FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Politik MONTAG, 7. OKTOBER 2019·NR. 232·SEITE 5
Her.FRANKFURT, 6. Oktober. In der
Türkei sind abermals fünf deutsche
Staatsbürger festgenommen worden. Die
prokurdische Nachrichtenagentur Mezo-
potamya berichtete, den Personen werde
vorgeworfen, sie hätten Terrorpropagan-
da verbreitet und gehörten einer illega-
len Organisation an. Mutmaßlich han-
delt es sich dabei um die verbotene PKK.
Die Staatsanwaltschaft Ankara hat Er-
mittlungen gegen sie eingeleitet. Am
Sonntagabend wurden vier der Personen
wieder freigelassen, wie ein Sprecher des
Auswärtigen Amtes bestätigte. Laut ei-
nem Bericht des NDR dürfen sie die Tür-
kei aber vorerst nicht verlassen.
Offenbar waren die deutschen Staats-
bürger im Laufe der vergangenen Woche
festgenommen worden. Am vergangenen
Freitag hatte sich Bundesinnenminister
Horst Seehofer zu Gesprächen über das
Flüchtlingsabkommen in Ankara aufge-
halten. Einem Sprecher des Bundesinnen-
ministeriums zufolge waren die Festnah-
men kein Thema. Jedoch sei der türki-
schen Seite eine Liste deutscher Staats-
bürger übergeben worden, die aus Sicht
Berlins „ohne ausreichende Rechtferti-
gung“ in der Türkei inhaftiert seien. Das
Innenministerium habe keine Informatio-
nen darüber, ob es zu den festgenomme-
nen Personen bei den routinemäßigen bi-
lateralen Kontakten der Sicherheitsbehör-
den einen Austausch gegeben habe.
Der türkische Innenminister, Süley-
man Soylu, hatte im März gesagt, „Terro-
risten und Verrätern“, die in Europa an
„Veranstaltungen von Terrororganisatio-
nen“ und „Schmierkampagnen“ gegen
die Türkei teilnähmen, könnten künftig
nicht mehr darauf hoffen, anschließend
in der Türkei Urlaub zu machen. Die Tür-
kei werde Maßnahmen ergreifen, um
dies zu verhindern.
cheh.BEIRUT, 6. Oktober. Die Protest-
welle im Irak stürzt die Regierung im-
mer tiefer in die Krise. Die Zahl der
Menschen, die bei Zusammenstößen
zwischen Demonstranten und Sicher-
heitskräften getötet wurden, stieg am
Wochenende auf mehr als 100 an. Seit
Dienstag gehen in der Hauptstadt Bag-
dad und in anderen Städten des Landes
vor allem junge Männer auf die Straße,
um gegen die Korruption, den dysfunk-
tionalen Staat sowie die Arbeits- und
Perspektivlosigkeit zu protestieren. Sie
fordern eine umfassende Änderung des-
sen, was sie als „kaputtes System“ be-
zeichnen. Einige prangerten auch den
Einfluss Irans im Irak an. Der schiiti-
sche Prediger Muqtada al Sadr, dessen
Allianz den größten Block im Parlament
stellt, hat den Rücktritt der Regierung
und vorgezogene Wahlen verlangt.
Der Sender Al Dschazira meldete am
Sonntag neue blutige Zusammenstöße in
den Außenbezirken Bagdads. Die Sicher-
heitskräfte stehen in der Kritik, weil sie
mit großer Härte vorgehen und auch
scharfe Munition einsetzen, um die De-
monstrationen aufzulösen. Die Leiterin
der UN-Hilfsmission für den Irak, Jea-
nine Hennis-Plasschaert, zeigte sich am
Samstag empört über den „sinnlosen Ver-
lust von Menschenleben“. „Das muss auf-
hören“, schrieb sie auf Twitter.
Das Kabinett von Ministerpräsident
Adel Abdul Mahdi brachte am Sonntag
nach einer nächtlichen Sondersitzung
per Dekret ein Reformpaket auf den
Weg, um die Wut der Bevölkerung zu
mildern. Es umfasst unter anderem zu-
sätzliche subventionierte Wohnungen
für die Armen, Zuwendungen für Ar-
beitslose und Ausbildungsprogramme
sowie Kleinkreditinitiativen für arbeits-
lose Jugendliche. Die Familien der in
den vergangenen Tagen getöteten De-
monstranten sollen staatliche Unterstüt-
zung erhalten.
Am Samstag war der Sprecher des Par-
laments, Muhammad al Halbousy, mit ei-
nem Vorstoß gescheitert, über die Forde-
rungen der Demonstranten zu diskutie-
ren, weil wegen eines Boykotts im Abge-
ordnetenhaus das nötige Quorum nicht
zustande kam. Halbousy erklärte sich da-
nach solidarisch mit den Demonstran-
ten. Er werde mit ihnen auf die Straße
gehen, sollten die Forderungen der Pro-
testbewegung ignoriert werden, sagte
der frühere Gouverneur der Provinz An-
bar. Er versprach außerdem, die Korrup-
tion zu bekämpfen, die „nichts anderes
als Terrorismus“ sei.
LONDON, 6. Oktober
Z
ehntausende, sagen die Aktivisten
von „Extinction Rebellion“ voraus,
werden an diesem Montag das Lon-
doner Regierungsviertel lahmlegen. Men-
schen wollen sich anketten, auf Straßen
legen und auf andere Weise protestieren.
Alle Zufahrtswege zum Westminster Pa-
lace sollen so blockiert werden – nicht
nur für einen Tag, sondern so lange wie
möglich. Die Aktion in Großbritannien,
dem Geburtsort der „Rebellion gegen das
Aussterben“ (XR), dürfte die weltweit
größte sein; aber in vielen anderen Län-
dern, auch in Deutschland, sind ähnliche
Kundgebungen geplant.
Mehr als 150 000 Unterstützer zählt XR
mittlerweile. Aus dem Häuflein, das sich
im Frühjahr 2018 unter diesem Namen zu-
sammengeschlossen hat, ist eine schlag-
kräftige Organisation geworden mit einer
Zentrale im Ostlondoner Stadtteil Beth-
nal Green. Die Gründer waren schon zu-
vor in Gruppen und Netzwerken mit ökolo-
gisch-antikapitalistischer Ausrichtung ak-
tiv gewesen. Zwei von ihnen, der Ausstei-
ger und Sozialwissenschaftler Roger Hal-
lam sowie die Molekularbiologin Gail
Bradbrook, hatten 2016 die Aktivisten-
gruppe „Rising Up!“ ins Leben gerufen.
Hallam ist der bekannteste – wenn
auch seiner Radikalität und seines Pessi-
mismus wegen nicht unumstrittene – Re-
präsentant der Gruppe. Seine Markenzei-
chen sind graue, zu einem Dutt gebunde-
ne Haare und eine für britische Verhältnis-
se bemerkenswerte Humorlosigkeit. Der
53 Jahre alte Hallam wirft „den Eliten“
vor, ein „Massensterben“ zuzulassen. Die
Jugendlichen von heute würden im Laufe
ihres Lebens Zeuge werden, wie sechs Mil-
liarden Menschen an den Folgen des Kli-
mawandels zugrunde gingen, behauptete
er in einem Interview mit der BBC. Dies
seien „die wissenschaftlichen Fakten“. In
einem Interview mit dem „New States-
man“ schätzte er die Chancen, dass seine
eigenen Kinder sein Alter erreichten, mit
zwei bis zwanzig Prozent ein. Hallam will
die vollständige Vermeidung von Treib-
hausgasen, welche die britische Regie-
rung für das Jahr 2050 anstrebt, im Laufe
der kommenden fünf Jahre erreichen. Als
ihm die BBC vorhielt, dass die Bürger
dann nicht mehr Auto fahren, fliegen und
heizen dürften, reagierte Hallam mit ei-
nem Achselzucken. Er vergleicht die Kli-
maprognosen der Wissenschaft mit einer
Krebsdiagnose, nach welcher der Patient
ja auch sein Leben radikal umstellen müs-
se, wolle er überleben. „Hoffnung“ ist ein
Wort, das Hallam nicht verwendet. Er
hält das nahende Ende der Menschheit
für kaum noch abwendbar. Eine geringe
Chance, den „sozialen Kollaps“ zu verrin-
gern, sieht er nur noch in der Organisa-
tion gewaltfreien Widerstands – einer Pro-
testform, über die er promoviert hat. Da-
bei ist Hallam bereit, die Gewaltlosigkeit
sehr weit zu fassen. Umstritten selbst un-
ter den XR-Aktivisten ist sein Plädoyer
für Maßnahmen gegen Flughäfen.
Er bezeichnet den Ausbau des Flugha-
fens Heathrow als „Verbrechen gegen die
Menschlichkeit“ und plante, Drohnen
über das Flugfeld kreisen zu lassen, um so
den Luftverkehr lahmzulegen. Weil dies
als Gefährdung der Flugsicherheit angese-
hen wird, wurde er vor vier Wochen vor-
übergehend festgenommen. Nachdem er
drei Tage später in Heathrow gesehen wor-
den war und damit gegen eine Kautions-
auflage verstoßen hatte, kam er abermals
ins Gefängnis, wo er nun auf seinen Pro-
zess am 14. Oktober wartet. Im Mai war
Hallam von einem Londoner Gericht
vom Vorwurf des Vandalismus freigespro-
chen worden, nachdem er in seiner alten
Universität, dem King’s College, Wände
mit der Forderung besprüht hatte, dass
die private Hochschule nicht länger in
Energieunternehmen investieren solle.
Auch die meisten Aktivisten, die bei bishe-
rigen Blockadeaktionen in London festge-
nommen worden waren, kamen schnell
wieder auf freien Fuß. Vor einem Jahr be-
setzten Tausende Menschen Themse-Brü-
cken und legten so den Verkehr in Lon-
don lahm; 85 Demonstranten wurden da-
mals verhaftet. Im April ließ XR mehrere
Plätze in London zum Teil mehrere Tage
lang besetzen. Die Polizei nahm damals
mehr als 1100 Aktivisten vorübergehend
fest. Die Bereitschaft, das Recht zu bre-
chen, wird von XR nicht verlangt.
Die konservative und bürgerliche Pres-
se hegt wenig Sympathien für die Klima-
schutzaktivisten von XR. Die „Daily
Mail“ etwa bezeichnete sie als „Ecomani-
acs“. Aber im linken „Guardian“ und
auch unter Prominenten findet XR Zu-
spruch. Die britische Schauspielerin
Emma Thompson wollte im April sogar
unter jenen sein, die sich für den guten
Zweck festnehmen lassen. Dafür flog sie
eigens aus Los Angeles ein, wo sie ihren
- Geburtstag gefeiert hatte – erreichte
die Proteste aber zu spät. Als sie ein paar
Wochen später in einer First-Class-
Lounge in Heathrow (auf dem Weg zu-
rück nach Amerika) gesichtet wurde, hat-
ten die XR-Gegner ihre helle Freude.
Mehrere Deutsche festgenommen
Türkei ermittelt wegen „Terrorpropaganda“
„Handelt jetzt“:Klimaaktivisten blockieren im Juli eine Straße in Leeds. Foto dpa
Sieg für Opposition im Kosovo
Bei der Parlamentswahl im Kosovo liegt
Hochrechnungen zufolge die Oppositi-
on in Führung und könnte die bisher re-
gierenden ehemaligen Rebellenführer
ablösen. Wie die Wahlleitung am Sonn-
tagabend mitteilte, führten die Oppositi-
onsparteien Vetevendosje und LDK mit
25,9 und 25,2 Prozent der Stimmen. Die
seit 2007 regierende PDK von Präsident
Hashim Thaçi erhielt demnach 21,3 Pro-
zent; sie gestand die Niederlage ein. Die
beiden Oppositionsparteien liegen ideo-
logisch weit auseinander. Dennoch
könnten sie sich zusammentun, um eine
Regierung zu bilden. (AFP)
Demonstration in Kiew
Mehrere tausend Menschen haben in
der ukrainischen Hauptstadt Kiew ge-
gen die Einigung auf einen Sondersta-
tus für die umkämpften Gebiete im Don-
bass demonstriert. Dies sei eine Kapitu-
lation und ein zu großes Zugeständnis
an Russland, skandierten die Menschen
ukrainischen Medien zufolge am Sonn-
tag auf dem Majdan. Behörden spra-
chen von bis zu 10 000 Demonstranten.
Zuvor hatten sich die Konfliktparteien
in Minsk auf die sogenannte Steinmei-
er-Formel für die Gebiete Donezk und
Luhansk geeinigt. Die nach dem ehema-
ligen deutschen Außenminister Frank-
Walter Steinmeier benannte Formel re-
gelt, von wann an die von der Ukraine
abtrünnigen Regionen einen Sondersta-
tus erhalten. Sie rief in der Ukraine je-
doch massive Kritik hervor. Präsident
Wolodymyr Selenskyj hob hervor, dass
mit dem Schritt keine „rote Linie“ über-
schritten worden sei. (dpa)
Atomgespräche abgebrochen
Nordkorea hat die Atomverhandlungen
mit den Vereinigten Staaten wenige
Stunden nach ihrer Wiederaufnahme
abgebrochen. Kim Myong, der Chefun-
terhändler Pjöngjangs, warf der ameri-
kanischen Verhandlungsseite am Sams-
tagabend in Schweden Unbeweglich-
keit vor. Washington habe Erwartun-
gen geweckt, diese aber nicht erfüllt
und halte stattdessen an alten Stand-
punkten fest: „Sie haben uns sehr ent-
täuscht und unsere Begeisterung für Ge-
spräche gedämpft, indem sie nichts auf
den Verhandlungstisch gelegt haben.“
Die Sprecherin des amerikanischen Au-
ßenministeriums sagte, diese Bewer-
tung spiegele nicht „den Inhalt oder
den Geist“ der Gespräche wider. (sat.)
Mehr als 100 Tote im Irak
Zusammenstöße bei Protesten / Forderung nach Neuwahl
Aufbegehren gegen das Massensterben
Wichtiges in Kürze
Blockaden von Londoner
Brücken und Plätzen machten
„Extinction Rebellion“
bekannt. An diesem Montag
plant die Organisation auch in
Deutschland Proteste.
Von Jochen Buchsteiner
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ten wie bspw. Euromobil vermietet wurden. Detaillierte Hinweise finden Sie unterwww.audi.de/jungegebrauchte
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