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ein, sagt Frydman, er habe das
nicht kommen sehen. Er habe
einen anderen Rudy kennen -
gelernt, einen Mann, der nie auf
die Idee gekommen wäre, sich die Taschen
von üblen Figuren der Weltpolitik füllen
zu lassen. »Wann immer Giuliani mit uns
in eine Pizzeria ging, hat er selbst für sein
Stück Pizza und seine Cola light bezahlt.
Natürlich wollten die Wirte, dass für Rudy
alles aufs Haus geht, damit sie ein Foto
mit ihm bekommen. Aber er wollte das
nicht. Ich habe das an ihm geschätzt.«
Ken Frydman führt eine PR-Agentur an
der Lexington Avenue. Sie liegt wenige
Gehminuten vom Times Square entfernt,
der in den Neunzigerjahren zu den
schmuddeligsten Gegenden New Yorks
zählte. Er war fest in der Hand von Klein-
ganoven und Pornokinobetreibern. Dass
man hier heute ohne Angst um sein Porte-
monnaie aus der U-Bahn steigen kann, ist
auch das Verdienst Giulianis, der erst als
Staatsanwalt und dann als Bürgermeister
in der Stadt aufräumte.
Frydman hielt es selbst kaum noch aus
in New York, damals, Anfang der Neunzi-
gerjahre: »Ich hatte genug davon, jeden
Tag von denselben Nutten und Zuhältern
angequatscht zu werden. Und noch mehr
hing es mir zum Hals heraus, darüber zu
jammern.« Als ihn ein Bekannter Giuliani
vorstellte, musste Frydman nicht lange
überlegen. Er hängte seinen
Job an den Nagel und heuerte
als Pressesprecher bei dem
Mann an, der in den Jahren da-
rauf zum Helden einer Stadt
werden sollte, die sich nach
den Anschlägen vom 11. Sep-
tember 2001 stolz und trotzig
erhob.
Kaum jemand verkörperte
die Härte, den Witz und den
Lebensdurst New Yorks besser
als Giuliani. Er war in Brook-
lyn aufgewachsen und hatte es
vom Sohn eines italienischen
Barkeepers und Mafiazuschlä-
gers an die Spitze der Metro-
pole geschafft. Im Jahr 2001 fei-
erte ihn das »Time«-Magazin
als »Person des Jahres«.
»Ich war immer stolz darauf,
für Rudy gearbeitet zu haben«,
sagt Frydman. Anfang Okto-
ber aber veröffentlichte er in der »New
York Times« einen Artikel, der mit einer
simplen Frage überschrieben war: »Was
ist nur mit Rudy Giuliani passiert?«
Seit anderthalb Jahren ist Giuliani der
private Anwalt des amerikanischen Präsi-
denten. Im Laufe dieser Zeit wurde er zu
einer der dubiosesten Figuren der Welt -
politik. Formal hält er kein Regierungsamt,
faktisch aber besetzt er gleich mehrere: Er
wurde zu Trumps Lautsprecher, zum Ne-
benaußenminister, zum Mann fürs Grobe.
Viele in Washington sind der Ansicht, dass
Giuliani dem Präsidenten erst jene kruden
Verschwörungstheorien eingeflüstert hat,
die das Amtsenthebungsverfahren im Kon-
gress ins Rollen brachten.
Die Affäre begann mit dem Versuch
Giulianis, politischen Schmutz gegen
Trumps Widersacher Joe Biden zu sam-
meln, der sich für die Präsidentschaftskan-
didatur der Demokraten bewirbt. Die An-
nahme war, dass Biden verwundbar sei,
weil dessen Sohn jahrelang in der Ukraine
Geld von einem Gaskonzern bezog, wäh-
rend Biden senior US-Vizepräsident war.
Giulianis Wirken wird jetzt von Ermitt-
lern des Repräsentantenhauses untersucht.
Es geht dabei auch darum, ob der Anwalt
seine Kontakte zum Präsidenten versilbert
hat. Vorige Woche kam heraus, dass Giu-
liani 2017 offenbar versucht hat, via
Trump Druck auf Außenminister Rex Til-
lerson auszuüben, um einen verhafteten
Klienten freizubekommen, den Goldhänd-
ler Reza Zarrab.
Wie kann es sein, fragte Ken Frydman
in seinem Text für die »New York Times«,
dass eine Legende wie Giuliani zu einem
Instrument in den Händen von Trump
wurde, »zu seinem Schergen, seinem
Apologeten, zu einem Verteidiger dessen,
was nicht mehr zu verteidigen ist?« Seit
der Artikel erschienen ist, steht Frydmans
Handy nicht mehr still.
Trump hat aus den USA ein verunsi-
chertes Land gemacht. Die Grenzen zwi-
schen Wahrheit und Lüge verschwimmen,
das Vertrauen in den Staat zerbröselt. Nun
kommen den Amerikanern auch die
Helden abhanden. Trump hat schon viele
Berater beschäftigt, die mit dem Wort
zwielichtig noch äußerst schmeichelhaft
umschrieben sind. »Fixer« wie Michael
Cohen, zu dessen Jobbeschreibung es ge-
hörte, Nacktmodelle und Pornostars mit
dicken Geldbündeln zum Schweigen zu
bringen, die mit seinem Klienten im Bett
gelandet waren. Oder politische Dreck-
schleudern wie Roger Stone, der sich das
Porträt seines Helden Richard Nixon auf
den Rücken tätowieren ließ. Gehört in die-
se Reihe nun auch Giuliani, den die Queen
zum Ritter geschlagen hat?
»Er ist zu nahe an die Sonne gekommen
und hat sich die Flügel verbrannt«, glaubt
Frydman. In seiner Erzählung
ist Giuliani das Opfer, das sich
verführen ließ vom Glanz der
Macht und des Reichtums. Die
Geschichte hat etwas Tröst -
liches, denn von einem gefal-
lenen Helden bleiben immer-
hin die Ruhmestaten von einst.
Was aber, wenn Giuliani nie
ein Held war und jetzt sein
wahres Gesicht zutage tritt?
Jeden Tag kommen neue
Details ans Licht. Setzt man sie
zusammen, ergeben sie ein
schlimmes Bild. »Giuliani ist
eine Handgranate, die noch je-
den in die Luft jagen wird«, soll
Trumps ehemaliger Sicher-
heitsberater John Bolton schon
vor Monaten gewarnt haben.
Es wird immer klarer, dass der
persönliche Anwalt Trumps
eine Art Sonderdiplomatie be-
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Ausland
Ein Mann will nach unten
USARudy Giuliani war ein amerikanischer Held. Nun steht er im Zentrum eines der hässlichsten
Skandale der jüngeren Geschichte. Wie konnte es so weit kommen?
BUKATY / DPA / PA
New Yorker Bürgermeister Giuliani 2001
Sein Mythos wuchs aus den Trümmern des World Trade Center