Warner Bankmanager Schleweis,
65, gehört zu den vehementen
Kritikern der EZB-Geldpolitik
MEINUNG
»
Die Geldpolitik
führt zu einer
Umverteilung
von unten
nach oben.
Schwächere
Bevölkerungs-
gruppen
verlieren
schrittweise
ihre Altersver-
sorgung
Foto: Marko Priske/laif «
D
eutschland muss
sich wegen des
verlangsamten
Welthandels
auf eine Phase
gedämpften wirt-
schaftlichen Wachstums ein-
stellen. Die bisherige Dyna-
mik stößt an Grenzen, weil
den Unternehmen die nöti-
ge Infrastruktur und damit
Planungssicherheit fehlt.
Dämpfend wirken der Fach-
kräftemangel, die demogra-
fische Alterung, weltpoliti-
sche Unsicherheit und große
Lücken bei digitalen und
Verkehrsnetzen.
Gleichzeitig müssen alle
Teile unserer Gesellschaft
mit einer Geldpolitik der
Europäischen Zentralbank
(EZB) umgehen, deren Maß-
nahmen zunehmend ins
Leere steuern und deren
negative Auswirkungen
immer stärker hervortreten.
Die Null- und Minuszins-
politik droht inzwischen die
noch bestehende wirtschaft-
liche Dynamik zu ersticken,
gefährdet die Stabilität des
Finanzsystems und führt für
Kunden zu höheren Preisen.
Sie entwertet zudem alle
kapitalgedeckten Vorsor-
gesysteme, vor allem Pen-
sionskassen, betriebliche
Altersversorgungen, Lebens-
versicherungen und Stiftun-
gen. Fehlende Zinsen und
Zinseszinsen werden in vie-
len Fällen zu einem Nach-
finanzierungsbedarf führen.
In alternden Gesellschaf-
ten wird das die Kapital-
spielräume der jungen
Generation und der Unter-
nehmen in Zukunft deutlich
einengen.
Hinzu kommt, dass die
Geldpolitik auch zu einer
Umverteilung von unten
nach oben führt. Kapital-
stärkere Bevölkerungskreise
können Anlagechancen auf
Kapital- und Immobilien-
märkten nutzen. Schwächere
Gruppen verlieren schritt-
weise ihre Altersversorgung.
Mit nachlassender Konjunk-
tur wird dieser Effekt immer
deutlicher werden. Das
bringt Millionen Familien
in eine instabilere Position.
Denn die Deutschen gehen
mit nur gut 50 Prozent des
letzten Einkommens in den
Ruhestand. Anderswo in
Europa ist es deutlich mehr.
Die Menschen sparen also
aus guten Gründen gegen
das Zinstief an. Inzwischen
jedoch mit einem Ertrag
nahe null – weil niemand
Zinsen und Prämien mehr
auszahlen kann, die es am
Markt nicht mehr gibt.
Das erneute Hochfahren
des Anleihekaufprogramms
schadet der Kreditwirtschaft.
Die EZB hält bereits rund
ein Drittel der europäischen
Staatsanleihen. Sie ver-
knappt so für andere Markt-
teilnehmer weiter die Anla-
gemöglichkeiten und stellt
alle Banken vor die gleiche
Herausforderung. Sie kön-
nen sich in ihrer Geschäfts-
politik – schon aus auf-
sichtlichen Gründen – nicht
dauerhaft gegen die Markt-
bedingungen stellen.
Die Einführung von Staf-
felzinsen ist zwar ein richti-
ger Schritt, allerdings wer-
den damit nur die direkten
Auswirkungen der Negativ-
zinsen etwas abgefedert. Die
indirekten Belastungen der
expansiven Geldpolitik sind
weit größer und steigen mit
dem neuen Maßnahmen-
paket der EZB noch an. Wir
haben es mit dauerhaft prä-
genden Marktverzerrungen
in allen wichtigen Märkten
- bei Einlagen, Krediten und
im Anlagebereich – zu tun.
Da eine Änderung des
Marktumfelds nicht in Sicht
ist, sollte die öffentliche
Hand ersparte Zinsen an die
Sparer zurückgeben. 16,6
Billionen Euro Staatsanlei-
hen rentieren heute nega-
tiv. Das ist etwa ein Viertel
der Euro-Staatsanleihen.
Allein die öffentliche Hand
in Deutschland hat 360 Mil-
liarden Euro durch Negativ-
zinsen gespart. Die Sparer
haben 300 Milliarden Euro
verloren.
Wertzuwächse sind aktuell
nur bei Vermögenspreisen
zu beobachten. Es ist des-
halb eine wichtige politi-
sche Zielsetzung, die breite
Bevölkerung daran teilha-
ben zu lassen. Möglich wäre
dies durch Erleichterungen
beim Wertpapiersparen, eine
Modernisierung des Vermö-
gensbildungsgesetzes und
die schwerpunktmäßige
Ausrichtung auf das Wertpa-
piersparen. Und außerdem
sollten die Grunderwerb-
steuern gesenkt werden. n
Die Null- und Minuszinspolitik der EZB erstickt die wirtschaftliche Dynamik. Der Staat
sollte die Zinsen, die er durch negative Anleihen spart, an die Bevölkerung zurückgeben
Das Finanzsystem im Stresstest
Von Helmut Schleweis
Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands
FOCUS 41/2019 65