Krustentier, das »zunehmend verkalkt«),
und all das liest sich nüchtern, manchmal
hart und überraschend gut gelaunt.
Selbstverständlich nimmt sich Groult
von ihren Körperbeobachtungen nicht aus.
Jahr für Jahr dokumentiert sie ihren Ver-
fall (»Wieder verspüre ich den Wunsch,
diese ganze widerliche, überschüssige Haut
wegmachen zu lassen, was die Konturen
verwischt«), was man als Leserin natürlich
sofort kennt und versteht, weil die Verkör-
perung von nach männlichen Maßstäben
geprägten Schönheitsidealen von jeher als
die weibliche Kernkompetenz überhaupt
gilt, also als das Feld, auf dem man als Frau
am unkompliziertesten reüssieren kann.
Diese Einsicht hat aber zu keinem Zeit-
punkt etwas daran geändert, dass viele
Frauen schön sein wollten, wobei diesen
Widerspruch (der nur scheinbar einer ist)
anzuerkennen sich viele Vertreterinnen des
Zweite-Welle-Feminismus lange geweigert
hatten. Ihm ist Groult zeitlich gesehen
ebenfalls zuzuordnen, und er ist natür-
lich längst abgelöst worden von jüngeren
Feministinnen, die die Sache mit dem
Schön-seinwollen nicht mehr so eng sehen.
Aber die sind eben eher noch zu jung, um
Bücher über das Altern zu schreiben, wes-
wegen es so angenehm ist, Groults undog-
matisches Protokoll zu lesen: Immer wieder
trauert sie über den Verlust ihrer Schönheit,
sie lässt sich liften und versteht das als einen
Akt des Widerstands gegen das Alter (»Ich
will mich nicht aufgeben«), allerdings ganz
ohne diese Entscheidung irgendwie poli-
tisch zu überhöhen.
Vom Fischen und der Liebe ist aber nicht
nur eine Dokumentation des Alterns, es ist
auch die Geschichte einer Ehe und ergrün-
det, was die Bedingungen deren Bestehens
sind. Immer wieder kehrt Groult zu einer
- ebenfalls offen gelebten – Affäre zurück,
die ihr Mann einst hatte und unter der die
Schriftstellerin litt, so sehr, dass die Schä-
den irreversibel sind: Paul betreffend sei ihre
Leidensfähigkeit ausgeschöpft.
Dagegen beginnt der sich im Alter um
seine Frau zu bemühen, er läuft ihr im Ur-
laub ständig hinterher, ist eifersüchtig auf
Kurt und die Fische. Sie jedoch hat sich in
der Zwischenzeit neu orientiert, nämlich hin
zu Kurt, dem Vorbild für den bretonischen
Fischer. Ihren Ehemann findet Groult hin-
gegen – Überraschung – überhaupt nicht
mehr hot, dafür stört sie an Kurt, dass er
intellektuell null stimulierend wirkt (»in-
teressiert sich nur für Lastwagen«), wes-
wegen es für sie auch nie ernsthaft infrage
kommt, den klugen Paul für den sexy Kurt
zu verlassen. Und dies, obwohl Paul mit
seinem bosshaften Großschriftstellergehabe
teilweise unerträglich ist, was aber glück-
licherweise von Kurt kompensiert wird, der
Groult beim Schreiben unterstützt und den
sie als ihre »FR AU« bezeichnet.
Jetzt könnte man in dem Glauben, das
passende Narrativ gefunden zu haben, na-
türlich sofort den Finger heben und sagen,
dass die Sache ganz einfach sei, nämlich
dass Groult, dieses Biest, Kurt als Fuckboy
missbraucht und Paul als ihren intellek-
tuellen Gefährten. Aber so einfach ist es
nicht, abgesehen davon, dass es lächerlich
wäre, die Memoiren einer Schriftstellerin,
also literarische Erzeugnisse, moralischen
Kriterien zu unterwerfen, und abgesehen
davon außerdem, dass hier jeder jeden ver-
letzt und jeder jedem nutzt. Und darum
geht es hier eigentlich: die Offenlegung
der Mechanik einer Ehe und der Gesetze
der Macht, die ihr zugrunde liegen. All das
ist für alle Beteiligten mitunter entsetzlich.
Paul will Kurt abschaffen und umgekehrt,
und Groult leidet, weil die beiden leiden.
Also gibt es überhaupt keine Lösung. Aber
insofern eben möglicherweise doch, als es
noch nie eine Lösung für das Problem Ehe
beziehungsweise Paarbeziehung gab und es
nicht ohne Verletzungen geht.
Auch die sehr kämpferische, aber mit-
unter etwas kitschbereite Erzählerin von
Salz auf unserer Haut hat kein großes Ver-
trauen in die Ehe, die sie völlig zu Recht,
insbesondere für Frauen, für schädlich hält
(»kuschelige Falle«). Aber das ist natürlich
auch ihr Job als die kompromisslose Pro-
tagonistin eines Romans, der seinerzeit pro-
grammatisch für die sexuelle Befreiung von
Frauen, insbesondere weißen, mittelstän-
dischen Ehefrauen, stand. Stellt man dem
Groults Tagebücher gegenüber, die im Ton
weder kitschig noch programmatisch sind,
sondern ambivalenter, leiser und doch prag-
matisch, so gewinnt man den Eindruck,
dass es ihr doch gelungen ist, jene Ehe-Falle
für sich nicht nur bewohnbar, sondern auch
nutzbar zu machen.
Denn als ihr Ehemann ihr am nahen-
den Ende ihrer beider Leben einmal zu ver-
stehen gibt, dass er davon ausgehe, dass sie
ohne ihn nichts zustande bringe, wird ihr
klar, »dass ich mein Leben ab einem be-
stimmten Zeitpunkt hervorragend gestaltet
habe«.
Benoîte Groult:
Vom Fischen und von der Liebe
Ullstein, Berlin 2019;
Foto: Roger Viollet/Ullstein Bild 400 S., 22,–€, als E-Book 18,99 €
DIE ZEIT 42/19 21
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»Wenn wir die Menschen aus muslimischen
Gemeinschaften für die demokratische
Gesellschaft gewinnen wollen, müssen wir
das Diktat vom ›Vater Staat‹, die Männer-
herrschaft, beenden. Frauen brauchen eine
Revolte gegen die ›Unheilige Familie‹!«
Während die Mehrheitsgesellschaft mit
»Ehe für alle« und »Familie im Wandel«
beschäftigt ist, bleibt im Verborgenen, was
mit den Frauen und Kindern in der islami-
schen Gemeinschaft passiert: Sie sind dem
Zwang in der Familie ausgeliefert und dort
eingesperrt. Die engagierte Soziologin Necla
Kelek entlarvt dieses Familien-Tabu. Sie
beschreibt, wie es dazu kam, dass Frauen
Beute der Männer wurden und Kinder dem
Patriarchat preisgegeben sind, aber auch,
warum selbst Männer Opfer dieser Gewalt-
strukturen sind. Sie zeigt auf, wie unser
Pochen auf kulturelle Unterschiede und
eine ideologisierte Politik die Integration
verhindern und was konkret geschehen
muss, damit muslimische Frauen und Kinder
rechtlich gestärkt werden.
NECLA KELEK
Dr. phil., geboren 1957 in Istanbul, hat in
Deutschland Volkswirtschaft und Sozio-
logie studiert. Ihre Bücher über Islam und
Integration sind Best- und Longseller. Keleks
Arbeit ist mehrfach ausgezeichnet. Sie ist
Mitbegründerin der Initiative säkularer Islam
und im Vorstand von TERRE DES FEMMES –
Menschenrechte für die Frau e.V.
NECLA KELEK
Die unheilige
Familie
Droemer HC,
336 Seiten,
19,99 Euro,
ISBN:
978-3-426-27812-3
ENGAGIERTER AUFRUF
FRAUENRECHTE SIND
MENSCHENRECHTE
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»Wenn wir die Menschen aus muslimischen
Gemeinschaften für die demokratische
Gesellschaft gewinnen wollen, müssen wir
das Diktat vom ›Vater Staat‹, die Männer-
herrschaft, beenden. Frauen brauchen eine
Revolte gegen die ›Unheilige Familie‹!«
Während die Mehrheitsgesellschaft mit
»Ehe für alle« und »Familie im Wandel«
beschäftigt ist, bleibt im Verborgenen, was
mit den Frauen und Kindern in der islami-
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MENSCHENRECHTE
WAS LESEN?
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Gemeinschaften für die demokratische
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herrschaft, beenden. Frauen brauchen eine
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Während die Mehrheitsgesellschaft mit
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mit den Frauen und Kindern in der islami-
schen Gemeinschaft passiert: Sie sind dem
Zwang in der Familie ausgeliefert und dort
eingesperrt. Die engagierte Soziologin Necla
Kelek entlarvt dieses Familien-Tabu. Sie
beschreibt, wie es dazu kam, dass Frauen
Beute der Männer wurden und Kinder dem
Patriarchat preisgegeben sind, aber auch,
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strukturen sind. Sie zeigt auf, wie unser
Pochen auf kulturelle Unterschiede und
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verhindern und was konkret geschehen
muss, damit muslimische Frauen und Kinder
rechtlich gestärkt werden.
NECLA KELEK
Dr. phil., geboren 1957 in Istanbul, hat in
Deutschland Volkswirtschaft und Sozio-
logie studiert. Ihre Bücher über Islam und
Integration sind Best- und Longseller. Keleks
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Integration sind Best- und Longseller. Keleks
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