SPIEGEL:Aber es gibt doch Beispiele für
neue oder erneuerte Parteien?
Gabriel: Sebastian Kurz hat das in Öster-
reich geschafft und Emmanuel Macron in
Frankreich. Der zentrale Unterschied zu
Deutschland ist offenbar, dass da Personen
den Mut zu einer klaren Positionierung
haben. Man muss nicht mit allem über -
einstimmen, was sie sagen oder tun. Aber
sie positionieren sich klar. Bei uns wird
eher versucht, immer alles unter einen
Hut zu bringen.
SPIEGEL:Deutschland brauchte dann eine
neue Partei oder eine Bewegung neben
den Parteien?
Haseloff:Wir haben doch jetzt schon
mindestens eine Partei zu viel. Wenn ich
mir unsere Quoten in den Umfragen
angucke, dann weiß ich, wo bestimmte
Leute hinmarschiert sind. Und ich frage
mich, wie kriege ich diese Wähler wie-
der zurück?
SPIEGEL:Herr Gabriel, wenn Sie aber Ma-
cron einerseits und Kurz andererseits lo-
ben, wo liegt dann die Zukunft der SPD?
Gabriel:Gucken Sie sich die Dänen an.
Die dänische Sozialdemokratie ist immer-
hin auf fast 26 Prozent gekommen. Die
Dänen haben etwas ganz Grundsätzliches
gemerkt; 30 Jahre lang galt das Globali-
sierungsmotto »Öffnung der Grenzen«.
Und damit waren die Grenzen für Daten,
Finanzen, Kapital und auch Menschen ge-
meint. Nach Finanz- und Migrationskrise,
nach dem Eindruck, dass der Nationalstaat
nicht mehr handlungsfähig ist, fragen sich
die Menschen heute, wo eigentlich die
Grenzen der Öffnung liegen? Nicht als
apodiktische Forderung nach der Schlie-
ßung der Grenzen, aber nach einer neuen
Balance. Die Menschen haben wieder ein
Bedürfnis nach Grenzen. Genau das hat
die dänische Sozialdemokratie verstanden.
Die deutsche leider nicht.
Haseloff:Noch ein anderer Aspekt scheint
mir wichtig: Der Rechtsstaat muss klare
Grenzen aufzeigen. Ich kenne den Um-
gang des Staates in den Siebzigerjahren
mit dem Linksterrorismus der RAF nur
aus dem Westfernsehen, aber da hat der
Staat doch Zähne gezeigt.
Gabriel:Es ist ja klar, dass wir nach dem
Attentat von Halle ein sehr ernstes Ge-
spräch führen, aber wir reden hier natür-
lich viel über die 10, 15 Prozent Spinner
im Land. Wenn Sie abends ins Internet
gucken, müssen Sie der Überzeugung
sein, es gibt nur Bekloppte im Land. Und
dann gehen Sie morgens aus dem Haus
und treffen lauter normale Leute. Die
gehen arbeiten, in den Sportverein, lesen
abends ihren Kinder oder Enkeln eine
Geschichte auf der Bettkante vor. Diese
85 oder 90 Prozent unserer Bürgerinnen
und Bürger sprechen wir gar nicht mehr
an. Wir sollten sie loben, ihnen sagen,
dass wir wissen, dass es sie gibt. Und dass
sie zwar kein perfektes Deutschland ge-
schaffen und erarbeitet haben, aber das
beste Deutschland, das wir je hatten. Nur
wenn man Menschen Mut macht, gelin-
gen Veränderungen. Das ist doch der
Grund, warum die Rechts radikalen auf
Angst setzen.
Haseloff:Das kann ich nur bestätigen: Wir
sind ja der Bundesrepublik beigetreten,
weil wir zum ersten Mal eine gute Nation
haben wollten. Wir hatten den Kaiser, wir
hatten die Nazis, wir hatten die Kommu-
nisten. Und nun haben wir endlich ein
Grundgesetz, das die Würde des Men-
schen festschreibt und das nicht infrage
gestellt werden kann.
Die Wanderung endet wieder in Sorge.
Reiner Haseloff und Sigmar Gabriel ver-
abschieden sich auf einem Parkplatz. Die
letzten Tage waren regnerisch, die Berge
verhangen, noch ist der Waldboden feucht
und gibt unter den Schritten nach. Doch
in diesem Moment scheint über Sorge
die Sonne.
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