Mittwoch, 2. Oktober 2019 MEINUNG & DEBATTE
Bericht zurAffäre Khan in der Cred it Suisse
CS-Chef Thiam entlastet – aber die Zweifel bleiben
Die Credit Suisse (CS)hat dieKonsequenzen aus
der reputationsschädigenden Bespitzelung von
Iqbal Khan gezogenund Pierre-Olivier Bouée,die
rechte Hand desKonzernchefsTidjaneThiam, und
den Sicherheitschefder Bank entlassen. DieBasis
für diesen Entscheid bildete ein bei der Anwalts-
kanzlei Homburger inAuftrag gegebener Unter-
suchungsbericht zu den Umständen der Beschat-
tungsaktion. Der Hauptbefund ist doch über-
raschend.In der ganzen CS-Gruppe soll es nur zwei
Personen gegeben haben, die von der Beschattung
wussten: Bouée, der allein und aus eigener Initia-
tive die Observierung Khans angeordnet haben
will,und der Sicherheitschef, der offenbar denAuf-
trag an einen mittlerweile freiwillig aus dem Leben
geschiedenenVermittler weitergeleitet hat.
Da stellt sich dieFrage: Ist es möglich, dass
Thiam nichts von dieser Aktion wusste, obwohl er
und Bouée ein eingeschworenesDuobildeten, täg-
lich miteinander sprachen, zusammen Stunden im
Auto und Flugzeug verbrachten und in einem abso-
lutenVertrauens- und Loyalitätsverhältnis zueinan-
derstanden? Und dies nichterst seit gestern, son-
dern schon seit ihrer gemeinsamen Zeit beim briti-
schenVersicherer Prudential.Wie dem auch sei:Die
Homburger-Anwälte haben, wie der nur auszugs-
weise veröffentlichte Bericht festhält, keinerlei Hin-
weise dafür gefunden, dassThiam die Beschattung
von Khan genehmigt oder davongewusst hätte. Die-
ses Ergebnis hat zwarThiams CS-Karriere vorerst
gerettet, aber die Zweifel bleiben, und sie werden
sich nicht so schnell aus derWelt schaffen lassen.
Skeptisch stimmt nicht zuletzt der Umstand,
dasskeine plausiblen Gründe für die Beschat-
tung Khans auszumachen sind. Zum einen ist es
unüblich, Mitarbeiter überwachen zu lassen, die
zu einem anderen Arbeitgeber wechseln – nur um
he rauszufinden, ob sie Mitarbeiter oderKunden
abzuwerben versuchen, um sie zum neuen Arbeit-
geber zu schleusen. Zum andern kann man einem
ehemaligen Angestellten nicht verbieten, seine
altenKollegen oderKunden zu treffen. Selbst
wenndie Detektive Khan bei einem solchen Ge-
spräch observiert hätten – was hätte die CS daraus
schliessenkönnen? Unabhängig davon hält derBe-
richt fest, dass sich Khan,soweit das ersichtlich ist,
an seine vertraglichen Pflichten gehalten und als
Noch-CS-Manager weder Mitarbeiter nochKun-
den abgeworben hat.
Damit rückt die zentraleFrage in den Mittel-
punkt, die immer noch nicht schlüssig beantwor-
tet ist:Wie ist es zu diesem verbissenen Streit zwi-
schenThiam und Khan gekommen, aus dem letzt-
lich alleBeteiligten alsVerlierer hervorgehen? Der
CS-Verwaltungsrat scheintkein Interesse an einer
Klärungzuhaben, und auch der Untersuchungs-
bericht will sich nicht zum persönlichenVerhält-
nis der beiden Spitzenmanager äussern.Daraus
muss man schliessen, dass das oberste Gremium
der Bank die Hintergründe bereitskennt, sie aber
nicht publik machen will.
Laut Verwaltungsratspräsident UrsRohner
sind beideKontrahenten bei ihm vorstellig gewor-
den und haben sich über den jeweils anderen be-
klagt.Er habe versucht,moderierend einzugreifen,
abernacheinigem Erfolg habe sich dieSituation
weiter zugespitzt, ein einvernehmliches Zusam-
menarbeiten der beiden Manager sei nicht mehr
möglich gewesen.
Will dieBank ihr angegriffenesReputations-
kapital wieder aufbauen,müsste sie wohlbeialler
Rücksicht auf die Privatsphäre der Betroffenen in
diesem Punkt mehr Klarheit schaffen. Solange sie
das nicht tut, bleibt die Affäre Khan eine Hypo-
thek.Das kann langfristigweder in ihrem Inter-
esse seinnoch in jenem ihrer Mitarbeiter, Kunden
und Aktionäre.
Der CS-Verwaltungsrat
scheint kein Interesse
an einer Klärung zu haben,
und der Untersuchungs-
bericht will sich nicht
zum Verhältnis der beiden
Spitzenmanager äussern.
Rückzug des ehemaligen Chefs von Österreich s Freiheitlichen
Strache fällt tief – und mit ihm die FPÖ
Der Aufstieg aus der Neonaziszene zumVizekanz-
ler ist eine durchaus bemerkenswerte Karriere,
die so vielleicht nur in Österreich möglich ist. Mit
dem völligenRückzug des vormaligen FPÖ-Chefs
Heinz-Christian Strache aus derPolitik kommt
dieseLaufbahn nun zu einem jähen Ende. Freiwil-
lig geschieht dies nicht, vielmehr ist in denTagen
seit Bekanntwerden der Spesenaffäre der interne
Druck zu gross geworden.SelbstengsteVerbündete
haben sich vom einstigenPartei-Idol abgewandt.
Dabei ist es bezeichnend, dass nicht das im ver-
gangenen Mai veröffentlichte Ibiza-Video Strache
endgültig zuFall brachte. Über die auf derParty-
in sel demonstrierte Käuflichkeit und das proble-
matische Demokratieverständnis sah man bei den
Freiheitlichen erstaunlich locker hinweg. Rasch war
von einer kriminellenVerschwörung aus demAus-
land dieRede und von einemmöglichen Comeback
Straches bei der für diePartei so wichtigenWien-
Wahl imkommendenJahr.
Doch während die auf Ibiza inAussicht gestellte
Verscherbelung von Staatsinteressen für die FPÖ
bei der Europawahl imFrühling nur geringfügige
Folgen hatte, wirkte sich derVorwurf von Gucci-
Taschen aufParteikosten am letzten Sonntag bei
der nationalenWahl in einem massivenVerlust aus.
Solche Anschuldigungen sind denSympathisanten
der Freiheitlichen,unter ihnen viele Niedrigverdie-
ner, nicht zu erklären.
Straches vollständigerRückzug war damit un-
ausweichlich,auch wenn er die Behauptungen nach
wie vor bestreitet. Er zahlt damit den «höchstmög-
lichen Preis», wie er es selbst formulierte. Denn so-
sehr die FPÖ stets gegen das Establishment gewet-
tert hatte, so sehr hatte Strache Amt undWürden
als Vizekanzler genossen. Die anderthalbJahre in
den Prunkräumen derRepublik waren der Höhe-
punkt einessteilenAufstiegs, der 2005 mit der
Übernahme der FPÖ in einer tiefen Krise nach der
AbspaltungJörg Haidersbego nnen hatte. Mit dem
Wiener an der Spitze legten dieFreiheitlichen in
jeder Nationalratswahl zu und erreichten 2017 mit
einemViertel der Stimmen fast HaidersRekord-
ergebnis von1999. Wie einst sein Mentor führte
Strache diePartei in dieRegierung – das war über
vieleJahre sein Ziel gewesen. Und anders als noch
Haider durfte er selbstTeil des Kabinetts werden.
Dieser Erfolg machte Strache zum Vorbild von
Rechtspopulisten in ganz Europa.
Umso tiefer ist derFall. Für die FPÖ ist Strache
mit seiner Erfahrung, dem kommunikativenTalent
und seinem Charisma schwer zu ersetzen.Der neue
Parteivorsitzende Norbert Hofer polarisiert weni-
ger und hat mit seinem gemässigtenAuftreten mehr
Strahlkraft fürWähler in derMitte. Immer wieder
wird betont, dass er im erstenWahlgang der Präsi-
dentschaftswahl 2016 mit 35 Prozent das beste na-
tionale Ergebnis derParteigeschichte erreichte und
danachAlexanderVan der Bellen nur knapp unter-
lag. Damals trat Hofer imWahlkampf jedochregel-
mässig mit Strache auf, und dieser rührte auf sei-
nen reichweitenstarken Social-Media-Kanälen die
Werbetrommel für ihn. Die Mobilisierungsfähig-
keit Straches bei der freiheitlichenKernklientel ist
kaum zu unterschätzen.
Dass Strache die Spekulationen, erkönnte mit
einer eigenen Bewegung eineRückkehr versuchen,
nun beendet hat, ist zwar eine Erleichterung für
die Partei. Strache verhindert damit die Spaltung,
die Haider in seiner typischen Egozentrik voran-
getrieben hatte.Doch die Emanzipation vom lang-
jährigenVorsitzenden wird eine Herausforderung
für die FPÖ sein. Der Beweis, dass sie sich nicht
regelmässig selbst zerstört, ist noch nicht erbracht.
Anders als Jörg Haider
durfte Strache selbstTeil
des Kabinetts werden. Dieser
Erfolg machte ihn zum
Vorbild für Rechtspopulisten
in ganz Europa.
Leichtathletik-Weltmeisterschaften im halbleeren Stadion
Das Pr oblem ist nicht nur Doha
Stell dir vor, es ist WM, undkeiner geht hin. Dieses
bizarre Szenario ist in Katar beinaheRealität: Im
48 000 Zuschauer fassenden Khalifa Stadium sind
die meistenPlätzemit farbigenTüchernabgedeckt.
ZurVerfügung stehen Plätze für17 000Zuschauer.
Aber selbst diese Zahl wird bis jetzt bei weitem
nicht erreicht.Nie zuvor waren Leichtathletik-WM
derart schlecht besucht.Das hat die Diskussion be-
feuert, wie statthaft es ist,Titelkämpfe an einem
Ort durchzuführen,an dem eskeinerlei Sportkultur
gibt. Verschärft wird das durch dieTatsache, dass
eine rechtliche Untersuchung wegenmutmasslicher
Korruption bei der WM-Vergabe nach Katar läuft.
Der Sport spielt eine zentraleRolle in der von
Katars Herrscherfamilie ausgerufenen «National
Vision 2030», einem Leitbild, das demLand helfen
soll, wenigerabhängig von Öl und Erdgas zu wer-
den. Mit Grossanlässen hofft man, Katarins grosse
Schaufenster zu rücken.Handballer, Radfahrer und
Kunstturner trugen hier bereits ihreWM aus, jetzt
sind die Leichtathletenan der Reihe, 2022folgt
das VorzeigeprojektFussball-WM, 2023kommen
die Schwimmer. Und am Ende sollen Olympische
Spiele stehen.
Das Problem ist, dass der Sport hierkeinerlei
Tradition hat. Nationalteams werden mit Athle-
ten gebildet, die man imAusland zusammenkauft;
aber das Interesse ist bei den nur 300000 gebürti-
gen Katarern minimal. DerRest der 2,9 Millionen
Einwohner sind Gastarbeiter, die sich kaumTickets
für Belustigungen leistenkönnen. Immerhin sind
während derLaufwettbewerbe Afrikaner im Sta-
dion, die ihreAthleten begeistert anfeuern. Doch
bevor dieSprintfinalsanstehen, gehen sie ins Bett,
weil sie in aller Herrgottsfrühe zur Arbeit müssen.
Gleichzeitig muss man Katar zugutehalten, dass
es nicht nur in Grossanlässe investiert, sondern
auch den Sport imLand im grossen Stil fördert.
Die Infrastruktur ist hervorragend, 2004wurde die
AspireAcademy gegründet, in der einheimische
Talente mit modernstem Know-how gefördert wer-
den und gleichzeitig eine gute Schulbildung erhal-
ten. In der Leichtathletik gibt es seit1997 ein inter-
nationales Meeting, seit 2011 gehört dieses zum
exklusiven Kreis der Diamond League.Auch hier
gab es zu Beginn kaum Zuschauer, zuletzt hat sich
die Situation etwas verbessert.
Die WM-Organisatoren haben in den letzten
Tagen die politische Situation im Nahen Osten für
den mangelnden Publikumszuspruch verantwort-
lich gemacht.Tatsächlich wird dasLand von den
umliegenden Staaten boykottiert, dieihm vorwer-
fen, denTerrorismus zu unterstützen.Allerdings ist
fraglich,ob Zuschauer tatsächlich aus Saudiarabien
oderBahrain angereist wären, wo die Leichtathle-
tik auchkeine Massen bewegt.
Katar ist tatsächlich der falsche Ort für diese
WM, wenn man das Klima und die fehlendeTradi-
tion hoch gewichtet. Anderseits ist es ein legitimes
Anliegen desWeltverbandes, eine globale Sport-
art auch tatsächlich global auszutragen und neue
Märkte zu erschliessen. Denn gesprintet,gesprungen
und geworfen wird rund um den Globus, aber es gibt
nur wenigeOrte, an denenTitelkämpfe auch echte
Sportfeste sind. Doha folgt auf London 2017, wo an
zehnTagen 600000 sportverrückte Briten im Sta-
dion waren.Aber1997 in Athen und1999 in Sevilla
wurde ebenfalls über halbleere Stadien und man-
gelnde Stimmung gelästert, 2001 tauften britische
Journalisten Edmonton in Deadmonton um. Und
2014 schrieben die EM-Organisatoren in Zürich ein
Defizit, weil sie es nicht schafften, den Letzigrund
anständig zu füllen.Das zeigt: Nicht nur Doha hat
ein Problem,sondern die Leichtathletikgenerell.
Es ist ein legitimes Anliegen
des Weltverbandes,
eine globale Sportart
auch tatsächlich global
auszutragen und neue
Märkte zu erschliessen.
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