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in Mittwochmorgen am Stadtrand
von Erfurt. Von Schlagloch zu
Schlagloch holpern zwei schwarze
Limousinen auf den Betriebshof einer klei-
nen Firma in Bisch leben. Keine Luftbal-
lons, keine Kapelle, keine Fernsehkamera,
nicht mal ein Fotograf ist da. Einige Leute
stehen zwischen Pfützen auf einer Beton-
fläche und warten.
Der Sicherheitsbeamte reißt die Tür
des 7er-BMW auf. Der Ministerpräsident
steigt aus und steht mit seinen braunen Le-
derschuhen im Wasser. Bodo Ramelow
trägt weißes Hemd, Weste und Sakko. Auf
dem Industriehof, zu Zeiten der DDR ein
Volkseigener Betrieb für Feuerungsanla-
gen, wirkt er wie aus seiner Welt gefallen.
Und nun? Verdruckster Small Talk vor
denkbar kleiner Kulisse? Keineswegs. Ra-
melow erklärt den Mitgliedern des Famili-
enunternehmens mit seiner markant tiefen
Stimme die Welt. Kennt das letzte Hoch-
wasser, das dieses Gebiet heimsuchte – mit
Wasserständen und Fließrichtungen. Er-
zählt vom sozialen Träger da vorn, bei dem
er neulich auch gewesen sei. Weiß, dass die
örtliche Gärtnerei ihre Hühner mit Nandus
gegen den Angriff von Habichten schützt.
Und wie der Gärtner mit Vornamen heißt.
Der Ministerpräsident ist in seinem Ele-
ment. »Der kann mit die Leut«, sagt einer
aus der Staatskanzlei. Zu Terminen wie in
Bischleben fährt Ramelow inzwischen
ohne Begleitpersonal. Der erste linke Mi-
nisterpräsident Deutschlands, gegen den
kurz vor Amtsantritt 2014 noch Tausende
Thüringer mit Fackeln und »Bodo raus«-
Rufen vor dem Erfurter Dom auf die Straße
gingen, verschreckt fast niemanden mehr.
62 Prozent der Menschen im Land sind
laut Infratest dimap mit ihm zufrieden. Das
ist ein ähnlich hoher Wert, wie ihn der Christ-
demokrat Michael Kretschmer in Sachsen
vor der Landtagswahl hatte. Würde der Thü-
ringer Ministerpräsident direkt gewählt, wür-
den sogar ein Drittel der CDU-Wähler für
den Linken stimmen. Wenige Tage vor der
Wahl sieht es so aus, als könnte seine Partei
erstmals die stärkste Kraft im lange von der
CDU dominierten Freistaat werden.
Und doch ist keineswegs sicher, dass Ra-
melow auch die nächste Regierung Thü-
ringens anführen wird. Während der Linke
als Landesvater alles überstrahlt, schwä-
cheln die Koalitionspartner SPD und Grü-
ne. Weil die CDU ein Bündnis mit AfD
und Linken ablehnt, ergibt sich aus den
Umfragewerten keine Mehrheit für ein wie
auch immer geartetes Regierungsbündnis.
Im Bischlebener Familienbetrieb schlurft
Ramelow durch die riesige Werkhalle. Vor-
bei am lärmenden Sandstrahler, an einem
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MICHAEL REICHEL / PICTURE ALLIANCE / DPA
Der Landesfürst
WahlenDer erste Ministerpräsident der Linken ist äußerst populär,
hält Distanz zur eigenen Partei und zieht Kritiker auf seine Seite.
Trotzdem wird es für Bodo Ramelow schwer, sein Amt zu verteidigen.
Mann mit Maske, der Farbe auf einen Fahr-
stuhlschacht sprüht. Inzwischen geht es um
einen stillgelegten Bahnanschluss, um die
Zufahrt, die für Tieflader nicht geeignet ist.
Und um Hochwasserschutz. Ramelow hört
zu, ein Vertreter des Stadtrats macht Noti-
zen. Nach zwei Stunden wird der Firmen-
chef sagen: »Bodo Ramelow ist der Erste
seit 30 Jahren, der sich jemals nach uns er-
kundigt hat.«
Vor allem Unternehmer waren kritisch,
als der Linke an die Macht kam. Die De-
monstranten vor dem Erfurter Dom hatte
die CDU-Mittelstandsvereinigung mobili-
siert. Dann nutzte der Ministerpräsident
die Möglichkeiten seines Amtes. Er be-
suchte Hunderte Firmen und holte sich,
wenn die Verwaltung nicht vorankam, die
örtlichen Probleme auf den Tisch der
Staatskanzlei. Ramelow wurde zum Küm-
merer, auch wenn es bloß um Hausboote
auf der Bleilochtalsperre ging. »Mit lan-
gem Atem«, wie er sagt. Die Kritik ver-
stummte. Als Ramelow im April mit einer
großen Wirtschaftsdelegation durch Viet-
nam tourte, ließen sich die traditionell eher
konservativen Unternehmer in der Entou-
rage kaum Kritik an ihm entlocken.
Dem gebürtigen Niedersachsen kommt
dabei seine Vergangenheit als Gewerk-
schaftssekretär zugute, er kennt sich mit
Wirtschaft aus. Und er hat sich in der Re-
gierungszentrale weitgehend von seiner
Partei abgenabelt. Er sei, sagte er schon
bei Amtsantritt, »nicht der Vertreter der
Linken in der Staatskanzlei«. Parteifreun-
de grummeln, sie hätten in der Koalition
am wenigsten durchgesetzt. Haben sie
recht? »Wir entwickeln Politik und verteilen
keinen Kuchen«, kontert Ramelow beim
Mittagessen im italienischen Restaurant ne-
Regierungschef Ramelow bei Kartoffelernte in Heichelheim