Focus - 21.09.2019

(Joyce) #1

WISSEN


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Der Chef der größten deutschen Krankenkasse, Jens Baas,


setzt voll auf eine digitale Zukunft jenseits von Diensten wie


Google. Die Kassen sollten die Zahl der Kliniken bestimmen


„Dann gestaltet eine Handvoll


Konzerne das Gesundheitswesen“


S


ie sieht sich als die Kranken-
kasse der gehobenen Mittel-
schicht, und sie nimmt unter
ihrem Chef Jens Baas die Rol-
le des exponierten Branchen-
führers geradezu lustvoll an.
„Die Techniker“ arbeitet an
einer eigenen elektronischen Patientenak-
te, bietet zahlreiche Apps fürs individuelle
Gesundheitstraining an, treibt die Digitali-
sierung voran. Baas, ein Schnellredner und
-denker, präsentiert sich im Interview denn
auch ganz unbescheiden als Stratege der
Gesundheitspolitik.


Sie leiten die größte deutsche Krankenkasse,
aber was würden Sie als Bundesgesund-
heitsminister vorrangig in Angriff nehmen?
Als Minister würde ich vor allem die Digi-
talisierung des Gesundheitswesens genau-
so entschieden vorantreiben, wie Jens
Spahn es gerade macht. Zusätzlich wür-
de ich die privaten und die gesetzlichen
Krankenversicherungen in einem neuen
System zusammenführen. Keine Bür-
gerversicherung, sondern eine Kombi-
nation der Vorteile beider Systeme. Das
Geschäftsmodell der Privaten hat Vorteile
bei möglichen Rücklagen und vertrag-
lichen Freiheiten, stößt aber wegen der
im Alter dramatisch steigenden Beiträge
an Grenzen. Die gesetzliche Kranken-
versicherung als Solidarsystem kann das
deutlich besser abfedern. Dieser Aspekt
müsste in einem gemeinsamen System
erhalten bleiben. Es wären dann also alle,
auch die Gutverdiener, am Solidarsystem
beteiligt, wobei es natürlich erlaubt blie-
be, einzelne zusätzliche Leistungen privat
einzukaufen.
Dieser Vorschlag, einen gemeinsamen Ver-
sicherungsmarkt einzuführen, käme bei
Ärzten mit eigener Praxis wohl nicht so gut
an. Die müssten um einen guten Teil ihrer
Einnahmen von Privatversicherten fürchten.
Die kann ich beruhigen: Die ambulant
tätigen Ärzte müssten in einem einheit-
lichen System natürlich höhere Honora-
re erhalten als heute in der gesetzlichen
Krankenversicherung.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn
(CDU) hat festgelegt, dass die Krankenkassen
ab 2021 eine brauchbare elektronische Patien-
tenakte anbieten müssen, die etwa Befunde
und Verschreibungen enthält. Klappt das?
Jens Spahn geht hier mutig voran. Lei-
der kommen aber immer wieder Quer-
schüsse aus anderen Ministerien, die das
Vorhaben durchaus ausbremsen könnten.
Dabei ist allen klar: Eine elektronische


Hüter der Kosten
Jens Baas, 52, ist
Arzt und seit 2012
Vorstand der Tech-
niker Krankenkasse
(10,4 Millionen Ver-
sicherte). Zuvor
war er Partner bei
Boston Consulting

INTERVIEW VON MARKUS KRISCHER UND KURT-MARTIN MAYER
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