Der Spiegel - 19.10.2019

(John Hannent) #1

ben der barocken Staatskanzlei. Eine halbe
Stunde hat er, dann bekommt er die Me-
daille eines Heimatvereins verliehen. Was
sagt er zu seinen Parteifreunden in Berlin,
wo sie nach alter linker Manier Wohnungs-
eigentümer enteignen wollen? Ramelow
stochert in seinen Pommes. Darüber mag
er nicht mal reden, so etwas sei »überflüs-
sig«. Er wolle in Thüringen lieber Wohnun-
gen zurückkaufen und neue bauen, um die
Lage zu entspannen.
Der Mann kann sich liberale Positionen
leisten. Seine parteiinternen Kritiker wis-
sen, Ramelow ist der einzige Grund dafür,
dass sie überhaupt im Freistaat regieren.
Es geht inzwischen so weit, dass in ganz
Thüringen Ramelow-Plakate hängen, die
den Ministerpräsidenten groß zeigen.
Ohne Hinweis auf die Linke. Er ist die Par-
tei. Auch zu den Bundes-Linken hält er
Abstand, vom Regieren hätten die keine
Ahnung. »Es ist falsch, darauf zu bauen,
in der Opposition sein Profil zu schärfen«,
sagt Ramelow und empfiehlt seiner Partei
»mehr Realpolitik und Konsistenz«.
Die Bilanz von fünf Jahren Rot-Rot-
Grün macht es all jenen schwer, die das
Bündnis als ideologisches Projekt mit
schlimmen Folgen geißelten. Ramelow ver-
waltet das Land kaum weniger konserva-
tiv als seine Vorgänger von der Union. Un-
ter linker Führung hat der Freistaat mehr
als eine Milliarde Euro Schulden getilgt
und trotz üppiger Ausgaben keine neuen
Verbindlichkeiten produziert. Lehrer wur-


den eingestellt, die Polizei besser ausge-
rüstet. Trotzdem falle Unterricht aus, fehl-
ten Streifenbeamte auf der Straße, klagt
die oppositionelle CDU. Doch die hat es
schwer in solchen Diskussionen, hatte sie
doch 25 Jahre Zeit, die Dinge anzugehen.
Die Legislatur der deutschlandweit ers-
ten rot-rot-grünen Landesregierung ging
indes nicht ohne Blessuren ab. Der SPD-
Innenminister trat nach einer missglückten
Gebietsreform ab, die linke Bildungs -
ministerin war ihrem Amt nicht gewach-
sen. Und die Einstimmenmehrheit wurde
denkbar fragwürdig über die Zeit gerettet:
Als eine Abgeordnete der SPD zur CDU
überlief, stützte ausgerechnet der Ex-AfD-
Mann Oskar Helmerich das Regierungs-
bündnis. Helmerich hatte sich der SPD an-
geschlossen und nervte diese fortan mit
Thesen von Thilo Sarrazin. Aber die Mehr-
heit stand bis zum Schluss.
Mancher Kritiker wechselte mit den
Jahren die Seiten. Als Bundespräsident

hatte Joachim Gauck 2014 in der Berliner
Gethsemanekirche bezweifelt, dass man
einem Ministerpräsidenten der Linken
trauen könne. Ramelow hat das schwer
getroffen. Gerade auch weil die unver-
söhnlichen Worte in einer Kirche fielen.
Er habe, sagt er heute, im Anschluss in-
tensive und vernünftige Gespräche mit
Gauck geführt.
Jetzt, kurz vor der möglichen Wieder-
wahl, meldete sich Gauck erneut zu Wort
und riet der Thüringer CDU, nach dem
Urnengang Gespräche mit den Linken
zu führen. Den Regierungschef pries der
Altbundespräsident als einen, »der aus
der gewerkschaftlichen Tradition stammt
und der doch gezeigt hat, dass er mit ei-
nem linken Profil dieser Gesellschaft nicht
schadet«.
Auch der Wirtschaft nicht? Um dies zu
erkunden, lohnt eine Fahrt ins 80 Kilome-
ter entfernte Nordhausen. Dort, in der ers-
ten Etage eines Mercedes-Autohauses,
sitzt Helmut Peter. Im kleinen Thüringen
ist er eine große Nummer: 29 Betriebe in
drei Bundesländern, 800 Mitarbeiter. Be-
kannt ist der Unternehmer als »schwarzer
Peter«. Er ist zwar kein CDU-Mitglied,
aber gut bekannt mit dem einstigen Regie-
rungschef Dieter Althaus und dem CDU-
Spitzenkandidaten Mike Mohring. Peter
stellt schon mal Autos für den Wahlkampf
der Union, demnächst wird Friedrich
Merz in seinem Autohaus sprechen.
Von Ramelow, erinnert er sich, habe er
sich zunächst ferngehalten, er sei ihm re-
gelrecht aus dem Weg gegangen. Dann bil-
dete Peter in seinem Betrieb 15 Flüchtlinge
aus. Bundespolitiker kamen, eines Tages
auch Ramelow. Es war ein gutes Gespräch.
»Er erinnerte mich an Winfried Kretsch-
mann. Er ist ein Landesfürst, hängt nicht
an seiner Partei«, sagt Peter. Zum 60. Ge-
burtstag bekam der Unternehmer vom Re-
gierungschef ein Schwarzer-Peter-Spiel.
Peter schleppte im Gegenzug den chinesi-
schen Botschafter in die Staatskanzlei.
Man ist inzwischen per Du.
Ramelow könne zuhören und Dinge
umsetzen, findet Peter. Die meisten Ver-
treter der Thüringer Wirtschaft seien für
den Ministerpräsidenten.
Am Wahltag wird der »schwarze Peter«
im Urlaub sein. Wählt er trotzdem? Der
Blick schweift über das Firmengelände.
Mit seiner Frau habe er lange über den
Unterlagen für die Briefwahl gesessen.
Wen solle man nur ankreuzen? Vor Ort
ging seine Stimme an den CDU-Kandida-
ten. Die Zweitstimme hat der Unterneh-
mer zum ersten Mal ganz anders vergeben:
an die Linke. Steffen Winter
Mail: [email protected]

43

Deutschland

DER SPIEGEL Nr. 43 / 19. 10. 2019

Parteiinterne Kritiker
wissen, dass Ramelow
der Grund ist, warum
sie hier regieren.

Bildnachweise: Kai Bublitz

Agenten


und die


Macht im


Verbor genen


SPIEGEL-Gespräch im


Bucerius Kunst Forum


Geheimdienste haben ein schillerndes
Image. Was haben Bond und Co. mit der
Wirklichkeit zu tun? Welche Rolle spielen
die Dienste für das Selbstverständnis
eines Landes? Und wie entscheidend
waren geheim dienst liche Operationen
etwa im Zweiten Weltkrieg? Darüber
sprechen die SPIEGEL-Redakteure Uwe
Klußmann und Eva- Maria Schnurr mit
dem Militärhistoriker Sönke Neitzel von
der Univer sität Potsdam.

Montag, 28. Oktober 2019,
20 Uhr, Bucerius Kunst Forum,
Alter Wall 12, 20457 Hamburg

Sönke Neitzel

Tickets sind im Bucerius Kunst Forum und an
allen bekannten Vor ver kaufs stellen erhältlich.
Die Eintrittskarte (10 Euro/8 Euro zzgl. Gebühren)
berechtigt am Veranstaltungstag zum Besuch der
aktuellen Ausstellung. Ände rungen vorbehalten.

Bildnachweis: Kai Bublitz

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SPD-Wahlkampf in der Diaspora
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