Süddeutsche Zeitung - 02.10.2019

(avery) #1
von philipp von nathusius

M

anchmal bedarf es bloß
zweier chinesischer Touris-
tinnen, um zu verstehen,
was abgeht. Wenn so ein
Duo beim Anblick von einer
Gruppe junger Herren, die im Lehel auf
Fahrrädern um die Ecke biegt, unter dem
Arm spitz zulaufende Planken aus hellem
Kunststoff, anfängt mit den Füßen zu tip-
peln, mit dem Finger auf die mutmaßli-
chen City-Surfer zeigt und sich zujauchzt,
als wäre das Ziel aller Sightseeingträume
ganz nah, dann wird einem schlagartig
klar: Wellenreiten inmitten einer Millio-
nenstadt ist doch nicht so selbstverständ-
lich, wie es sich nach fast fünf Jahrzehnten
des Flusssurfens in München für manch ei-
nen anfühlen mag.
München, die unbestrittene Riversurf-
Hauptstadt der Welt, ist gesegnet mit Wel-
len. Vier regelmäßig surfbare Wogen formt
die Isar mit ihrer wilden Kraft. Gepfercht
in Ableitungen aus betonierten Bachbet-
ten entsteht aus ihrem Wasser die wohl
druckvollste, die stabilste und die am
stärksten frequentierte dauerhaft surfba-
re Flusswelle der Welt. Vielleicht ist sie so-


gar die am meisten gesurfte Welle über-
haupt: die Eisbachwelle. Trotz der Warn-
hinweise: Nicht für Anfänger. Trotz der hin-
ter der Welle in ihrem Abwärtssog warten-
den 24 Kantsteine. Lange stand sie im Ruf
als ein Ort, an dem das angestammte Perso-
nal Neuen gegenüber schnell mal ungemüt-
lich wird. Ein Schutzmechanismus, der an-
gesichts des Andrangs, der dort im Som-
mer bis oft tief in die Nacht herrscht, zu ero-
dieren scheint.
Einige hundert Meter stromabwärts, an
der Dianabadschwelle, gibt es eine zweite,
kleinere, freundlichere Welle. Hier ist das
Surfen eigentlich verboten. Totenkopf-
schilder und durchgestrichene Surfstrich-
männchen warnen – trotzdem wird das
Surfen vom Hausherrn, dem Freistaat, tole-
riert. Weiter südlich, unterhalb der Wittels-
bacherbrücke, entsteht bei ausreichend ho-


hem Pegelstand der Isar eine gemütliche
Genusswoge, surfbar mit großen Brettern.
Und in Thalkirchen verfügt die Stadt über
einen anfängerfreundlichen Spot, mit
Prallschutz aus Kunststoff an den Seiten-
wänden des Kanals und Einstiegserleiche-
rungen, um gefahrlos für erste Versuche
aufs Brett zu kommen.
Vor zwei Jahren ist im Landkreis Mün-
chen, in Taufkirchen, sogar eine fünfte
Welle hinzugekommen, wenngleich nur ge-
gen Eintritt surfbar. Viele alteingesessene
Surfer betrachten sie als „Fluch und Se-
gen“ zugleich. Ein Segen, weil jede Welle
mehr besser sei. Und ein Fluch, weil sie täg-
lich neue Surfer ausspucke, die ihre gegen
teures Eintrittsgeld erworbenen Fähigkei-
ten auf den frei zugänglichen Wellen der
Stadt weiterentwickeln wollen. Jochen-
Schweizer-Welle hin oder her, die Situati-
on für die Surfer in München sollte eigent-
lich eine luxuriöse sein. Doch nach dem
Sommer 2019 scheint die Seele der Surf-
stadt angefasst.
Ein später Donnerstagnachmittag Ende
September. Die tief stehende Sonne be-
tupft die große Wiese sparsam mit Lichtfle-
cken. Einige Fahrräder, Rucksäcke und
Handtücher liegen herum. Auf der kleinen
Brücke, die über den Kanal der Floßlände
führt, hat sich Laub im Maschendraht ver-
fangen. Ein paar Spaziergänger sind ste-
hen geblieben, Gäste vom Campingplatz
nebenan. Sie schauen den Surfern von hin-
ten aufs Haupt und hinunter auf eine spie-
gelglatte Woge.
„So gut wie jetzt ist die Welle das ganze
Jahr noch nicht gelaufen“, sagt Dieter De-
venter, blonde Haare, freundliches, breites
Lachen. Der 66-Jährige zieht sich um, die
Session für heute ist vorbei. Die Welle liegt
bereits im Schatten. So auch die Schlange
zu ihren Seiten. 30 in Wetsuits gezwängte
Menschen warten auf einen Ritt, die eine
Hälfte links, die andere rechts. Keiner drän-
gelt, manche vertreiben sich die Zeit und
ratschen, lachen, klopfen auf ihre Bretter,
wenn einer oder einem auf dem Wasser ein
besonderes Manöver gelingt. Andere bib-
bern so lange, bis sie endlich wieder an der
Reihe sind. Die vollen zehn Minuten. Luft-
temperatur: elf Grad, das Wasser bloß ein
paar Grad wärmer.
Als Deventer hier in den Siebzigerjahren
das erste Mal auf einer Welle ritt, gab es kei-
ne Schlangen. Im Münchner Olympiasom-
mer 1972 entdeckten Surfpioniere um die
Brüder Arthur und Alex Pauli, dass sie die
Welle unterhalb der Brücke mit einem Surf-
brett befahren konnten, ganz ohne weitere
Hilfsmittel. Das Internet hält Super-8-Auf-
nahmen von damals bereit. „Krass“, sagt
Deventer, wie viel inzwischen an den Wel-
len der Stadt los sei. Aber auch verständ-
lich. „Surfen ist eben etwas Großartiges,
schade nur, dass die Welle hier nicht länger
läuft.“ Verlässliche Zahlen darüber, wie vie-

le Surferinnen und Surfer es in München
gibt, existieren nicht. Mehr als 2000 sollen
es mittlerweile sein, schätzt die Interessen-
gemeinschaft Surfen in München (IGSM).
„Das wäre locker eine Verdopplung inner-
halb der letzten Jahre“, sagt ihr Vorsitzen-
der, Wolfrik Fischer.
Nur von vier Uhr nachmittags bis halb
acht am Abend leiten die Stadtwerke Mün-
chen (SWM) an der Floßlände ausreichend
viel Wasser von der Isar in den Seitenkanal
ab. Nur dann formt es sich zu einer halbrun-
den Rampe, auf der man surfen kann. Und
das auch nur von Mai bis Ende September.
Eine kurze Saison, mit kurzen Tagen. Auf
Nachfrage sagen die Stadtwerke, man ha-
be „jüngst eine Idee vorgestellt, wie die Si-
tuation verbessert werden könnte“. Denn
das Wasser, dass die Surfer, aber auch Flö-
ßer und Kanuten im Kanal nutzen, fließt
nicht mehr durchs Kraftwerk. Eine Lö-
sung, von der „Surfer wie auch Ökostrom-
erzeugung profitieren“ würden man bald
der Öffentlichkeit präsentieren.
Jüngst hat die IGSM den Eisbach für die
Augen und Kameras Tausender Touristen
hinter Bauzäunen und Plastikplanen ver-
schwinden lassen, um auf ihre Sichtweise
hinzuweisen. „Mehr Wasser, mehr Wel-
len“, lautete die auf den Sichtschutz ge-
sprayte Protestbotschaft. „Wir wollten der
Stadt zeigen, was wäre, wenn es keine Surf-
wellen mehr gäbe“, sagte Fischer. „Weh-
tun“, sollte die Aktion am zweiten Wiesnwo-
chenende. Weil die Stadt sich gerne sonne,
im imageförderlichen Licht der Surfer,

aber nicht genug tue, um den Sport zu för-
dern. „Denn Surfen in München hat in sei-
ner Breite eine neue Dimension erreicht“.
Wer im gerade zu Ende gegangenen
Sommer aufmerksam durch die Stadt wan-
delte, konnte auch abseits der Wellen Indi-
zien ausmachen, die Fischers Aussage stüt-
zen: die Menge von Surfbretthalterungen
an Zweirädern, an Menschen mit Surfbret-
tern unterm Arm in den Straßen, an auf Bal-
konen zum Trocknen aufgehängten Neo-

prenanzügen, die Anzahl von Surfern, die
im Kegel von Akkustrahlern oft bis weit
nach Mitternacht auf dem Eisbach hin und
her jagten.
Mehr Surfer, ja, aber sind es zu viele ge-
worden? Inzwischen, so hat es den An-

schein, ist das Surfen in München zu ei-
nem Luxusproblem der Stadt mutiert.
Wer an den Floßlände von vorne auf
den Brückenbogen oberhalb der Welle
blickt, kann ein Schild entdecken: „Täglich
ab 18.30 Uhr: Drop-in-only-sessions“. Da-
neben ein durchgestrichenes Strichmänn-
chen im Begriff, aus dem Sitzen auf ein
Surfboard zu steigen Der Urheber: die
IGSM. Man kann es als verzweifelten Ver-
such interpretieren, den Andrang an dem
als Anfängerwelle gepriesenen Spot zu re-
gulieren. An der Floßlände hat das Verhält-
nis von Surfen zu Warten ganz offensicht-
lich Schlagseite bekommen. Es droht zu
kippen ins Unsinnige. „Das hat was von
Stehmeditation“, sagt einer.
Laura Haustein zuckt mit den Schul-
tern. Sie gehört zu denen, bei denen auf die
Bretter geklopft wird. Die 22-Jährige surft
seit vier Sommern. Längst auch am Eis-
bach, gerade hat sie eine Mini-Serie aus
drei Wettkämpfen auf stehenden Wellen
für sich entschieden.
Auf Neoprenschuhe, die an diesem Tag
bereits viele tragen, hat sie verzichtet. „Ist
doch erst September, da weigere ich mich
noch“, sagt die Lehramtsstudentin mit tie-
fer Stimme, der Teint surferinnenmäßig,
und grinst breit. Woher die gute Laune,
trotz der langen Wartezeiten komme? „Im
Sommer waren hier an manchen Tagen lo-
cker doppelt so viele, die angestanden
sind“, sagte sie. Einmal habe sie 48 Surfer
gezählt. Die Wartezeit dann: „Fast eine hal-
be Stunde.“

Wolfrik Fischer kämpft für die
Interessender Surfer.FOTO: R. HAAS

Die große Liebe zu entdecken, das kann
heute flugs per Mausklick passieren: Bar-
bara F. (Name geändert) aus Grasbrunn je-
denfalls glaubte, über eine Internet-Da-
tingseite den Partner fürs Leben gefunden
zu haben. Thomas D. gab sich als Unter-
nehmensberater aus, der ständig mit neu-
en Autos ankam und der sein dickes Ver-
mögen im Ausland geparkt hatte. In Wirk-
lichkeit ist der 55-Jährige ein notorischer
Betrüger und Lügner, der mehrfach im Ge-
fängnis saß, „und der Menschen manipu-
liert und die Schuld immer auf andere
schiebt“, sagt Barbara F. heute. Als sie Tho-
mas D. im September 2018 endgültig aus
ihrem Leben verabschiedete, würgte er sie
bis fast zur Bewusstlosigkeit. Wenig spä-
ter schrieb er ihr eine SMS mit den Wor-
ten: „Warum hast Du das getan?“
Darüber, was Thomas D. an jenem Nach-
mittag getan hat, soll die zweite Strafkam-
mer am Landgericht München I befinden.
Angeklagt ist der Arbeitslose wegen ver-
suchten Totschlags, denn die Staatsan-
waltschaft wirft ihm vor, den Tod der Frau
billigend in Kauf genommen zu haben. Als
die Staatsanwältin die Anklage verliest,
schließt der Mann im dunklen Sakko die
Augen und tippt in Unternehmer-Manier
die Fingerkuppen aufeinander. Er wirkt


angespannt – und genervt. Als Christian
Franz, Anwalt von Barbara F., fragt, ob
Thomas D. sein richtiger Name sei – er soll
sich auch Timotheus D., Tassilo B. oder Ru-
dolf B. genannt haben – blafft er zurück.
Auch auf die Frage von Richter Norbert
Riedmann, ob er die ganze Zeit in Untersu-
chungshaft gesessen habe, antwortet er
enerviert: „Natürlich“. So natürlich, kon-
tert Riedmann, sei das nun mal nicht.

Thomas D. ist kein unattraktiver Mann,
er wirkt gepflegt, er gibt an, nach dem Ab-
itur 1986 Jura in Passau studiert zu haben.
Bis zum ersten Examen, dann sei er selbst
„strafrechtlich in Erscheinung getreten“.
Was sicher eine juristisch korrekte Be-
schreibung seiner Verbrecherkarriere dar-
stellt: 13 Einträge sind im Bundeszentral-
register aufgelistet, beginnend 1990 mit ei-
ner Unterschlagung in Düsseldorf, es fol-
gen Betrug, Diebstahl, Urkundenfäl-
schung, Untreue, Missbrauch von Titeln
und Berufsbezeichnungen. Die Richter
konnten gar nicht so schnell urteilen, wie

Thomas D. Straftaten beging. Er saß mehr-
mals im Gefängnis.
Auch im Sommer 2015, als Barbara F.
und Thomas D. sich kennenlernten, währ-
te das Glück nicht lange. D. musste eine
zweieinhalbjährige Haftstrafe antreten,
da er Luxusautos gekauft und nicht be-
zahlt hatte. „Mir sagte er, es ginge um Steu-
erhinterziehung“, erzählt die 49-Jährige.
Und als ein Mann bei ihr auftauchte, und
Mietschulden von Thomas D. über
12 000 Euro einforderte, sprang Barbara F.
ein. „Thomas sagte, er komme früher frei,
wenn die Schulden bezahlt sind.“ Nach
dem Knast zog er bei ihr ein. Während sie
arbeiten ging, soll D. angeblich als Berater
tätig gewesen sein. Abends fand sie zu
Hause leere Schnapsflaschen. „Es waren
immer mehr Lügen da“, sagt sie. Deshalb
habe sie Schluss gemacht und ihr Geld ge-
fordert. Als klar war, dass er die ständig
aufgeschobene Rückzahlung nicht tätigen
würde, schrie sie ihn wütend an. „Plötzlich
war er hinter mir“, sagt sie stockend. Er ha-
be sie von hinten in den Armgriff genom-
men, bis es vor ihren Augen flimmerte
und sie nach unten sackte. Sie konnte ihn
noch in den Arm beißen, daraufhin habe
er losgelassen und sie konnte fliehen. Tho-
mas D. schweigt zur Tat. susi wimmer

Mit


wilder


Kraft


München profitiert von seinem Image
als Flusssurfer-Hauptstadt der Welt.
Doch in der Szene rumort es.
Ein Besuch an der Floßlände,
wo alles begonnen hat

Inzwischen, so hat
es den Anschein,
ist das Surfen
in München zum
Luxusproblem geworden

Die Eisbachwelle ist geradezu legendär – nicht nur bei Surfern. FOTO:LINO MIRGELER / DPA

Produziert täglich neue Surfer: die Jochen-Schweizer-Welle. FOTO: CLAUS SCHUNK

Die Floßlände in Thalkirchen ist der Ursprungsort des Flusssurfens in München und die einzige wirkliche Anfängerwelle der Stadt. FOTO: ROBERT HAAS

Erst Liebe, dann Gewalt


Weilsie ihn verließ, soll ein Mann seine Ex-Partnerin beinahe zu Tode gewürgt haben


Die Richter konnten gar
nicht so schnell urteilen, wie
Thomas D. Straftaten beging


DEFGH Nr. 228, Mittwoch/Donnerstag, 2./3. Oktober 2019 MÜNCHEN R5


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