Focus - 21.09.2019

(Joyce) #1
GESUNDHEIT

Foto: Markus C. Hurek für FOCUS-Magazin


FOCUS 39/2019 75

Akte, die sensible Daten enthält, muss
hohen Datenschutz-Standards folgen.
Der Patient muss die Hoheit über seine
Daten haben und bestimmen können, wer
was zu sehen bekommt. Es ist wichtig,
dass Deutschland nun endlich handelt.
Sonst übernehmen die Tech-Giganten
dieser Welt das Kommando. Wenn diese
Unternehmen mit digitalen Angeboten,
basierend auf riesigen Gesundheitsdaten-
banken, in den Markt kommen, werden
die Menschen diese auch nutzen, Daten-
schutz hin oder her. Dann gestaltet eine
Handvoll internationaler Konzerne unser
Gesundheitssystem.
Was konkret lässt sich durch die
Digitalisierung in der Diagnose und
der Therapie verbessern?
Eine Menge. Ich bin zum Beispiel davon
überzeugt, dass es in fünf bis zehn Jahren
für Ärzte als Behandlungsfehler gelten
wird, eine Diagnose zu stellen, ohne ein
Expertensystem zu konsultieren. Schon
heute kann künstliche Intelligenz viele
Arten von Röntgenaufnahmen und Patho-
logiebefunden besser analysieren als der
Mensch. Das wird Ärzten und Patienten
in Zukunft ein deutliches Plus an Sicher-
heit bieten.
Mitte Juli kam eine Studie im Auftrag
der Bertelsmann Stiftung zu dem Schluss,
zwei Drittel der Krankenhäuser wären
verzichtbar. Schließen Sie sich dem an?
So weit gehe ich nicht. Doch in der Tat
haben wir zu viele Krankenhausbetten in
Deutschland. Unser Gesundheitssystem
muss selbstverständlich auch den Men-
schen in dünn besiedelten Regionen wie
etwa der Uckermark zur Verfügung ste-
hen. Oft wäre es aber besser, wenn die
Menschen in einem Medizinischen Versor-
gungszentrum statt in einer Klinik versorgt
würden. Es wäre schon viel gewonnen,
wenn der Gesetzgeber jene Krankenhaus-
direktoren in die Schranken wiese, die,
um ihre Betten möglichst gut und teuer
auszulasten, ihre Ärzte anhalten, im Zwei-
felsfall einen aufwendigeren und manches
Mal sogar einen überflüssigen Eingriff zu
empfehlen.
Haben Sie ein Beispiel?
Bei Rückenoperationen wissen wir, dass
einige Ärzte viel zu schnell zum Messer
greifen. Wir von der TK haben da ein
Zweitmeinungsangebot, bei dem Ver-
sicherte mit einer Empfehlung für eine
Rücken-OP ihre Diagnose in speziali-
sierten Schmerzzentren überprüfen las-
sen können. Das Ergebnis: In 90 Prozent
der Fälle raten die Spezialisten von einer

OP ab und empfehlen eine konservative
Behandlung – zum Beispiel durch eine
Physiotherapie. Nur in zehn Prozent der
Fälle ist der Leidensdruck danach noch so
groß, dass sich die Patienten später dann
doch für eine OP entscheiden. Die gro-
ße Mehrzahl der Teilnehmer kommt also
dauerhaft ohne die empfohlene Operation
aus. Und wer legt sich schon gern unnötig
unters Messer?
Kann man so etwas grundsätzlich
unterbinden?
Man sollte einige kleine Kliniken haupt-
sächlich dafür bezahlen, dass sie Grund-
versorgung leisten, insbesondere bei Not-
fällen. Und wir brauchen eine stärkere
Zentrumsbildung mit Spezialisten. In
Hamburg etwa gibt es eine Klinik, in der
die Ärzte nahezu nichts anderes machen
als Prostatakrebsoperationen. Diese Klinik
ist nachweislich erfolgreicher, so liegt etwa
die Rate von Inkontinenz und Impotenz
infolge der Operationen weit unter jener
anderer Krankenhäuser.

Ja, aber darin unterscheidet er sich
kaum von seinem Vorgänger Hermann
Gröhe.
Wie teuer ist ein teurer Minister?
Wenn alle prognostizierten Mehrausga-
ben eintreten, könnte das den Beitrags-
satz um bis zu einen Prozentpunkt heben.
Jetzt hat Jens Spahn das sogenannte Gesetz
für eine faire Krankenkassenwahl an-
gekündigt. Sie unterstützen es – warum?
Es besagt, dass sich auch regionale
Kassen wie die Allgemeinen Ortskran-
kenkassen (AOKen) bundesweit öffnen
müssen, also jeder Versicherte jede Kran-
kenkasse wählen kann, unabhängig von
seinem Wohnort. Damit würden endlich
alle Krankenkassen, auch die AOKen,
der Aufsicht des Bundesversicherungs-
amts unterstellt sein. Heute haben alle
AOKen eine eigene, regionale Aufsicht.
Und das bedeutet: Wir sollen das gleiche
Spiel spielen, aber mit unterschiedlichen
„Schiedsrichtern“. Da sind unterschied-
liche Bewertungen ein und desselben
Sachverhalts programmiert. Es ist also ein
gleicher „Schiedsrichter“ nötig, um einen
fairen Wettbewerb unter den Kassen zu
schaffen und derzeitige Verzerrungen zu
beseitigen. Der Entwurf sieht weiter zahl-
reiche Anti-Manipulations-Maßnahmen
für den Finanzausgleich zwischen den
Kassen vor, über den jährlich mehr als
230 Milliarden Euro verteilt werden. Auch
diese Maßnahmen müssen einheitlich
kontrolliert werden.
Sie haben einige Jahre als Arzt in der Trans-
plantationschirurgie gearbeitet. Wie lässt
sich die Zahl der gespendeten Organe
steigern? Minister Spahn hat ein Gesetz
erlassen, das die Anreize für Kliniken ver-
bessert, potenzielle Spender zu melden.
Und er plant ein weiteres Gesetz, das jeden
Einzelnen zum Spender macht, soweit er
zu Lebzeiten nicht widersprochen hat.
Löst das tatsächlich die Probleme?
Das bereits erlassene Gesetz ist gut.
Ich habe in meiner Zeit in der Chirurgie
beobachtet, dass von den sicher mehr als
1000 Kliniken, die potenziell Spender hät-
ten melden können, tatsächlich gerade
mal eine Handvoll sehr regelmäßig Trans-
plantationskandidaten identifizierte. Hier
kann Spahns Gesetz helfen. Die Wider-
spruchslösung sehe ich hingegen kritisch.
Keines meiner Gespräche mit Angehöri-
gen wäre mit dem Argument „Er hat doch
nicht widersprochen“ einfacher gewesen.
Ich bin stattdessen dafür, dass jeder Ein-
zelne verpflichtet wird, sich zu erklären,
ob er spenden möchte oder nicht. n

Wer kann das steuern?
Neben mehr Aufklärung ist ein Ansatz,
dass Krankenkassen ein größeres Mit-
spracherecht bei der Krankenhauspla-
nung erhalten. Ein Politiker, der in seinem
Wahlkreis eine Klinikschließung oder auch
nur eine Bettenreduzierung betreibt, kann
heute doch seine Wiederwahl vergessen.
Wir hingegen könnten nach anerkannten
Qualitätskriterien vorgehen.
Würden die Krankenkassen nicht eine Menge
Geld sparen, wenn sie fragwürdige Angebote
nicht mehr finanzierten, etwa Homöopathie?
Die Ausgaben dafür sind extrem gering,
in Relation zu den Gesamtausgaben im
Promillebereich. Der Gesetzgeber hat
den Kassen diese Leistungen vor einigen
Jahren explizit ermöglicht. Er könnte das
natürlich auch wieder ändern.
Ist Jens Spahn eigentlich ein teurer Ge-
sundheitsminister, einer, der den Kassen
immer neue Ausgaben aufbürdet?

„Bei Rücken-OPs


wissen wir, dass einige


Ärzte viel zu schnell


zum Messer greifen“


Jens Baas
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