Süddeutsche Zeitung - 02.10.2019

(avery) #1
interview: freddie röckenhaus

SZ: Herr Watzke, in diesem Oktober er-
scheint Ihre Biografie. Ist das wirklich ein
guter Zeitpunkt für eine Zwischenbilanz
zwischen Buchdeckeln?
Hans-Joachim Watzke: Es gibt nie einen
günstigen Zeitpunkt. Es gab eben immer
wieder solche Buchanfragen, und ich habe
immer abgelehnt. Durch meinen 60. Ge-
burtstag dieses Jahr haben sich die Nach-
fragen noch mal gesteigert. Der Grund,
warum ich es jetzt gemacht habe, ist am
ehesten der, dass ich mir sage: Dann hast
du mal was, was du später deinen Enkelkin-
dern zeigen kannst. Ich bin ganz zufrieden,
und am Ende profitieren der Nachwuchs
meines Heimatklubs Erlinghausen und
die BVB-Stiftung von den Einnahmen.
Sie wissen, warum wir fragen: Der BVB
hat eigentlich vor, um den Meistertitel zu
spielen, hat im Moment aber den schlech-
testen Saisonstart seit fünf Jahren vorzu-
weisen. Marco Reus ist vergangene Wo-
che sauer geworden, als ihn ein Sky-Re-
porter fragte, ob die Mentalität der Mann-
schaft eigentlich in Ordnung sei.
Jeder definiert den Begriff Mentalität doch
anders. Ich nehme jetzt mal – Achtung! –
das Beispiel Schalke 04. Das ist die Mann-
schaft der vergangenen Saison, der man
medial jegliche Mentalität abgesprochen
hat. Das habe ich selten so schroff erlebt.
Als bestes Beispiel kann man Amine Harit
nehmen. Der wurde ja durchs Feuer ge-
schickt. Doch jetzt ist an ein paar Stell-
schrauben gedreht worden, und auf ein-
mal wird die Mentalität von Harit und den
Schalkern über den grünen Klee gelobt. Ob-
wohl die Mannschaft personell so gut wie
unverändert ist. Ich würde sagen: Entwe-
der hast du Mentalität – oder nicht.
Die einzige größere Stellschraube bei
Schalke, die getauscht wurde, war der
Wechsel des Trainers.
Ja, aber wenn der neue Trainer auf ein
Team trifft, das keine Mentalität hat, kann
er nichts ändern. Offenbar war die Mentali-
tät in der Schalker Elf vorher schon vorhan-
den. Sie musste nur geweckt werden.
Das Wort Mentalität ist von Ihnen, BVB-
Sportdirektor Michael Zorc und BVB-Be-
rater Matthias Sammer vor der letzten Sai-
son selbst ins Spiel gebracht worden. Sie
hatten Spieler wie Axel Witsel oder Tho-
mas Delaney ausdrücklich geholt, um
mehr „Mentalität“ reinzubringen.
Ich bin auch der Meinung, dass unsere
Mannschaft eine sehr gute Mentalität hat.
Als wir am Ende der vergangenen Saison
bei Hertha in den letzten Minuten zwei To-
re machen und gewinnen, wurde von „Men-
talitätsmonstern“ geschrieben. Wenn du
aber zwei Minuten vor Schluss selbst einen
reinkriegst, wird auf einmal das Gegenteil
behauptet. Das führt nicht zum Ziel. Das
sind reine Schlagwort-Diskussionen.
Jetzt sind wieder die Medien schuld?
Nein. Aber vielleicht diskutiert man es bes-
ser mal so: Wir haben einen Kader, in dem
die meisten Spieler fußballerisch auf sehr
hohem Niveau agieren, mit sehr viel Tech-
nik, sehr viel Speed. Solche Mannschaften
schweben immer in der Gefahr zu glauben,
damit alles lösen zu können. Diese Gefahr
ist bei extrem talentierten Fußballern la-
tent vorhanden. Wir müssen den Spielern
klarmachen, dass zu richtiger Qualität
auch totale Fokussierung über 95 Minuten
gehört. Die Bereitschaft, auf höchstem Le-
vel gierig zu bleiben. Und dem Gegner das
zu zeigen. Da ist bei uns Luft nach oben.


Also so richtig falsch hat Ihr Torwart Ro-
man Bürki nicht gelegen, als er sich nach
dem 2:2 gegen Bremen beschwert hat, vie-
le würden beim BVB „nicht wie Männer“
spielen? Ist das nicht immer noch der Un-
terschied zu großen Klubs wie Real Ma-
drid oder auch Bayern München, dass die
Spieler dort auch überragende Fußballer
sind, aber die meisten obendrein eine ge-
sunde Härte und Giftigkeit haben?
Deswegen sind diese Mannschaften ja et-
was Besonderes. Da möchten wir auch hin.
Da müssen wir dran arbeiten. Ich möchte
aber anmerken: Vor etwa einem Jahr wur-
den den Bayern ähnliche Vorwürfe ge-
macht wie uns heute. Sie hatten auch einen
holprigen Start. Und vielleicht haben wir
jetzt so eine Phase. Wir müssen lernen, un-
ser Tor wieder mit Zähnen und Klauen zu
verteidigen, und dürfen uns nicht nur auf
unseren schönen Fußball verlassen.
Warum hat Dortmund ausgerechnet bei
Standardsituationen so viele Probleme?
Die kann man am leichtesten trainieren.
Ja, die kann man am leichtesten trainieren.
Aber es fallen auch allgemein nach Freistö-
ßen und Eckbällen viele Tore. Das sind die
Momente, in denen Fokussiertheit und
Schärfe und deine Hingabe, dein Tor zu ver-
teidigen, ganz besonders gefragt sind.
Auch da ist bei uns Luft nach oben.
Was meinte Bürki denn mit der Aussage,
man habe nicht gespielt wie Männer?
Erst mal muss man sagen: Die Spieler kön-
nen einem in manchen Momenten auch
leidtun. Da hast du dich 95 Minuten abge-
kämpft, und dann sollst du kurz nach Ab-
pfiff mit einer 150er-Herzfrequenz druck-
reif analysieren. Eigentlich müssten alle
Spieler erst mal 30 Minuten Abstand ge-
winnen, ehe sie sich äußern. Aber die Medi-
en zahlen ja auch sehr viel Geld dafür, und
deshalb muss man das in Kauf nehmen.
Die Aussage von Bürki klingt aber auch
einfach nach Wahrheit. Oder?
Ja, das mag sein. Aber es wird in der Welt
der Medien heutzutage nun mal viel mehr
draus gemacht, als punktuell drinsteckt.
Der Kontext fällt dann weg, es wird genera-
lisiert. Er hat nicht völlig unrecht mit dem,
was er gesagt hat, aber es ist angesichts der
Situation auch Wasser auf die Mühlen.
Die Situation ist, dass der BVB von sechs Li-
gaspielen nur drei gewonnen hat. Und ge-


gen drei Gegner aus dem Mittelmaß gin-
gen schon sieben Punkte verloren.
Ja, alles richtig, und es ist ja auch nichts
Schlimmes, was Bürki gesagt hat. Aber ei-
ne halbe Stunde später hat er das schon an-
ders formuliert. Wenn man sich die Gegen-
tore gegen Werder Bremen ansieht, dann
verlieren wir beim ersten Tor den entschei-
denden Zweikampf ...
... ausgerechnet durch Witsel.
Ja. Das passiert, sollte es aber nicht. Da
muss man notfalls auch mal bereit sein,
das Spiel zu unterbrechen.
Das heißt: taktisch foul spielen?
Wie auch immer. Uns passieren solche Din-
ge übrigens meistens, wenn wir auf Geg-
ner treffen, denen wir uns fußballerisch
überlegen fühlen. Gegen Bayern im Super-
cup oder gegen Barcelona in der Champi-
ons League spürst du, dass unsere Spieler
wissen: Okay, fußballerisch sind die min-
destens auf unserem Niveau, also müssen
wir heute auch die anderen Dinge in die
Waagschale werfen. Wir müssen also dar-
an arbeiten, dass wir auch in den normalen
Spielen bereit sind, mit dem Messer zwi-
schen den Zähnen Fußball zu spielen. Und
uns komplett auch in der Defensive reinzu-
hauen, als gäbe es kein Morgen.
Wie ändert man das? In der Vorsaison hat-
te Dortmund ja dasselbe Problem: Gegen
die Spitzenteams neun Siege in zehn Spie-
len, und nur das 0:5 in München. Aber vie-
le Punkte gingen gegen vermeintlich klei-
nere Gegner und spätere Absteiger verlo-
ren. Wiederholt sich das gerade?
Wir müssen im Laufe unserer Entwick-
lung allmählich den Anspruch haben, so
ziemlich jedes Spiel zu gewinnen. Wenn
ich mir eine Mannschaft wie die von Juven-
tus Turin anschaue: Die sind extrem aufs
Resultat fokussiert. Davon brauchen wir
ein bisschen mehr. Also uns nicht nur über
schönen Fußball definieren, sondern auch
über knallharte defensive Einzelarbeit.
Wenn wir Titel gewinnen wollen, müssen
wir an dieser Weggabelung, an der wir uns
gerade befinden, klar erkennen: Nur mit
schönem Fußball wird das nichts!
Fehlt ein Typ Effenberg oder Matthäus?
Mir würde eher Matthias Sammer einfal-
len. Er hatte auch nicht unbedingt die
höchsten Beliebtheitswerte wegen seiner
Art, weil er oft angeeckt ist, mit seiner Gier
nach dem Optimum. Solche Spieler nerven
ihre Mitspieler, aber auf eine positive Art.
Und du musst auch Spieler haben, die sich
nerven lassen. Weil sie erkennen, dass
man diese absolute Gier benötigt, einfach
jedes Spiel gewinnen zu wollen. Aber das
ist auch eine Entwicklung. Selbst in unse-
rer Zeit mit Jürgen Klopp hat sich das nicht
von heute auf morgen ergeben. Die Mann-
schaft damals war fußballerisch nicht so
stark wie unsere heutige. Aber die haben
dem Gegner aufgezeigt: Pass auf, du
kannst das Spiel hier heute vergessen.

Sie bleiben aber bei der Zielsetzung, Meis-
ter werden zu wollen?
Daran korrigieren wir nichts. Wir versu-
chen alles. Nicht mehr, nicht weniger.
Bedauern Sie, dassSie nach der guten letz-
ten Saison nicht umhinkamen, die Titel-
ambitionen offen auszurufen?
Nein. Wir waren in den vergangenen zehn
Jahren achtmal in der Champions League,
zweimal in der Europa League, wir waren
zweimal Meister, viermal Vizemeister,
zweimal Pokalsieger und 2013 im Champi-
ons-League-Finale. Borussia Dortmund
war noch nie so konstant in seiner Ge-
schichte wie jetzt. Unser nächster Schritt
muss sein, dass wir vor jeder Saison zumin-
dest als Mitfavorit auf die Meisterschaft ge-
nannt werden. Da wollen wir hin.
Beim SC Freiburg, wo der BVB am Sams-
tag antritt, witzeln einige schon, dass Dort-
mund nun ein Freiburg-Jäger sei. Frei-
burg ist Dritter, der BVB Siebter. Verliert
der BVB dort erneut Punkte, ist der Zug
für etliche Wochen abgefahren, oder?
Ich glaube, dass wir aufhören müssen, in

unseren eigenen Fußball verliebt zu sein.
Wir sollten stattdessen verliebt ins Gewin-
nen sein. Darum geht’s.
Ihr Kader verspricht derzeit so viel...
... ja, und kann es noch nicht halten. Aber
das kann sich schnell ändern. Die Qualität
ist da!
Mario Götze war am Samstag gegen Bre-
men ein Lichtblick im BVB-Spiel, aber ein
Mittelstürmer ist er nicht. Geht die Philo-
sophie von Trainer Lucien Favre auf die-
sem Niveau wirklich auf, keinen echten
Strafraum-Rambo zu haben?
Man muss beide Möglichkeiten im Kader
haben. Paco Alcácer ist ein Typ, der im
Strafraum explodiert, der auch auf Positio-
nen steht, wo Mario eben nicht auftaucht.
Mario interpretiert das anders. Ein Kader
lebt auch davon, dass er über Unterschied-
lichkeit verfügt. So oder so: Wir müssen si-
cher am wenigsten darüber diskutieren,
dass wir zu wenig Tore schießen. Wir ha-
ben auch gegen Frankfurt und Bremen je-
weils zwei Tore geschossen. Das muss mal
zum Gewinnen reichen. Was wir lernen
müssen, ist, unser Tor zu verteidigen!
Man sagt immer: Verteidigen kann man
lernen, Kreativität nur sehr bedingt.
Im Moment würde ich sagen: Wir lernen ja
auch etwas. Vielleicht haben wir nur mal ei-
nen Hänger. Schauen Sie sich mal an, wie
schwer Barcelona in die Saison kommt, Ar-
senal, Tottenham und sogar Manchester
City. Wir werden in den nächsten Wochen
sehen, ob wir wirklich schwächeln. Uns feh-
len derzeit nur zwei oder drei Punkte. Die
Frage, woran es liegt, können die sportlich
Verantwortlichen besser beurteilen als ich,
weil sie jeden Tag dabei sind. Letztlich ist
es die Aufgabe des Trainerstabs, die Situati-
on zu analysieren und zu verbessern.
Bremens Trainer Florian Kohfeldt war am
Samstag ein bisschen stolz darauf, dass er
seiner Elf in der Halbzeit, bei 1:2-Rück-
stand, einbläute, dass sie bedingungslos
attackieren solle. Wenn es schiefgehe,
würde er alle Schuld auf sich nehmen. Ist
das eine Art und Weise, die man von
Lucien Favre auch erwarten könnte?
Jeder Trainer ist anders. Manche sind ex-
trovertierter, manche introvertierter. Ich
bin in der Halbzeit nicht in der Kabine und
kann das nicht beurteilen.
Aber gibt nicht jeder Trainer seine eigene
Art – oder eben: Mentalität – ein Stück
weit an die Mannschaft weiter? Das soll ja
eigentlich auch so sein.
Das war in der vergangenen Saison ja auch
so. Und ich weiß nicht, wie viele Punkte wir
unter Lucien Favres Leitung besser waren
als Werder Bremen.
Ist das jetzt nicht ein bisschen unfair, ange-
sichts der finanziellen Unterschiede zwi-
schen beiden Klubs?
Mag sein. Vielleicht hätten wir den Bre-
mern in den ersten zehn Minuten mal deut-
liche Signale geben müssen, dass für sie

hier nichts zu holen ist. Wir hatten nichts-
destotrotz glasklare Torchancen. Hätten
wir 3:2 gewonnen, wären wir jetzt Zweiter,
und alle Diskussionen liefen anders.
Sie sagten zuvor, dass Dortmund nicht we-
gen eines Mangels an Toren scheitere. Ihr
Team vergibt aber sehr viele Chancen.
Ja, aber wenn du das 3:2 machst, sieht es
eben ganz anders aus. Das Potenzial der
Mannschaft ist, auch offensiv, besser als
letztes Jahr. Aber Potenzial muss man in
Leistung umsetzen. Daran arbeiten wir.
Sie sind dank Jürgen Klopp jahrelang ver-
wöhnt gewesen mit einem Trainer, der
für Euphorie und Attacke stand. Sehnen
Sie sich manchmal danach zurück?
Wenn man sich für einen Trainer entschei-
det, ist das nie ein Wunschkonzert. Ein
Trainer ist auf eine gewisse Art und Weise
immer in seiner Persönlichkeitsstruktur
verhaftet. Wenn man Klopp holt, weiß
man, was man dafür kriegt. Natürlich ist
das ein bisschen ein Problem, dass Klopp
ein außergewöhnlicher Typ war, der oben-
drein noch zu einer Stadt und einem Klub
wie Dortmund passte, wie man es sich
kaum schöner ausmalen kann. Man kann
die Persönlichkeiten von Jürgen Klopp
und Lucien Favre nicht vergleichen. Man
kann Klopp auch nicht mit Ottmar Hitzfeld
vergleichen, der bei uns mindestens genau-
so erfolgreich war. Man darf sich nicht an
der Vergangenheit berauschen. Das führt
in der Gegenwart zu nichts.

Steht nicht Lucien Favre für diesen sehr
technischen, feinfüßigen Fußball? Ist das
nicht seine Visitenkarte, mit allen Vor-
und Nachteilen?
Es war auch immer eine Visitenkarte, dass
seine Mannschaften sehr gut verteidigt ha-
ben. Ich behaupte, dass er damals mit Mön-
chengladbach nicht selten 1:0 gewonnen
hat. Deswegen glaube ich, dass er genau
weiß, worum es gerade geht.
Sie bauen gerade eine Elf auf, aber schon
im nächsten Sommer droht mal wieder,
dass der BVB zwei herausragende junge
Leute verliert. Den Stürmer Jadon Sancho
haben Sie im vergangenen Sommer gera-
de noch mal halten können, die Ausleihe
für Achraf Hakimi von Real Madrid läuft
aus. Irgendwie immer dasselbe, oder?
Es ist im Moment noch nicht zu beurteilen,
ob Jadon dann wegwill. Er fühlt sich sehr
wohl hier, das ist entscheidend. Anderer-
seits sind wir nicht von einem Spieler ab-
hängig. Wir haben immer wieder bewie-
sen, dass wir einen noch so starken Spieler
auch wieder ersetzen können.

Wie man hört, werden einem Spieler wie
Sancho in England 20 Millionen und mehr
Gehalt im Jahr geboten, bei einem Fünf-
jahresvertrag. Stößt man da als deutscher
Klub nicht an Grenzen?
Klar ist es schwer, einen Spieler angesichts
solcher Summen zu halten. Manche gehen
dann wegen dieses Geldes zu Klubs, wo sie
jahrelang nicht mehr Champions League
spielen. Pierre-Emerick Aubameyang, der
beim FC Arsenal großartig spielt, wird
wahrscheinlich warm ums Herz, wenn er
auf sein Konto schaut, aber mittwochs
guckt er bei der Champions League regel-
mäßig nur im Fernsehen zu und ist traurig.
Aber noch mal: Droht nicht konkret das
Szenario, dass Jadon Sancho geht, viel-
leicht zu einem Klub, dereben auch Cham-
pions League spielt, und Hakimi nach Ma-
drid zurückkehrt, und nebenbei vielleicht
noch Mario Götze ablösefrei verschwin-
det, weil er wieder Stammspieler sein
will?
Ich sehe so einen Automatismus bei Haki-
mi nicht. Real ist auf seinen Positionen
sehr gut besetzt. Ich höre von ihm nicht,
dass er sofort wieder in seine Heimatstadt
will. Mein Eindruck ist: Er fühlt sich in
Dortmund wohl. Wir werden alles daran
setzen, ihn weiter zu verpflichten. Wir wür-
den ihn gerne behalten. Genau wie Mario.
Mit Mario reden wir ja.

Wir reden über die Sphäre der europäi-
schen Großklubs. Sie sind vor Kurzem
erstmals ins Executive Board der europäi-
schen Klubvereinigung ECA gewählt wor-
den. Es geht da im Kern ums Geld, vor al-
lem aus der Champions League, denn die-
se Summen führen ja dazu, dass der Ab-
stand der Superklubs zu ihren nationalen
Gegnern jedes Jahr größer wird.
Die Champions League braucht diese
Klubs. Andererseits: Ajax Amsterdam hat
es zuletzt bis ins Halbfinale geschafft, wird
aber wahrscheinlich nie die finanziellen
Möglichkeiten von Manchester United ha-
ben, das es in den letzten Jahren oft nicht
geschafft hat, sich überhaupt zu qualifizie-
ren. Ähnlich ist das mit Arsenal. Wir selbst
waren vor 15 Jahren finanziell total im Ei-
mer und haben uns mit eigener Kraft in die-
sen Kreis vorgearbeitet. Ganz so, dass sich
dieser Kreis von Klubs in einem Parallel-
universum bewegt, ist es also nicht.
Man sagt der ECA ja nach, dass es dort ei-
ne klare Strömung hin zu einer Art Euro-
pa-Superliga gibt. Sind Sie auch deshalb
dabei, um mitzubekommen, wann dieser
Zug abfährt?
Es gibt diese Diskussion in der ECA. Ich se-
he mich, das ist bekannt, als Traditionalist.
Ich will, dass gewisse Werte des Fußballs
erhalten bleiben. Man darf aber auch nicht
in einer Haltung des Früher-war-alles-bes-
ser einfrieren. Im Board der ECA sitzt ne-
ben mir ja auch jemand wie Steven Zhang
von Inter Mailand. Der ist fast 28 Jahre und
Eigentümer des Klubs, und eine ganz ande-
re Generation. Und es gibt heute ein unter-
schiedliches Konsumentenverhalten: Jün-
gere Leute haben inzwischen oft ein selekti-
veres Verhalten, welches Spiel sie sehen
wollen. Klar gibt es einen Prozentsatz von
Leuten, die sich jedes BVB-Spiel von A bis Z
angucken, aber gerade die, die nicht unse-
re Stammkunden sind und die nicht zu uns
ins Stadion kommen, die wollen oft High-
lights sehen. Wir haben eine Eventkultur,
ob uns das gefällt oder nicht. Ich will da im
ECA für unseren deutschen Weg werben,
für die Bedeutung unserer Bundesliga.
Wie kommt das an?
Es gibt da schon auch sehr andere Sichtwei-
sen, gerade von Klubbesitzern, während
ich ja bezahlter Geschäftsführer bin und
entschiedener Verfechter der sogenannten
50+1-Regel(gilt nur in Deutschland und be-
sagt, dass die Mehrheit der Anteile immer
beim Stammverein liegen muss; Anm. d.
Red.). Aber wir werden in der ECA als Borus-
sia Dortmund wirklich sehr respektvoll
aufgenommen. In der ECA haben wir die
Möglichkeit, uns mit den wichtigsten Per-
sönlichkeiten im europäischen Klubfuß-
ball austauschen zu können. Das ist für die
Bundesliga und für den BVB gut.
Geben Sie doch mal eine Prognose ab, ob
es in zehn Jahren eine Europaliga gibt, ab-
gekoppelt von den nationalen Ligen.
Schwierig. Erst einmal glaube ich nicht,
dass es irgendeine europäische Superliga
gibt, ohne die nationalen Ligen. Das ist
nicht mehrheitsfähig. Eine Closed-Shop-
Liga wird es eher nicht geben, obwohl sich
das manche wünschen. Das Board der ECA
bestimmt das übrigens auch nicht.
Was wird dann die nächste Entwicklungs-
stufe für die Supervereine sein? Denn
dass sie sich durch die finanziellen Mög-
lichkeitenimmer weiter vom Rest des Fuß-
balls absetzen, ist ja unvermeidbar.
Ab 2024 könnte es eine Neuordnung ge-
ben. Ich denke, dass es dann ein Format ge-
ben wird, bei dem es womöglich ein paar
Spiele mehr gibt als bisher. Der Bedarf da-
für besteht, nicht nur in Europa, sondern
auch in den USA oder Asien. Die wollen
mehr Topspiele der Champions League.
Wie soll das aussehen? Die Terminpläne
platzen jetzt schon aus allen Nähten.
Denkbar ist schon, dass die Spitzenklubs
in der Champions League vier Spiele mehr
pro Saison spielen. Der Rahmen-Terminka-
lender würde das noch hergeben. Die
Champions League fängt erst im Septem-
ber an, und von Anfang Dezember bis Ende
Februar läuft auch nichts. Die Ligen, die
bisher mit 20 Klubs spielen statt mit 18 wie
die Bundesliga, könnten auf 18 reduzieren.
Das wäre der Qualität nicht abträglich,
auch wenn manche ständig abstiegsbe-
drohte Vereine das vielleicht nicht so gut
fänden. Aber wir reden über Planspiele,
über Ideen. Die Uefa entscheidet das am
Ende. Die Klubs, auch wenn das manche
nicht glauben wollen, schlagen nur vor.

„Es war eine Visitenkarte
vonFavre, dass seine Teams
sehr gut verteidigt haben.“

„Ich glaube nicht, dass es eine
europäischeSuperliga gibt,
ohne die nationalen Ligen.“

„Wir müssen lernen, unser
Torwieder mit Zehen und
Klauen zu verteidigen.“

Hans-Joachim Watzkeist seit 2005 Ge-
schäftsführer von Borussia Dortmund,
zuvor war er vier Jahre Schatzmeister
des Fußball-Erstligisten. Der 60-Jähri-
ge aus Marsberg studierte Betriebs-
wirtschaftslehre und gründete 1990,
nach dem Abschluss zum Diplom-
Kaufmann, die Watex Schutz-Beklei-
dungs GmbH, eine Firma, die Arbeits-
schutzbekleidung und Feuerwehr-
uniformen herstellt; inzwischen steht
Sohn André als Nachfolger bereit.
Watzke machte sich in der Bundesliga
einen Namen, als er 2005 mit Vereins-
präsident Reinhard Rauball und Finanz-
Geschäftsführer Thomas Treß den
BVB vor der Insolvenz rettete. Selbst
Fußball gespielt hat Watzke 30 Jahre
lang für den sauerländischen Amateur-
klub SV Rot-Weiß Erlinghausen. SZ

Watzke, 60


„Nur mit schönem Fußball


wird das nichts!“


Hans-Joachim Watzke spricht über einen holprigen Saisonstart, der an den offensiv formulierten Saisonzielen
von Borussia Dortmund nichts ändert. Der BVB will Meister werden, allerdings erwartet
der Geschäftsführer eine Korrektur auf dem Rasen. Die Mannschaft solle sich an einem Team
wie Juventus Turin orientieren: Dort zählen die Resultate, weniger der optische Eindruck

36 SPORT HMG Mittwoch/Donnerstag, 2./3. Oktober 2019, Nr. 228 DEFGH


Womöglich wäre für Borussia Dortmund einiges besser gelaufen, hätte Marco Reus (rechts) am ersten Spieltag der Champions League gegen Barcelona seinen Elfme-
ter gegen Marc-André ter Stegen (links) verwandelt. Stattdessen gab es ein 0:0, danach in der Liga bloß zwei 2:2 und viele Diskussionen. FOTO: FRIEDEMANN VOGEL / EPA
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