as erste Warnzeichen ist oft ein eigenar-
tig schmerzhafter Husten. Bis dahin ge-
sunde Menschen leiden wie aus heiterem
Himmel unter Fieber, Atemnot, Erbre-
chen. Die Symptome ähneln denen einer
Lungenentzündung, doch es ist kein Keim nachzuwei-
sen. Eines aber haben die Erkrankten gemeinsam: Sie
haben in den Wochen zuvor elektronische Zigaretten
benutzt. 1080 solcher Fälle sind in den USA bislang be-
kannt geworden. Einer von sechs Betroffenen ist min-
derjährig, 18 Menschen sind gestorben.
VON BIRGIT HERDEN
Die amerikanische Gesundheitsbehörde und die
Seuchenschutzbehörde fahnden seit Wochen nach der
Ursache. Die Fälle sind rätselhaft, denn E-Zigaretten
werden schon seit über zehn Jahren konsumiert. Zwar
warnen Mediziner vor langfristigen Gesundheitsrisi-
ken, so akute Auswirkungen aber sind neu.
Die Vorfälle befeuern eine Kontroverse unter Ärz-
ten, Suchtforschern und Gesundheitswissenschaft-
lern: Manche sehen in den Geräten einen potenziellen
Lebensretter für Nikotinsüchtige, die anders nicht
vom Rauchen loskommen. Andere warnen davor, dass
die Hersteller damit bisherige Nichtraucher in die Ni-
kotinabhängigkeit treiben. Es ist ein Streit, in dem bei-
de Seiten mit viel Leidenschaft aneinander vorbeire-
den – weil sie über zwei verschiedene Gruppen reden,
Raucher und Nichtraucher.
ENTWICKLUNG Es gibt viele unterschiedliche Mo-
delle von E-Zigaretten, das grundlegende Prinzip ist
immer dasselbe: Eine Flüssigkeit, die man Liquid
nennt, wird verdampft und inhaliert.
Das Liquid kann, muss aber nicht Ni-
kotin enthalten. In der Anfangszeit
wurden E-Zigaretten von kleinen
Bastlerfirmen konstruiert, die Nut-
zer mischten ihre Liquids selbst. In
neuere Modelle setzt man kleine
Kapseln ein, Pods genannt. Die Pods
enthalten sowohl Liquid als auch
Verdampfereinheit. Die Geräte sind
damit unkomplizierter und massen-
tauglicher geworden. Längst drän-
gen auch die großen Tabakfirmen auf
den Markt. Der Tabakriese Altria hat
Ende vergangenen Jahres Anteile des
bekanntesten E-Zigaretten-Herstel-
lers Juul erworben – immerhin im
Wert von 12,8 Milliarden Dollar.
Inzwischen zeichnet sich ab, dass
die Erkrankten ihre Liquids und
Pods auf dem Schwarzmarkt erwor-
ben und häufig den Marihuana-Wirkstoff THC konsu-
miert haben. In den USA ist ein reger unkontrollierter
Handel entstanden, ein Großteil der Waren stammt
aus China. Eine einzelne Substanz in den untersuch-
ten Liquids, die alle Fälle erklären könnte, haben die
Behörden bislang nicht gefunden.
Für deutsche Konsumenten sieht das Bundesinsti-
tut für Risikobewertung (BfR) bislang keine akute Ge-
fahr. „Man sollte nur Produkte im Fachhandel kaufen
und dubiose Anbieter im Internet meiden“, sagt Elke
Pieper, wissenschaftliche Mitarbeiterin am BfR. Wie
sieht es mit den legalen Produkten aus? „Sofern sie
den europäischen und deutschen Regelungen entspre-
chen, sind E-Zigaretten substanziell weniger gefähr-
lich als herkömmliche Zigaretten.“ Pieper vertritt mit
diesem Argument die Seite, die Menschen im Blick
hat, die längst Raucher sind.
Der Dampf von E-Zigaretten kann eine Reihe toxi-
scher Substanzen enthalten. Zu den bekannten Risi-
ken gehören Husten, Asthma, Hyperreaktivität der
Atemwege, eine schlechtere Abwehrlage der Lunge,
Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System. Nicht-
raucher sollten also besser die Finger davonlassen.
Anders bei Rauchern. „E-Zigaretten sind nicht harm-
los, aber sie sind ganz klar weniger gesundheits-
schädlich als herkömmliche Zigaretten, das ist wis-
senschaftlicher Konsens“, sagt Ute Mons, die am
Deutschen Krebsforschungszentrum die Stabstelle
der Krebsprävention leitet. Ein Expertengremium in
den USA hat im letzten Jahr die Studienlage zusam-
mengefasst. Dazu gehören Schadstoffanalysen des
Dampfs, Versuche mit Tieren und Zellkulturen und
Untersuchungen an Menschen. Nicht geklärt sei die
Größe der Gefahr, sagt Mons. „Dazu fehlen Langzeit-
studien, die uns sagen, ob E-Zigaretten beispielswei-
se 70, 80 oder 90 Prozent weniger schädlich sind.“
Schon vor den Krankheitsfällen in den USA sei es ein
Problem gewesen, die Risiken von E-Zigaretten zu
kommunizieren. Mons: „Es wäre fatal, wenn Men-
schen wegen der Krankheitsfälle nicht von herkömm-
lichen auf E-Zigaretten umsteigen oder wenn Damp-
fer wieder zu Zigaretten zurückkehren.“
NUTZEN Ob E-Zigaretten bei der Raucherentwöh-
nung wirksamer sind als Nikotinersatzprodukte wie
Kaugummi oder Pflaster, war lange umstritten. Anfang
des Jahres ist im „New England Journal of Medicine“
dazu eine Studie erschienen, die Ute Mons als Meilen-
stein bezeichnet. Britische Forscher hatten knapp 900
Menschen rekrutiert, die bereits vergeblich versucht
hatten, mit dem Rauchen aufzuhören. Eine Gruppe
bekam das Starterkit einer E-Zigarette, die anderen
durften zwischen Nikotinersatzprodukten wählen.
Nach einem Jahr waren 18 Prozent der Dampfer von
den Zigaretten losgekommen, in der anderen Gruppe
nur 9,9 Prozent. „Für mich ist spätestens seit dieser
Studie klar, dass E-Zigaretten einen Nutzen bei der
Tabakentwöhnung haben“, sagt Mons. Die Studie ma-
che allerdings auch klar: Ein Wundermittel sind die
E-Zigaretten nicht.
Dem potenziellen Nutzen steht eine Gefahr gegen-
über. Jugendliche, unter denen das Rauchen stark
rückläufig ist, könnten die Geräte mit den oft kindge-
rechten Aromen ausprobieren und so von Nikotin ab-
hängig werden. Die Tabakkonzerne hätten ihr Ge-
schäft mit der Sucht wieder gesichert. Klar belegt ist
diese Gefahr in den USA: Einer von vier Zwölftkläss-
lern und einer von elf Achtklässlern hatte nach einer
Befragungwährend der 30 Tage zu-
vor E-Zigaretten konsumiert – die
Zahl der dampfenden Schüler hat
sich in zwei Jahren verdoppelt.
Im Vergleich dazu sind die Zahlen
in Deutschland noch gering. Laut
Bundeszentrale für gesundheitliche
Aufklärung hatten im letzten Jahr
4,2 Prozent der Jugendlichen im Al-
ter von 12 bis 17 Jahren innerhalb der
30 Tage zuvor gedampft. Der Anteil
der Raucher unter Jugendlichen ist
allerdings rückläufig – er sank von
30,2 Prozent in 1979 auf nun 6,6 Pro-
zent. Ob die E-Zigaretten diesen
Trend wieder umkehren, darüber
gibt es noch keine gesicherten Er-
kenntnisse. Manche Studien weisen
aber darauf hin, dass Jugendliche
häufiger Zigaretten rauchen, wenn
sie E-Zigaretten probiert hatten.
D
E-Zigaretten gelten als Gefahr für Jugendliche. Für die 20 Millionen erwachsenen Raucher in
Deutschland sind sie jedoch weiterhin eine weniger gesundheitsgefährdende Alternative
GETTY IMAGES
/ARTEM HVOZDKOV
Der Aufbau einer E-Zigarette
Mundstück
Kartusche mit „Liquid“
Mischung aus:
∙ Propylenglykol
∙ Glyzerin
∙ Wasser
∙ Aromen und meist Nikotin
Heizelement Mikroprozessor
Einschaltknopf
manche Geräte werden
auch durch einen Drucksensor
beim „Ziehen“ aktiviert
Akku
Manche Geräte haben
eine Leuchtdiode,
um das Glimmen einer
Zigarette zu imitieren
Rauch
ohne Feuer
20 DEUTSCHLAND & DIE WELT WELT AM SONNTAG NR.40 6.OKTOBER