mer etwas befremdlich, die so eine heim-
liche DDR-Bewunderung hatten.
Oben auf dem Berg stehen die Reste der
Grenzanlagen. Ein Wachturm ist einge-
hüllt, er soll bis zum 9. November fertig
restauriert sein. Die Grenzzäune sind oben
mit Stacheldraht umwickelt. An einigen
Stellen sind Einschusslöcher zu sehen. Auf
einer Gedenktafel stehen die Namen der
hier Erschossenen, es sind sechs.
Gabriel:Hier im westlichen Teil des Ober-
harzes wurden nicht selten nach der Wen-
de die DDR-Grenzzäune abmontiert, um
daraus Gartenzäune zu machen. Ich fand
das immer eine ganz lustige Idee der Wie-
derverwertung,
SPIEGEL:In diesen Tagen ist öfter zu hö-
ren, die DDR solle nicht mehr Unrechts-
staat genannt werden. Ihre Parteigenossin
Manuela Schwesig sagte das, Herr Gabriel,
und auch der linke Thüringer Ministerprä-
sident Bodo Ramelow. Wie erklären Sie
sich diese Geschichtsvergessenheit?
Gabriel:Ich habe über diese seltsame Un-
terscheidung schon mit dem Vorgänger von
Frau Schwesig gestritten, als ich SPD-Par-
teivorsitzender war. Denn zwar ist nicht
jeder Unrechtsstaat eine Diktatur, aber jede
Diktatur immer ein Unrechtsstaat. Auf den
Grund für die seltsame Unterscheidung bin
ich erst gekommen, als meine Frau mir mal
sagte: »Wieso regst du dich auf, der Selle-
ring hat doch recht.« Wie viele andere Men-
schen in Ostdeutschland ging es meiner
Frau um die Unterscheidung zwischen dem
politischen System und ihrem Leben. »Das
System war natürlich eine Diktatur«, sagte
sie, »aber das Leben meiner Eltern und
mein Leben waren doch kein Unrecht. Wir
haben doch nicht im Unrecht gelebt.« Diese
für uns etwas seltsam anmutende Unter-
scheidung ist für viele auch der Versuch,
sich die guten Erinnerungen an Kindheit,
Jugend oder Erwachsenendasein zu erhal-
ten, die es natürlich auch gegeben hat. Es
ist eine Art Schutz der eigenen Biografie.
Haseloff:Ich streite ab, dass die DDR ein
Rechtsstaat war, sie war eine Diktatur. Es
gab den Schießbefehl. Es gab keine un -
abhängige Justiz. Was soll man denn noch
anführen als Beleg dafür, dass es ein Un-
rechtsstaat war? Und warum sind wir denn
damals in der DDR auf die Straße gegan-
gen? Doch nicht, weil es so rechtsstaatlich
zuging. Herr Ramelow ist Westdeutscher,
und Frau Schwesig war 15 Jahre alt, als die
Mauer fiel, ich war 35. Ich habe die DDR
wirklich noch erlebt. Für mich ist es jetzt,
im 30. Jahr nach der Wende, notwendig,
dass die Errungenschaften dieser fried -
lichen Revolution nicht von der AfD dis-
kreditiert werden. Und wir müssen jetzt
auch nach vorne denken.
SPIEGEL:Gut, dann machen wir das. Es
wirkt, als wären die Menschen der alten
Parteien müde geworden, es gibt eine
Sehnsucht nach etwas Neuem.
Gabriel:Ich glaube, es ist normal, dass die
bindende Kraft der Volksparteien in einer
individualisierten Gesellschaft nachlässt.
Ich habe mich immer gefragt, warum las-
sen sich Leute tätowieren? Weil sie etwas
Besonderes haben wollen, was sie heraus-
hebt. Sie wollen nicht im großen Einheits-
brei untergehen. Und das ist ein bisschen
das Problem von Volksparteien: Sie orien-
tieren sich auf den Kompromiss und auf
das Gemeinwohl in einer Gesellschaft, in
der jeder sehr genau weiß, was er für sich
will, aber nicht so ganz genau weiß, was
man eigentlich miteinander will.
»Was soll man denn
noch anführen als Beleg,
dass die DDR ein
Unrechtsstaat war?«
Reiner Haseloff
Ihre Chemie bringt Umwelt und Mobilität
2013
2001 2014
Erster Arbeitstag: Die Brennstoff-
zelle bewährt sich im Alltagstest
in einem Kleintransporter.
In ihr wird mit Wasserstoff der
Strom für die Fahrt produziert.
Der Kohlenstoff, aus dem die
Leichtbauträume sind: Serienfähige
Fahrgastzellen aus carbonfaser-
verstärkten Kunststoffen verringern
FCU(CJT\GWIIGYKEJV5QJGNHGP
E-Mobile beim Energiesparen.
Grüne Welle: Erstmals wird ein
Auto mit Brennstoffzelle in Groß-
UGTKGJGTIGUVGNNV&KG<GNNGGT\GWIV
abgasfrei Strom für den Antrieb.