Mittwoch, 9. Oktober 2019 WIRTSCHAFT 25
Ferag muss sich neu erfinden
Mit der Zeitun gsbranche ist der Maschinenherstel ler aus Hinwil reich geworden – doch die früheren Absatzmärkte gibt es kaum noch
Das FamilienunternehmenFerag
muss sich in einem neuen Markt
behaupten.Weil das Geschäft
mit der grafischen Industrie
zu 85% weggebrochen ist,
versucht dieFirma ihr Glück
nun in der Intralogistik.
DOMINIK FELDGES, HINWIL
Das Areal des Industrieunternehmens
Ferag im zürcherischen Hinwil ist derart
gross,dass die Beschäftigten dort jog-
gen gehenkönnten. Die vielen Blumen-
rabatte undRasenflächen,die trotz der
schweren Krise, in der dieFirma steckt,
nach wie vor liebevoll gepflegt werden,
wirken einladend.Wer die Kantine oder
dasTr eppenhaus des Bürohochhauses,
in dem die stark geschrumpfteVerwal-
tung vonFerag tätig ist, betritt, fühlt sich
in die1980erJahre versetzt.Vieles sieht
wie vor 40Jahren aus.
Vorbei mit Millionenauflagen
Damals verzeichneten Zeitungsdrucke-
reien, die langjährige Hauptkunden-
gruppe vonFerag, boomende Geschäfte.
Zeitungen und Magazine strotzten vor
Inseraten. Zudem wurden ihnen zahlrei-
che Prospekte und Beilagen beigefügt.
In bevölkerungsreichenLändern wie
Deutschland oder Grossbritannien er-
reichten Massenblätter wie «Bild»,
«Daily Mirror» oder«T he Sun» Mil-
lionenauflagen. Solch riesigeVolumen
stellten Druckereien vor grosse techni-
sche und logistische Herausforderungen,
deren Bewältigung indes kaum eine an-
dereFirma so gut beherrschte wieFerag.
Das 1956 gegründete Unternehmen
begann seine Tätigkeit mit der Herstel-
lung vonFörderbändern für denTr ans-
port vonZeitungen von der Druck-
maschine bis zurVerladerampe. Die
Firma verfeinerte ihr Angebot für die
sogenannte Intralogistik von Drucke-
reien laufend. Es kamen Maschinen für
das Sortieren von Zeitungen sowie das
Einlegen von Beilagen hinzu. Die Klam-
mern für das Befestigen der einzelnen
Zeitungsexemplarebei der Beförderung
in luftiger Höhe quer durch die Hallen
von Druckereien machtenFerag in der
ganzenWelt bekannt.
Platz imÜberfluss
1962 zog das vom Schaffhauser Maschi-
neningenieurWalterReist gegründete
und lange Zeit von ihm geführte Unter-
nehmen an den heutigen Standort am
Ortsrand von Hinwil.Dank boomen-
den Geschäften breitete sich dieFami-
lienfirma auf dem heute 88 000 Qua-
dratmeter umfassenden Gelände immer
weiter aus. Nach amerikanischemVor-
bild wurde beidseits der Kantonsstrasse
ein Campusmit Büro- und Produktions-
gebäuden sowie Grünflächen und zahl-
reichenParkplätzen errichtet.
Auf dem Höhepunkt vor rund zwölf
Jahren arbeiteten am Stammsitz von
Ferag ungefähr 10 00 Mitarbeiter. In-
zwischen ist die Zahl der Beschäftig-
ten–einschliesslich 60 Lehrlingen–auf
510 geschrumpft. Im Zuge einer Mas-
senentlassung, welche dieFirma Ende
August 20 19 angekündigt hat, wird die
Belegschaft nun nochmals um knapp
einen Drittel auf rund 300 Mitarbeiter
schrumpfen.Ausgenommen von dieser
Rechnung sind die Lehrlinge, die alle
ihrenAusbildungsplatz behalten sollen.
Die bereits vorhandenen Leer-
ständeauf demFirmenareal werden da-
durch weiter zunehmen. Um sie zu fül-
len, werden Mieter benötigt. Die Suche
nach ihnen dürfte sich angesichts des
schon vorhandenen Überangebots an
Büros im Grossraum Zürich nicht ein-
fach gestalten. DieseAufgabe braucht
den neuen Chef vonFerag,Manfred
Zurkirch, allerdings nicht zu kümmern.
Nach seinen Angaben zahlt das Indus-
trieunternehmen lediglich für die Flä-
chen, die es belegt.
Der neueKonzernleiter, der per An-
fangJuni 20 19 zum Unternehmen ge-
stossen ist,hatandere Herausforderun-
gen zu meistern.Wie er im Gespräch
ausführt, gilt es zunächst, zwei Löcher
zu stopfen, deretwegen es bei derFirma
in den vergangenenJahren zu einem er-
heblichen Mittelabfluss gekommen ist.
Gemeint sind damit nicht nur die Über-
kapazitäten, die demKonzern im ange-
stammten Geschäft mit Zeitungsdrucke-
reien zu schaffen machen,sondern auch
Schwierigkeiten beimAufbau eines
neuen Standbeins.
Die Ferag-Gruppe versucht näm-
lich bereits seit einigenJahren, ihre Pro-
dukte für die Intralogistik auch ande-
ren Branchen wie dem E-Commerce-
Sektor oder Unternehmen aus der ver-
arbeitenden Industrie schmackhaft zu
machen. Es gelang ihr, einige namhafte
Kunden zu gewinnen, doch bekunde-
ten Mitarbeiter des Unternehmens of-
fenbar wiederholt Mühe bei der saube-
renKalkulation von Projekten.Weil die
Kriterien für die Abnahme aufseiten
derKunden nicht genügend klar defi-
niert worden waren, kam es zu mehre-
ren Kostenüberschreitungen. Sie sorgen
bis heute für Diskussionen.
Operationam offenen Herzen
Zurkirch, der über langjährige Erfah-
rungin derFührung vonIndustrie-
unternehmen verfügt, willdem nun
einen Riegel schieben.Das Controlling
soll als einzige Abteilung derFirma in
nächster Zeit ausgebaut werden. Zu-
dem sollen die vonKostenüberschrei-
tungen betroffenen Projekte Schritt
für Schritt zum Abschluss gebracht
werden, wobeiFerag auf eine güt-
liche Beilegung der Streitpunkte mit
denKunden hofft. Doch damit nicht
genug: Zurkirch ist sich bewusst, dass
das Unternehmen auch mit grosser Ge-
schwindigkeit sein Angebot für neue
Kundengruppen ausbauen muss – das
gleicht gewissermassen einer Operation
am offenen Herzen.
DieFirma Ferag, diesich noch immer
zu 1 00 % inFamilienbesitz befindet, ver-
öffentlichtkeine Geschäftszahlen. Aller-
dings steht ausserFrage, dass die Ent-
wicklung der vergangenenJahre die
Bilanz und die Ertragskraft desKon-
zerns lädiert hat.Laut dem Unterneh-
men beträgt der heutige Umsatz im an-
gestammten Geschäft mit der grafischen
Industrie nur noch ungefähr15% des
Volumens, das vor zehnJa hren erwirt-
schaftet wurde.Anders gesagt sind der
Gruppe innerhalbvon nur einer Dekade
85% der Aktivitäten in diesem Bereich
weggebrochen.Tr otz den Anstrengun-
gen beimAufbau des Intralogistik-Ge-
schäfts konnten diese Einbussen bis
heute nur teilweise wettgemacht wer-
den. «Das neue Standbein ist nicht
schnell genug profitabel gewachsen»,
hält Zurkirch fest.
Als die damalige Geschäftsleitung
vor ungefähr siebenJahren auf die Idee
mit der Intralogistik kam, liess sie selbst-
bewusst eine Broschüre mit demTi-
tel«Der Zukunft einen Schritt voraus»
publizieren. Inzwischen ist das Unter-
nehmen jedoch längst von der Zukunft
eingeholt worden, und es muss aufpas-
sen, dass es in der Intralogistikvon den
Konkurrenten bei der Entwicklung von
Produktneuheiten und in der Markt-
bearbeitung nicht überholt wird.
Potente neue Konkurrenten
Die Intralogistik umfasst sowohl Hoch-
regallager als auch Anlagen, welche die
Waren in einemVerteilzentrum oder in
einerFabrik bis zumLastwagen an der
Rampe befördern. Ferag ist lediglich
im zweiten Bereich tätig.Weil immer
mehrWaren online bestellt werden, hat
die Branche in den vergangenenJahren
einen starkenAufschwung erlebt.Ver-
teilzentren bekannter Internetversand-
händler wie Amazon oder Zalando sind
wie Pilze aus dem Boden geschossen.
Feragkonnte in den vergangenen
Jahren vom Marktwachstum, das Zur-
kirch auf 13 bis15% beziffert,mitpro-
fitieren. Allerdings ist dieFirma starker
Konkurrenz ausgesetzt. Bei vielenWett-
bewerbern wie dem deutschen Unter-
nehmen SSI Schäfer oder der öster-
reichischen Knapp-Gruppe handelt
es sich um multinationale Unterneh-
men mit mehreren tausend Beschäftig-
ten. Der deutsch-chinesische Branchen-
riese Kion, der 20 18 einen Umsatz von
8Mrd.€erwirtschaftete,zählt sogar
33000 Mitarbeiter.
Solch potenten Unternehmen Markt-
anteile abzuknöpfen,wiees Zurkirch
vorschwebt, dürfte eine höchst an-
spruchsvolle sowiekostspieligeAufgabe
werden. Offen ist, über welche finanziel-
len Mittel dieFirma noch verfügt. Of-
fenbar steht die Eigentümerfamilie aber
voll hinter demTurnaround-Plan. Sie
wisse «haargenau», wie viel das Ganze
kosten werde, istaus derFirmenzentrale
in Hinwil zuerfahren.
Patron sah Krise kommen
Der Unternehmenschef Zurkirch ist
überzeugt, mit der verbleibenden Stamm-
belegschaft vonrund300 Mitarbeitern
vorläufig auskommen zukönnen. Aller-
dings wird er auf längereSicht nicht
um eineVerjüngung herumkommen.
Von den derzeitigen Beschäftigten ist
di e Hälfte über50 und dürfte damit
kaum zur Stammkundschaft aufstreben-
der Internetfirmen wie Amazon oder
Zalando zählen.
Der frühere PatronWalterReist
waralsTüftler bekannt und brachte es
mit seinen Leuten fertig, in derFörder-
technik eine grosse Zahl von Neuhei-
ten patentieren zu lassen. Mittlerweile
92 -jährig, dürfte er, wie Angestellte des
Unternehmens berichten, nur noch am
Randewahrnehmen, wasaus seinem
Lebenswerk geworden ist. «Er will es
wahrscheinlich im Detail auch gar nicht
mehr wissen», sagt ein Insider.Eines
muss manReist aber lassen. In einem
Interview mit der «Bilanz» sagte er An-
fang 2010, dass er der gedruckten Zei-
tung «noch etwa zehnJahre» gebe. Hät-
ten seine Nachkommen doch nur besser
auf ihn gehört.
Die Diversifizierung zu verschlafen, rächt sich
Dass Erfolg blind mach en kann, mussten schon viele Unternehmer erfahr en. Der Maschinenherstel ler Ferag aus dem Zürcher Oberland
profitierte jahrzehntelang von boomenden Ge schäften mit der grafischen In dustrie. Doch hat das Unternehmen den Aufbau neuer Standbeine vernachlässigt.
In mittlerweile star k ge schwächter Verfassung muss di e Firma nun eilends die Diversifizierun g nachholen.
Die einst stolzeFirma hat viel von ihrer früheren Strahlkraft verloren. PD
Dasgrosszügige Firmengelände ist trotz Krise sehr gepflegt,dochdie Gebäudesind unterbelegt. PD