Handelsblatt - 21.10.2019

(Brent) #1

„Es wird nie passieren.“


Jamie Dimon, Chef der US-Bank
JP Morgan Chase zu Facebooks
Cyberwährung Libra

„Die gesamte Industrie muss dazu


beitragen, dieses Problem zu lösen.“


Joe Kraus, Geschäftsführer des
E-Scooter-Anbieters Lime über die Kritik
an der Ökobilanz der Roller

N


etflix hat schon viel geschafft. Wo der Video-
dienst am Markt ist, kennt man ihn. Viele haben
bereits ein Abonnement abgeschlossen. Das er-

klärt, warum das Unternehmen sich an der Börse über


Jahre hinweg so gut entwickelt hat. Aber die Jahre des


großen Wachstums sind vorbei.


Nach Bekanntgabe der Quartalszahlen dürften auch


einige Investoren ins Zweifeln kommen – denn ausge-


rechnet die Zahlen der Neukunden blieben hinter den


Unternehmensprognosen zurück. Jetzt stellt sich die


Frage, ob das Unternehmen weitere Wachstumserwar-


tungen überhaupt noch erfüllen kann. Der Markt nä-


hert sich offenbar der Sättigung. Damit ist klar: Im


schlimmsten Fall gerät das Unternehmen in eine Kos-


tenfalle.


Die bisherige Formel war einfach: Jeder neue Abon-


nent bringt Reingewinn. Aber viel ist nicht mehr zu ho-


len. Eine Wachstumsmöglichkeit wäre der chinesische


Markt. Doch der ist zum einen durch Zensur versperrt


und zum anderen durch kulturelle Unterschiede


schwieriger zu bespielen. Bisher ist Netflix in China


nicht verfügbar.
Andere Einnahmequellen sind rar. Mit Aufpreisen für
Eigenproduktionen oder mit Werbung würde Netflix
Kunden vergraulen und vielleicht an die Konkurrenz
verlieren. Denn jetzt wollen auch noch Disney, Apple
und andere Netflix künftig mit eigenen Streamingange-
boten Konkurrenz machen und ihre Dienste günstiger
anbieten als der Pionier. Das Unterscheidungsmerkmal
werden dann die Eigenproduktionen sein. Im Markt mit
den aktuellen Preisen zu bestehen kann nur über das
eigene Angebot gehen. Und da trifft das Unternehmen
das ausgebliebene Kundenwachstum voll. Schließlich
war das zusätzliche Geld bereits eingeplant.
Zwar sind die Netflix-Macher bei den Produktionen
zu Recht selbstbewusst: Mit der dritten Staffel der Mys-
tery-Serie „Stranger Things“ etwa haben sie gerade
abermals den Geschmack ihrer Abonnenten getroffen,
und sie können auch schon auf eine ganze Reihe von
Film- und Fernsehpreisen für ihre Werke verweisen.
Doch auf den Erfolgen kann sich Netflix nicht ausru-
hen, im Gegenteil. Die Leute schließen Abos ab, weil sie
künftig in gleicher Qualität unterhalten werden wollen.
Dadurch braucht es immer bessere Ausrüstung, Effekte
und mehr Stars im Programm. Schon sichert sich das
Unternehmen seine Schauspieler durch Exklusivverträ-
ge. Das ist teuer, langfristig aber womöglich die einzige
Chance. Der Kampf am Streamingmarkt ist eröffnet. Die
Streaminganbieter sind keine Plattformunternehmen
mehr, sondern in erster Linie globale Film- und Serien-
produzenten mit deren traditionellen Kosten und He-
rausforderungen.

Netflix


The show must go on


Netflix muss sich auf einen
Preiskampf einstellen, meint
Larissa Holzki. Künftig geht es
darum, Abonnenten zu halten,
statt zu gewinnen.

Die Autorin ist Redakteurin im Unternehmensressort.
Sie erreichen sie unter:
[email protected]

Mit Wer-


bung oder


Zusatz -


kosten für


Eigenpro-


duktionen


würde


Netflix seine


Kunden


vergraulen.


Berenberg, Bloomberg, Bloomberg/Getty Images

Wirecard


Überfällige


Prüfung


A


m Ende ist Wirecard-Chef
Markus Braun offenbar zur
Vernunft gekommen. Stim-
men die Signale, die über das Wo-
chenende aus Aschheim gesendet
wurden, dann wird der Zahlungs-
dienstleister endlich eine externe
Sonderprüfung des gravierenden
Verdachts der Bilanzfälschung in
die Wege leiten. Die Erkenntnis hat
lange auf sich warten lassen – zu
lange für einen Dax-Konzern.
Ja, eine Sonderprüfung ist vor
dem Hintergrund abgesegneter Bi-
lanzen schmerzlich. Und ja, selbst
bei positivem Ergebnis ist nicht ga-
rantiert, dass die „Financial Times“
(FT) keine weiteren neuen Vorwür-
fe erhebt. Aber klar ist auch: Das
bisherige Agieren à la „Hier ist alles
geprüft, hier gibt es nichts zu se-
hen, und die ,FT‘ steckt sowieso mit
Shortsellern unter einer Decke“ ist
an einem Punkt angelangt, der
selbst wohlgesinnte Investoren und
Beobachter ratlos zurücklässt.
Wirecard agiert unter verschärf-
ten Bedingungen. Die Firma wurde
in 15 Jahren vom Start-up zum Dax-
Konzern und will 30 Prozent jähr-
lich wachsen. Ein solcher Erfolg ist
in der „Old Economy“ Deutschland
ein Novum und macht naturgemäß
neugierig. Das Geschäftsmodell ist
schwer zu durchdringen: Wirecard
stellt keine Dübel her, sondern
schickt Geld rund um den Globus
und agiert in fernen Ländern nicht
mit eigener Lizenz, sondern mit
Partnerfirmen. In der Frühphase
hat der Konzern für Glücksspiel-,
Trading- und Porno-Anbieter Zah-
lungen abgewickelt, nun will er
zum erfolgreichsten deutschen
Techkonzern seit SAP aufsteigen.
Das bringt neue Verantwortung
mit sich, ob es der Konzernspitze
gefällt oder nicht. Wer in der ersten
Börsenliga mitspielen will, muss ak-
tiv, gelassen und mit offenem Visier
auf kritische Berichte, Gerüchte
und Shortselling-Attacken reagie-
ren. Wirecard hat sich zu lange ab-
geschottet, Kursgewinne gefeiert
und Compliance wie Kommunikati-
on vernachlässigt. Nun steht der
Konzern vor seiner wohl größten
Herausforderung. Die Antwort kann
nicht Aktienrückkauf lauten, son-
dern maximale Transparenz.

Der Zahlungsdienstleister tut gut
daran, eine Sonderprüfung der
gravierenden Vorwürfe einzuleiten,
bemerkt Felix Holtermann.

Der Autor ist Finanz -
korrespondent in Frankfurt.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Unternehmen & Märkte


MONTAG, 21. OKTOBER 2019, NR. 202


29

Free download pdf