens am 1. Dezember ihren
Job antreten, erste Kritiker sprechen von
einem Gesichtsverlust gleich zu Beginn.
Goulards Debakel verärgerte auch einen
der engsten Partner der Deutschen: Frank-
reichs Präsident Emmanuel Macron machte
die Kommissionschefin in spe in ungewöhn-
licher Schärfe persönlich für das Desaster
seiner Kandidatin verantwortlich. Von der
Leyen wiederum dürfte nicht nur klar ge-
worden sein, wie brüchig die in dieser Wo-
che offiziell gefeierte deutsch-französische
Freundschaft in Wahrheit ist, sondern auch,
wie schwierig die künftige Zusammen arbeit
mit dem Parlament werden wird.
Die Europäische Volkspartei (EVP) und
die Sozialdemokraten haben seit der Wahl
im Mai keine absolute Mehrheit mehr,
entsprechend schwerer ist die Suche nach
Stabilität. Von der Leyens erstes Prestige-
projekt, ein »Grüner Deal« für Europa,
wird die nächste Kraftprobe mit den Abge -
ordneten.
Umso wichtiger wäre es, die richtigen
Lehren aus der misslungenen Kandidatur
Goulards zu ziehen. Von der Leyen und
ihr Team wurden mehrfach gewarnt, dass
die Abstimmung scheitern könnte. Sie nah-
men die Warnungen offenbar lange Zeit
nicht ernst genug. Einen Grund dafür könn-
te auch Manfred Weber geliefert haben.
Der CSU-Politiker, der gern Kommis -
sionspräsident geworden wäre, aber am
Veto Macrons gescheitert war, ruft nach
der ersten Anhörung Goulards seine Frak-
tionsvizechefs und Koordinatoren zusam-
men. Den Raum, in dem sie sich treffen,
haben sie für die Zeit der Kandidatenkür
»War Room« getauft.
Goulard, so sind sich die EVP-Leute
schnell einig, habe bei ihrem Auftritt nicht
überzeugt. Sie habe keine Antwort auf die
Schlüsselfrage gehabt, warum ihre Schein-
beschäftigungsaffäre, derentwegen sie
2017 als französische Verteidigungsminis-
terin zurücktrat, für ihren Job als EU-Kom-
missarin plötzlich kein Problem mehr sei.
Später erkundigt sich von der Leyen bei
ihrem Unionskollegen, wie die Dinge ste-
hen. Manfred Weber sagt, Goulard habe
weiter eine »faire Chance«. Er leugnet die
Probleme nicht, aber er denkt sich womög-
lich auch: Warum sollte ausgerechnet er,
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Deutschland
Im »War Room«
EuropaDas Aus für die französische Kommissionskandidatin
zeigt, wie sehr Ursula von der Leyen die
Machtspiele im Europäischen Parlament unterschätzt hat.
ELIOT BLONDET-POOL / SIPA / ACTION PRESS
Europapolitiker Macron, von der Leyen im Élysée-Palast: Mit Engelsgeduld