THEATER
FOCUS 41/2019 99
D
as Schicksal meinte es
nicht gut mit ihr. Gleich
zu Beginn hatte Kultur-
staatsministerin Monika
Grütters Pech auf ihrer
Theaterreise. Drei Tage,
drei Städte, drei Bühnen.
Das ist der Plan. Mittwoch
zwölf Uhr waren sie und ihr Tross vom
Kanzleramt aufgebrochen, um in Han-
nover, Bremen und Rendsburg über das
„Stadttheater der Zukunft“ zu disku-
tieren und Beispiele für den sperrigen
Begriff „Kultur im ländlichen Raum“ zu
sehen. Stattdessen betrachteten sie und
ihre Mitreisenden jene dünn besiedel-
ten Landstriche durch die Scheiben des
meist stehenden Busses: Die A 2 bei Mag-
deburg war nach einem fürchterlichen
Lkw-Unfall gesperrt.
Um 20 Uhr in Hannover angekommen,
lief die Aufführung von „Zeit aus den
Fugen“ längst. Also Essen und Gespräch
statt Drama. Seit dieser Spielzeit leitet
Sonja Anders das Schauspielhaus Hanno-
ver. Es ist eines der wenigen großen Häu-
ser unter den rund 140 öffentlich getra-
genen Theatern in der Republik, an dem
eine Frau Chef ist. Und das Stück hätte
wohl perfekt in das Konzept der Exkur-
sion gepasst, weil es von einer jungen
Regisseurin inszeniert wurde.
Erster Tag, Schauspiel Hannover
Genau so ein Exempel wollte die Orga-
nisatorin der Reise, Yvonne Büdenhölzer,
der CDU-Politikerin präsentieren. Büden-
hölzer leitet das „Berliner Theatertref-
fen“ und nutzte den Trip auch, um ihre
eigene Agenda voranzubringen: Ihr geht
es vorrangig um „Geschlechtergerechtig-
keit“ an den Bühnen. Für die nächsten
beiden Ausgaben des wichtigsten deut-
schen Theaterfestivals hatte Büdenhöl-
zer im April eine Frauenquote im Regie-
fach angekündigt. Die Hälfte der zehn
„bemerkenswertesten Inszenierungen“
müssen ab 2020 von Frauen stammen.
Mit diesem Schritt verärgerte sie
Monika Grütters allerdings massiv. Die
57-Jährige, durchaus modern und selbst
Feministin, aber keine „Kampfhenne“,
war 2013 von Kanzlerin Angela Merkel
als liberale CDU-Frau in die Regierung
gebeten worden. Grütters beruft qualifi-
zierte Frauen in Führungspositionen, wo
sie kann. Quoten in der Kunst lehnt sie
jedoch ab. Sie befürchtet, dass die Leis-
tung weiblicher Künstler durch solcherlei
Reglementierung abgewertet würde.
In ihrer Ansprache in der Cumberland-
schen Galerie des Schauspielhauses stell-
te Grütters Fragen, auf die sie sich Ant-
worten erhoffte: Wie verortet das Theater
sich in der Stadtgesellschaft? Ist es ein
Ort der Begegnung? Wie behauptet es
sich gegen rechte Populisten? Wie gegen
die Flut digitaler Unterhaltungsangebote?
An diesem langen Abend, aber auch in
zwei weiteren mehrstündigen Gesprächs-
runden in Bremen, sprachen allzu viele
der eingeladenen Theatermacher über
ganz andere Aspekte, die oft mit der eige-
nen Biografie zu tun hatten. Mit scharfen
Worten prangerte etwa Regisseurin Julia
Wissert die Ignoranz vieler Theater an,
weil diese nicht ihre „Lebenswirklichkeit
als ‚Person of Color‘ abbilden“. Ab 2020
kann sie das als Intendantin am Schau-
spiel Dortmund ändern.
Der Hildesheimer Intendant Jörg Gade
dagegen schilderte, wie sein Theater 60
Orte in der Region bespiele. Nach 13 Jah-
ren hört er auf. Grütters horchte auf. Sie
betonte, dass sie helfen wolle, Einrich-
tungen zu sichern. Über eine „institu-
tionelle Förderkompetenz“ verfüge der
Bund nicht, daher darf sie keine Theater
finanzieren, nur Theaterpreise verleihen.
Es gebe aber andere Förderprogramme.
Sie fühlt sich eher „zuständig für
Ermutigung und Wertschätzung“. Wenn
man sie im Kreise der Kulturschaffenden
erlebt, glaubt man ihr das gern. Zurzeit
bereiten ihr ziemlich komplexe Aufgaben
erheblichen Druck. Es gilt, einen Chef-
posten im Jüdischen Museum Berlin neu
zu besetzen, ein für 450 Millionen Euro
geplantes Museum der Moderne, eben-
falls in Berlin, durch den Haushaltsaus-
schuss zu bringen und ihr Prestigeprojekt
Humboldt Forum, ein gigantisches Muse-
um im wiederaufgebauten Berliner Stadt-
schloss, endlich mit Inhalten zu füllen.
Zweiter Tag, Schwankhalle Bremen
Trotzdem investierte die leidenschaft-
liche Theatergängerin diese drei Arbeits-
tage (und ihr halbes Wochenende) für
die Vermessung der Theaterlandschaft im
Nordwesten. Den Westen und den Osten
hatte sie 2015 und 2016 bereist. Gedul-
dig hört sie zu, fragt nach, ist meistens
aufmerksam, an Details oft interessiert,
auch mal irritiert oder gar spöttisch, zum
Beispiel beim exzessiven Gendern der
Theaterszene. Sie sagt: Bei uns sind
Sternchen verboten. Es gibt Wichtigeres.
Die Schwankhalle ist eine Spielstät-
te für die freie Szene in Bremen. Mit
Ermutigung für kleinere Häuser
Grütters besuchte den Nordwesten
Aufmerksamkeit für die Provinz
Vor dem Stadttheater Rendsburg
Anerkennung für Theaterfrauen
Organisatorin Yvonne Büdenhölzer