National Geographic Germany - 10.2019

(vip2019) #1
In Amboseli, Kenia, lösen
Wildlife-Mitarbeiter
die Reste einer Giraffe
aus einer Wildererfalle.
Ein Tier ergibt bis zu
300 Kilo wertvolles
Fleisch. Manche Giraffen
werden wegen ihres
Schwanzes getötet. Sie
gelten als Statussymbol.
FOTO: BRENT STIRTON

Ciofolo betont, dass die Giraffen bis zu 2 90
Kilometer weit wandern können. „Falls es also
an einem Standort eine Gefahr gibt, sind sie in
der Lage, ein neues Habitat zu finden.“

WILDTIERARZT MORKEL SCHLEICHT SICH näher
an die ahnungslose Giraffe heran. „Braves Tier,
sei ein Schatz“, flüstert er. Er schätzt das Tier
auf etwa 700 Kilo, stellt an seinem Gewehr
einen Druck von zwölf Bar für einen 30-Meter-
Schuss ein und entsichert. Es ist 13 Uhr, die
Tempe ratur liegt jetzt bei 38 Grad. Morkel legt
das Gewehr an die Schulter und drückt ab. Ein
mit Etorphin gefüllter Pfeil trifft das Tier in die
linke Schulter. Ein Volltreffer, aber es dauert
einige Minuten, bis die Betäubung wirkt.
Die Sedierung von Wildgiraffen ist eine rela-
tiv neue Praxis, die noch große Risiken birgt.
Eine tödliche Opioid-Dosis kann zum Atem-
stillstand führen; das Tier könnte auf den Kopf
fallen und sich den Schädel, den Rücken oder
die dünnen Beine brechen; es könnte teilweise
verdaute Nahrung herauswürgen und sich
dadurch eine Lungenentzündung holen; oder
es könnte auf dem sengend heißen Sand über-
hitzen. Bei einer Umsiedlungsaktion in Uganda
starben 2017 drei Tiere beim Einfangen und
eines beim Transport.
Während das Medikament wirkt, geht Morkel
zurück zum Pick-up-Truck, wo ein Team aus
Wildhütern und Wissenschaftlern wartet. „Es
ist eine schwierige Spezies“, sagt Morkel. „Der
Fallweg ist lang, und an ihrer Anatomie ist eine
Menge ungewöhnlich.“ Alles an der Giraffe ist
extrem gestreckt: der Hals, selbst die Wimpern,
die Beine (länger als bei allen anderen Tieren),
die Augen (größer als bei allen anderen Land-
säugern), der schmale Schädel und die vio-
lett-schwarze Greifzunge, die sie bis zu einem
halben Meter aus dem Maul herausstrecken
kann. Mit der frisst sie geschickt einen Aka-
zienstamm kahl, den man wegen der vielen
Dornen nicht mit bloßen Händen anfassen
kann. Sogar das Herz, das über eine größere
vertikale Strecke Blut pumpt als bei jedem
anderen Landsäuger, ist mitunter mehr als
60 Zentimeter lang und hat mehr als sieben
Zentimeter dicke Ventrikelwände.
Soweit man weiß, hat die Giraffe von allen
Tieren den höchsten Blutdruck, und trotzdem
schafft sie es, den Kopf schnell über fünf Meter
Richtung Boden zu bewegen, ohne ohnmächtig
zu werden.

DER GIRAFFE WURDE


GERADE EIN SEIL


UM DEN TORSO GEBUNDEN.


ALS SIE AUFWACHT, SCHLÄGT


SIE WILD UM SICH UND


FEGT PFIRSICHFARBENEN


SAND IN DIE LUFT. (Weiter auf Seite 112)


GIRAFFEN 105
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