National Geographic Germany - 10.2019

(vip2019) #1

nach dem Fischzug zur Präparation geeignete


Exemplare aus und setzen den Rest zurück ins


Wasser. Suttkus ging anders vor: Was ihm ins


Netz kam, endete in Gläsern. Ein befreundeter


Kollege komponierte ein scherzhaftes Lied über


Suttkus’ unbändige Sammelleidenschaft:


Ruf den alten Jagdhund und schaff die Gold-

fische herbei,


Versteck den zahmen Leguan und auch den

schwatzenden Papagei,


Pass auf deine Kinder auf, sonst bist du bald

ganz blass:


Die Sammelmaschine ist unterwegs und

stopft sie alle ins Einmachglas.


Das systematische und großflächige Vorgehen

Suttkus’ prägt seine Fischsammlung. Sie sei „ein


Fenster in die Vergangenheit“, weil sie ohne die


Gewichtungen auskomme,


die man gelegentlich auf


den Regalen anspruchs-


vollerer Museen finde, sagt


Bernie Kuhajda, Gewässer-


ökologe vom Tennessee


Aquarium.


Für die meisten Fischbio-

logen gilt: „Wenn sie nur


zehn Fische entnehmen


können, wählen sie die grö-


ßeren“, erklärt Kuhajda.


„Denn bei denen können


sie die Schuppen zählen“ sowie die Flossenstrah-


len, die wichtig für die Artenidentifizierung


sind. „Aber weil Suttkus alles sammelte, wissen


wir, wie zu einem bestimmten Zeitpunkt an


einem bestimmten Ort die gesamte Altersver-


teilung aussah.“ Sind Fische aller Entwicklungs-


stadien vorhanden, deutet das zum Beispiel auf


einen gesunden Bestand hin.


Doch was bringt dieses Wissen? Diese Frage

stellen Universitätsverwaltungen immer häu-


figer. Sie sind eher an publikumswirksameren


Projekten interessiert. So wollte etwa die Uni-


versity of Louisiana in Monroe ihre Fischsamm-


lung kurzerhand auflösen, um eine Erweiterung


der Leichtathletikanlage zu ermöglichen. Ein


Zusammenschluss mehrerer Hochschulen, da-


runter auch Tulane, sorgte dafür, dass elf Regal-


reihen mit Präparaten nun in einem Bunker


vorübergehend ein neues Zuhause fanden.


Der Wert der Sammlung besteht vor allem

darin, dass sie einen Blick in eine besonders


interessante Phase der Vergangenheit ermög-
licht. Suttkus nahm seine Proben, als Flüsse
noch für Wasserkraftwerke und Schifffahrt ein-
gedämmt und Schadstoffe uneingeschränkt
ausgestoßen wurden. Als in den Siebzigerjahren
im Norden von Alabama eine Chemiefabrik den
Betrieb aufnahm, berichtet John Caruso, der zu
jener Zeit bei Suttkus promovierte, „holte ich
Sonnenbarsche aus dem Fluss, denen das Blut
aus den Kiemen strömte“.
Biologen, die heute die Auswirkungen unkon-
trollierter Erschließung und Bebauung im ame-
rikanischen Südosten analysieren, können dazu
Suttkus’ Sammlung nutzen – vor Ort und digital.
Wissenschaftler der Bundesbehörde für Geolo-
gie haben den Alabama River untersucht, den
Suttkus regelmäßig besucht hatte: Die Zahl der
Arten ging von den Sechzigerjahren bis zur Jahr-
tausendwende um fast zwei Drittel zurück.
Und in diesem Zeitraum
wurde der alte, frei fließen-
de Wasserlauf durch den
Bau von Talsperren in ein
System von 16 Stauseen
gezwängt. Düngemittel-
ablauf, Verstädterung so-
wie Abwässer aus Kläranla-
gen und Tagebau richteten
weitere Schäden an.
Zu den Opfern gehören
der Alabama-Schaufelstör,
dessen Wanderungsbewe-
gungen durch Staudämme blockiert sind, und
der Atlantische Stör, der praktisch aus dem Fluss
verschwunden ist. Einheimische Arten wie der
Steinwels und der Gulf Logperch kommen eben-
falls nur noch selten vor. Weißfische wie der
Mobile Chub und der Fluvial Shiner verschwan-
den von den Stellen, an denen Suttkus sie fing.
Im Jahr 2005 standen zehn Fischarten aus
dem Alabama River als gefährdet oder stark ge-
fährdet auf der Artenschutzliste. Ohne ökolo-
gische Ausgleichsmaßnahmen, warnen Exper-
ten, „dürfte das Aussterben von Fischarten nicht
aufzuhalten sein“. Die wahre Horrorgeschichte
ist also nicht die Suttkus-Sammlung. Sondern
der zerstörerische Umgang der Menschen mit
der Umwelt, den sie dokumentiert.
Aus dem Englischen von Sabine Schmidt

Richard Conniff erhielt für seine Reportagen den
National Magazine Award. Der Fotograf Craig
Cutler dokumentierte in NATIONAL GEOGRAPHIC
zuletzt die Entwicklung der Präzisionsmedizin.

FISCHSAMMLUNG 93

Fischsammlung
Royal D. Suttkus,
New Orleans

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am

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LOUISIANA

USA

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