National Geographic Germany - 10.2019

(vip2019) #1
Die Wolfsmutter hatte nicht viel Interesse an

meinen Freunden und deren Kameras gezeigt.


Sie ließ sie nah an die neugeborenen Welpen


heran und gab damit einen Modus vor, der dazu


führte, dass das Rudel auch mich tolerierte.


Die Wölfe waren immer noch in Aufruhr. Noch

war nicht klar, wer der neue Anführer werden


würde oder ob die Familie überhaupt gut zusam-


men jagen würde. Der Winter, die Hungerszeit,


war bloß noch ein paar Wochen weg. Anschei-


nend wollte das junge Weibchen, das mich am


Ellenbogen gestupst hatte, unbedingt die Rolle


ihrer Mutter übernehmen, hatte aber wenig


Lust, die Welpen durchzubringen.


Bei ihrem ersten Versuch, zusammen mit dem

älteren Männchen eine Jagd anzuführen, war


sie von einem Moschusochsen angegriffen wor-
den. Das riesige Tier ging mit den Hörnern auf
sie los. Es sah aus, als würde es sie aufspießen.
Stattdessen sprang die Wölfin hoch und schlich
davon, den Schwanz zwischen die Beine ge-
klemmt. Die Jagd war zu Ende.
Fast 30 Stunden lang saß ich mit den Wölfen
dort am Tümpel. Ich wollte nicht, dass es vor-
beigeht. Die Wölfe spielten, schliefen, kuschel-
ten. Ich versuchte, Distanz zu wahren, aber die
Wölfe kamen immer wieder vorbei, um mich zu
inspizieren. Ich roch ihren abscheulichen Mund-
geruch, hörte ihre scheußlichen Fürze.
Allmählich ließ ihr Interesse nach. Doch wenn
ich jede Stunde einmal gegen die Kälte Schatten-
boxen oder Hampelmänner machte, lockte das

ALLEIN UNTER WÖLFEN 145
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