6INTERNATIONAL Mittwoch, 2. Oktober 2019
Strache zieht sich aus der Politik zurück
Dem gefallenenStar von Österreichs Recht spopulisten droh t jetzt sogar ein Parteiausschluss – die FPÖ sieht ihn als «Ballast»
IVO MIJNSSEN, WIEN
In einerWeinbar vollerJournalisten in
der Wiener Innenstadt hat Heinz-Chris-
tian Strache am Dienstagmorgen seinen
Rückzug aus derPolitik verkündet.«Ich
strebekein Amt undkeine politische
Funktion mehr an», erklärte der ehema-
lige Vorsitzende derFreiheitlichenPar-
tei Österreichs (FPÖ),der in den letzten
eineinhalbJahrzehnten einer der domi-
nierendenPolitiker desLandes gewesen
war. Bis zurrechtlichen Klärung aller
Vorwürfe gegen ihn lasse er auch seine
Parteimitgliedschaft ruhen. Am Diens-
tagabendgabderFPÖ-VorsitzendeNor-
bert Hofer bekannt, Strache werde sus-
pendiert.Sollten sich dieVorwürfe rund
um eine Spendenaffäre erhärten, werde
er aus derPartei ausgeschlossen.
Die Veröff entlichung des Ibiza-
Videos, das Mitte Mai zum Sturz der
Koalitionsregierung von Freiheit-
lichen undKonservativen (ÖVP) ge-
führt hatte, war der Anfang von Stra-
ches Ende. Seine unmoralischen An-
gebote an eine vorgebliche russische
Oligarchin, seine Uneinsichtigkeit und
sein offensichtliches Spekulieren auf
ein baldiges Comeback machten ihn
für die neueParteiführung zu einem
Unsicherheitsfaktor.Verzichtenkonnte
sie auf denVolkstribun aber zunächst
nicht, da er bei derBasis nach wie vor
beliebt war. Doch der zögerliche Um-
gang mit Strache lief demVersuch zu-
wider, die FPÖ als erneuerten und
salonfähigen zukünftigenRegierungs-
partner zu positionieren.
FataleSpesenaffäre
Dies änderte sich kurz vor der National-
ratswahl vom letzten Sonntag, als eine
fatale Spesenaffäre publik wurde. Stra-
che soll laut einem von ihm enttäuschten
ehemaligen Bodyguard überJahre auf
Kosten derPartei und der Steuerzahler
ein Luxusleben geführt haben. Neben
ein em kolportierten Spesenkonto von
10 000 Euro gewährte ihm dieWiener
FPÖ einen Zuschuss für seineWohnung
und entlöhnte seineFrau grosszügig für
ihre ehrenamtliche Tätigkeit alsTier-
schutzbeauftragte.
DaspassteschlechtzuStrachesImage
alsAnwaltdeskleinenMannes.Dochdas
Fass zum Überlaufen brachten die vom
Leibwächter überJahre hinweg gesam-
melten Belege dafür,dass er persönliche
Ausgaben falsch deklariertund derPar-
tei verrechnet hatte. Die FPÖ und die
Staatsanwaltschaft leitetenVerfahren
gegen ihn ein.
Strache bezeichnete dieVorwürfe
am Dienstag als falsch und verwahrte
sich gegenVorverurteilungen. Doch
für dieFreiheitlichen ist Strache zu
einem politischen Problem geworden:
Sie verloren bei der Nationalratswahl
zehn Prozentpunkte, wobei die Hälfte
der Verluste darauf zurückzuführen
ist, dass ihreWähler zu Hause blie-
ben. DieWagenburgmentalität und die
«Jetzt erstrecht»-Stimmung, die nach
dem Ibiza-Video noch geherrscht hat-
ten ,sind umgeschlagen inFrustration
und Streit.
«An unserem schlechten Abschnei-
den ist massgeblich Strache schuld», er-
klärt Manfred Haimbuchner, einer der
sechs stellvertretendenParteichefs und
ein wichtiger Machtfaktor in der FPÖ.
Der Oberösterreicher stellt imGespräch
klar: «Mit demBallast, den er mit sich
bringt,können wir nicht frei agieren.»
Das Ruhenlassen derMitgliedschaft
genüge nicht, betont Haimbuchner. Er
habe sich imParteivorstand für die Sus-
pendierung Straches eingesetzt.
Spaltungabgewendet
StrachesRückzug zeigt, dass er weder
über denWillen noch denRückhalt ver-
fügt,politischeigeneWege zu gehen und
einenTeil derPartei mitzunehmen – ein
Szenario, über das oft spekuliert wurde.
«Ich fürchtekeine Spaltung», sagt Haim-
buchner. Die FPÖ sei geeint, die Situa-
tion nicht mit jener von 2005 zu verglei-
chen, alsJörg Haiderein eigenes Bünd-
nis gegründet habe, was die FPÖ zahlrei-
che Stimmen gekostet habe.
Dennoch dürfte die Erleichterung
bei den Freiheitlichen überwiegen,
denn dieFragen, die sie sich stellen
müssen, sind durchaus delikat.Wer nun
alle Missstände Strache in die Schuhe
schiebt, macht es sich zu einfach: Die-
ser führte sich zwar als selbstherrlicher
Alleinherrscher auf, doch solange er
Erfolg hatte, nahm diePartei jegliches
Fehlverhalten in Kauf. Das völligeFeh-
len vonKontrollstrukturen stellt den
Führungsqualitäten derParteioberen
ein schlechtes Zeugnis aus. Dies gilt
auch für Norbert Hofer und Herbert
Kickl, diefast fünfzehn Jahre lang loyal
an Straches Seite standen.
Auch Manfred Haimbuchner ge-
hört seit 2011 zurFührungsspitze, war
aber unter den Ersten,die Strache nach
«Ibiza» vorsichtig kritisierten. Er gilt
als Anhänger des eher schwachen wirt-
schaftsliberalen Flügelsundliegt migra-
tionspolitisch voll aufParteilinie.Wie
die meistenParteikader unter Strache
entstammt er dem burschenschaftlichen
Milieu, das besonders inOberöster-
reich eine ungesunde Nähe zuRechts-
extremen und Identitären aufweist.Von
Letzteren hat er sich allerdings früh
distanziert. Dennoch bezeichnet er die
wiederkehrenden Kontroversen um
rechtsextreme Umtriebe in der FPÖ als
«Schaufensterdebatte». Die Partei gehe
stets entschieden gegen sie vor.
Haimbuchner hat sich in den letz-
ten Monaten geschickt als Erneue-
rer positioniert:«Wir haben jetzt die
Chance, aus denFehlern derVergan-
genheit zu lernen», findet er. Der Bun-
desparteivorstand ernannte ihn am
Dienstag zum Leiter einer Gruppe,
die bessereKontrollmechanismen und
Verhaltensregeln innerhalb der FPÖ
erarbeiten soll.Systemfehler erkennt
Haimbuchnerkeine:«UnsereProbleme
entstammen dem persönlichenFehlver-
halten gewisserPersonen.» Die jetzige
Führung sei gut aufgestellt, eine inhalt-
liche Neuausrichtung brauche es höchs-
tens in Nuancen.
Weniger Nähe zuRussland
Dazu gehört für ihn dieAuflösung des
KooperationsvertragsmitderKreml-Par-
tei EinigesRussland.«Wir dürfen nicht
den Eindruck erwecken, dass fremde
Mächte Einfluss auf diePartei haben»,
meintHaimbuchner,zweifellosmitBlick
auf die grosse Nähe Straches zuRuss-
land, die sich auch im Ibiza-Video offen-
barte. Der Politiker betont aber im glei-
chen Atemzug, dass er gegen die gegen
Russland verhängten Sanktionen ist.
Der zusammen mit denKonser-
vativen in Oberösterreichregierende
Haimbuchner machtkein Hehl daraus,
dass er die FPÖ auch auf nationaler
Ebene gerne wieder in einerKoalition
mit derÖVP sähe. Dies aber nicht um
jeden Preis: «Nachhaltig mitgestalten
können wir nur, wenn wir stark genug
sind.» Dies ist angesichts derVerluste
gegenwärtig zwar nicht derFall.Klar ist
allerdings auch, dass mitdem Rückzug
Straches ein Hindernis für eine Neu-
auflage derkonservativ-freiheitlichen
Koalition weggefallen ist: Sollten FPÖ
und ÖVP eine solche anstreben, fiele
ihnen dieRechtfertigung nunetwas
leichter.
Heinz-Christian
Strache
EPA Ehemaliger FPÖ-Chef
Strache fällt tief –
und mit ihm dieFPÖ
Kommentar auf Seite 11
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