38 KULTUR WELT AM SONNTAG NR.40 6.OKTOBER2019
ie ist eine Frau mit – sehr –
vielen Eigenschaften: Die
„Sexiest Woman Alive“, mit
einem Oscar bedacht, spielt
Hauptrollen, führt Regie,
produziert Filme. Sie ist seit mehr als 18
Jahren Sonderbotschafterin des UN-
Flüchtlingshilfswerks, bereist Krisenre-
gionen und spricht an der London
School of Economics über sexuelle Ge-
walt als Waffe in Kriegen. Bald ist sie
nach längerer Pause wieder in einer
Hauptrolle im Kino zu sehen – als böse
Fee mit Hörnern in „Maleficent 2:
Mächte der Finsternis“. Eine Rolle, die
sie 2014 erstmals übernahm – der Film
spielte über 750 Millionen Dollar ein.
Jolie ruft aus Los Angeles an. Nach ei-
ner halben Stunde bedankt sie sich mit
ruhiger Stimme für das Gespräch und
sagt, sie müsse nun zum Ende kommen
- gleich ist Weltpremiere ihres neuen
Films, mit rotem Teppich und Tamtam.
VON MARTIN SCHOLZ
WELT AM SONNTAG:Ms Jolie, ein Clip
zeigt Ihre Verwandlung in die böse
Fee Maleficent mit Hörnern. Dazu
wird „Back in Black“ gespielt. Mögen
Sie AC/DC?
ANGELINA JOLIE:Ich kenne die Band
jetzt nicht so gut, aber ich mag die Ener-
gie dieses Songs. Deshalb habe ich ihn
ausgesucht. Harter Rock’n’Roll, das
Gefühl von unbändiger Freiheit.
Sie tragen keine klassischen Teufels-
hörner, eher ein Antilopengeweih.
Wie wichtig sind solche Details für ei-
ne Oscar-Preisträgerin?
Als wir vor mehr als fünf Jahren mit
dem ersten Film anfingen, mussten wir
eine Kreatur erschaffen, die zwar in
vielerlei Hinsicht teuflisch aussehen
sollte. Andererseits ist Maleficent aber
oft auch sanftmütig, verständnisvoll
wie eine Mutter. Sie hat diese empathi-
sche Seite, verbreitet nicht nur Schre-
cken. Wir haben lange diskutiert, wie
ihre Hörner beschaffen sein, in welcher
Weise sie geschwungen sein sollten,
um diese widersprüchlichen Eigen-
schaften zu betonen. Ich habe mir An-
tilopen angesehen, beobachtet, wie
diese Tiere sich mit so einem Geweih
bewegten.
Als Sie die Fee 2014 erstmals spielten,
wusste niemand, ob diese Antiheldin
gut oder böse war – ein Experiment.
Stimmt, ja.
Keine Wonder Woman also – schwim-
men Sie gern gegen den Strom?
Als Künstlerin reizt es mich immer,
Dinge zu machen, die noch keiner vor
mir gemacht hat. Wenn ich mich selbst
pushen, etwas testen, experimentieren
kann, fühle ich mich am wohlsten. Ich
kann dann auch ruhig scheitern. Für
mich ist Kunst ein Antrieb, etwas zu ris-
kieren – und auch andere zum Nach-
denken zu bringen. An der Rolle der
Maleficent liebe ich, dass sie sich von
Stereotypen absetzt. Alle glauben, dass
sie die Böse ist – okay. Aber dann wird
diese Sicht aufgebrochen. Schauen Sie,
in unserem Leben wird heute so viel
Angst verbreitet, viele von uns sehen
sich bereits dann viel Kritik ausgesetzt,
wenn sie anders sind oder andere
Standpunkte vertreten. Unsere Sicht
hat sich generell sehr verengt. Und wir
können täglich beobachten, wie sich das
ausbreitet. Die Kombination aus Angst
vor allem, was anders ist, und Falschin-
formation schüren diesen Effekt noch.
Und je öfter es gelingt zu diesem vor-
herrschenden Gefühl einen Gegendruck
aufzubauen, zu zeigen, dass Diversität,
Andersartigkeit auch eine Stärke ist,
umso besser.
Im Film geht es auch um den Schutz
der Natur. Sie sind eine seiner Produ-
zentinnen. Nutzen Sie Ihren Einfluss
dafür, dass ein Disney-Blockbuster ei-
ne solche Botschaft hat?
Absolut. Aber das geht auf eine alte Tra-
dition von Märchen zurück. Gute, rele-
vante Märchen haben eine Botschaft.
Die schlichten Botschaften sind oft die
wichtigsten. Freundschaft, Liebe – je-
manden unterstützen, der unterdrückt
wurde. Und wenn man einen Film für
Kinder macht, hat man eine noch größe-
re Verantwortung. Es geht nicht darum,
Kinder nur zu unterhalten. So sehe ich
das zumindest. Ich möchte Kinder mit
einem Film jedenfalls nicht in die fal-
sche Richtung schicken.
Wie meinen Sie das?
Ich möchte ihnen Geschichten erzäh-
PFLUGER/THE NEW YORK TIMES/REDUX/LAIF
„In extremen
Situationen
bin ich gut“
Angelina Jolie, Hollywoodstar und
UN-Aktivistin, über politische Märchen,
Teufelshörner und die Hysterie unserer Zeit
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