Handelsblatt - 21.10.2019

(Brent) #1

Auf niedrigem Niveau


Anteil der Onlineshopper, die schon mal
Lebensmittel im Netz gekauft haben


HANDELSBLATT


Umfrage unter 1 054 Onlineshoppern ab 14 Jahre
Quelle: Bitkom


2014


2016


2018


23 %


2 %


29%


Angaben
in Prozent
der Befragten

schluss genutzt werden“, rät Peter Heckmann,


Managing Director bei AlixPartners.


Deutschland habe mit insgesamt über 12 000 Su-


permärkten und rund 16 000 Discountern ein en-


ges Filialnetz mit der Möglichkeit der Nutzung als


dezentrale Waren- und Zustelllager für den Online-


handel. Die Filialen lägen oft in Bestlagen, somit


nah am Kunden und können so kürzeste Lieferzei-


ten ermöglichen sowie Zustellkosten senken.


Mit der persönlichen Abholung könnte auch eine


der größten Hemmschwellen beim Onlinehandel


mit Lebensmitteln abgebaut werden: Denn 54 Pro-


zent der Befragten geben an, dass sie Bedenken be-


züglich Qualität und Frische der Waren beim On-


lineeinkauf haben. Dessen ist sich Kaufmann Giese


sehr bewusst. „Der Kunde schenkt uns Vertrauen


mit der Onlinebestellung. Deshalb achten wir sehr


darauf, dass wir ihm auch Qualität liefern.“


Genau dieses Thema ist es, was den zentralen Lie-


ferdienst so kompliziert macht. „Deswegen hat es


auch Amazon Fresh schwer“, beobachtet Experte


Rainer Münch. Frische sei ein sehr emotionales The-


ma, das die Konsumenten bewegt. „Die Marke Ama-


zon wird nicht mit frischen Lebensmitteln assoziiert,


da fehlt es bei den Kunden an Glaubwürdigkeit.“


„Es gibt in dem Markt nur sehr geringe Margen,


gleichzeitig ist es sehr aufwendig, die Warenkörbe


mit Produkten aus unterschiedlichen Temperatur-


zonen zusammenzustellen und auszuliefern“, sagt


Rewe-Vorstand Kunath. Obst und Gemüse wird


auch in dem automatisierten Lager noch von Hand


verpackt, um Qualitätsprobleme zu vermeiden.


Hohe Komplexität und Kosten


Dazu kommt: Rewe bietet ebenfalls im zentralen


Lieferdienst Fleisch, Wurst und Käse, die individu-


ell abgewogen sind. Auch das lässt sich nicht auto-


matisieren. So gibt es beispielsweise in „Scarlet


One“ einen Extra-Reinraum, in dem ausgebildete


Metzger arbeiten. Das treibt die Komplexität und


damit die Kosten zusätzlich in die Höhe. „Aber wir


gehen den ganzen Weg, weil wir Lebensmittelein-


zelhändler sind und die Kunden das von unserer


Marke erwarten“, betont Kunath.


Ziel ist es, auch im Lieferdienst bald das gesamte


Sortiment des Supermarktes abbilden zu können.


Dafür wird die Anzahl der verschiedenen Produkte


im Lager in Köln-Niehl bis Mitte nächsten Jahres


auf 25 000 verdoppelt.


Die nächste große Herausforderung für Rewe ist


der Ausbau der Lieferung am selben Tag. Dafür


muss im Lager eine Bestellung aus bis zu sechs ver-


schiedenen Kühlzonen innerhalb von 90 Minuten


zusammengestellt sein. Geplant ist, mittelfristig ei-


nen Anteil an den Gesamtlieferungen von 35 bis 40


Prozent zu erreichen. In vielen Ballungsräumen ist


dieser Service heute schon verfügbar, allerdings


nur mit einer begrenzten Zahl an Lieferslots.


„Wir haben für uns entschieden, jetzt zu inves-


tieren und nicht noch abzuwarten. Und wenn wir


heute sehen, wie schwierig es ist, glauben wir,


dass das gut war“, sagt Kunath. „Wir hoffen, dass


wir dann den entscheidenden Vorsprung haben,


wenn die Onlineanteile auch im Lebensmittelhan-


del steigen.“


Jan Kunath


„Wir spüren die Konkurrenz“


Als stellvertretender Rewe-Chef verantwor-
tet Jan Kunath auch das Digitalgeschäft.

Herr Kunath, wie nah sind Sie im Lieferge-
schäft schon an der Profitabilität?
Wir sind an bestimmten Standorten vor
Zentralkosten mit dem Lieferservice in der
Nähe der schwarzen Null.

Ist es denn realistisch, in diesem Geschäft
jemals einen Gewinn zu erzielen?
Der größte Teil der Kosten sind die techno-
logischen Entwicklungskosten, und die
werden jetzt immer geringer. Wenn eine
bestimmte Umsatzgröße erreicht ist, kann
man das Geschäft auch mit den Zentral-
kosten profitabel betreiben. Leider et-
was langsamer, als wir ursprünglich
angenommen hatten. Wenn wir das
Gesamtpaket im Onlinegeschäft se-
hen, inklusive unseres Markt-
platzgeschäfts, dann ist die Pro-
fitabilität gar nicht mehr so weit
entfernt.

Immer mehr Start-ups drängen ins Lie-
fergeschäft. Tut Ihnen das weh?
Start-ups wie Flaschenpost oder Picnic
beleben den Markt, weil sie helfen, die
Akzeptanz des Lieferdienstes zu steigern.
Aber wir spüren natürlich auch die Kon-
kurrenz, weil sie im Anfang oft sehr ag-
gressiv agieren.

Wie bereiten Sie sich auf mögliche Die-
selfahrverbote in den Städten vor?
Wir testen Elektro-Lastenräder und Elek-
troautos für den Lieferservice. Ein signi-
fikanter Anteil unseres Fuhrparks ist be-
reits auf Euro-6-Norm. Und da wo not-
wendig, könnten wir relativ
schnell reagieren. Aber man muss
auch sehen, dass Elektroautos im Lie-
ferdienst noch mehr Nachteile als
Vorteile haben, beispielsweise
bei der Reichweite.

Die Fragen stellte
Florian Kolf.

Der Rewe-Vorstand hält Gewinne im Liefergeschäft für möglich –


auch wenn es wohl länger dauert als ursprünglich erwartet.


Amazon


wird nicht


mit frischen


Lebens-


mitteln


assoziiert.


Da fehlt es bei


den Kunden


an Glaub -


würdigkeit.


Rainer Münch
Unternehmensberatung
Oliver Wyman

Oliver Tjaden/laif

  


   





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MONTAG, 21. OKTOBER 2019, NR. 202


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