Die Welt Kompakt - 06.10.2019

(John Hannent) #1

WELT AM SONNTAG NR.40 6.OKTOBER2019 STIL^49


trie in Anspruch nehmen, von der
Haartransplantation bis zum Well-
nessurlaub. Wo würden Sie die Grenze
ziehen zwischen körperlicher Instand-
haltung und kostspieligem Selbstbe-
trug?
Das muss jeder für sich selbst entschei-
den, denn jeder altert auf seine Weise.
Auch wenn ich es selbst nicht tun wür-
de, halte ich es zum Beispiel für völlig
legitim, die Haare zu färben, um das
Grau zu kaschieren. Wenn sich jemand
Botox spritzen lassen möchte, bitte
sehr, ich werde ihn nicht verurteilen. Al-
lerdings haben solche Entscheidungen
oft unschöne Ursachen, etwa das Be-
streben, am Arbeitsplatz jünger und da-
mit fitter auszusehen, um nicht
schlechter behandelt oder gar gefeuert
zu werden. Das muss sich ändern. So-
lange wir beim Geburtsdatum falsche
Angaben machen und bei unserem Le-
benslauf schummeln, zementieren wir
die Vorstellung, dass Älterwerden etwas
ist, wofür man sich schämen muss.


Ist Altersdiskriminierung die letzte
Form von Diskriminierung, mit der
man heute noch ungeschoren davon-
kommen kann?
Ja, da ist was dran. Gestern war ich bei
einer Veranstaltung, bei der jemand ge-
sagt hat: „Diese Software ist so einfach,
dass meine Großmutter sie benutzen
könnte.“ Keiner hat mit der Wimper ge-
zuckt. Ersetzen Sie das Wort „Groß-
mutter“ durch „Frau“ oder „schwarze
Person“ und stellen sich vor, was los ge-
wesen wäre. Man hätte Sie aus der Stadt
gejagt. Es ist meine Mission, das zu än-
dern und auch das Alter zum Kriterium
für Diversität zu machen.


Auf Ihrem Blog prangern Sie aktuelle
Fälle von Altersdiskriminierung an.
Neulich hat sich dort jemand darüber


beklagt, dass es sich bei den Zombies
in einer Fernsehserie ausschließlich
um alte Leute handelte. Ist das nicht
ein bisschen kleinlich?
Überhaupt nicht. Ich glaube, dass es vie-
le junge Menschen gibt, die ältere Men-
schen als zombieartige Kreaturen be-
trachten, die eine Bedrohung darstellen.
Die Medien können solche Vorstellun-
gen verstärken. In der amerikanischen
Presse ist immer wieder von einem
„grauen Tsunami“ die Rede. Das ist eine
grauenvolle Metapher, die unbegründe-
te Ängste schürt, statt die Herausforde-
rungen zu benennen oder nach den
Chancen zu suchen, die mit der demo-
grafischen Entwicklung einhergehen.

Besonders im Westen leben wir in ei-
ner alternden Gesellschaft, in der sich
ein großer Teil des Vermögens auf die
ältere Generation konzentriert. Da ist
die Sichtweise doch gar nicht so ab-
wegig, dass die Alten die Ressourcen
aufbrauchen, indem sie SUVs fahren
und durch die Welt jetten – und die
Jungen später die Rechnung dafür
zahlen müssen.
Natürlich gibt es Leute, die ihren Le-
bensabend auf Kreuzfahrtschiffen ver-
bringen. Ich kenne aber auch viele älte-
re Menschen, die sich nicht mal einen
Zahnarzt leisen können – oder die nach
ihrer Pensionierung arbeiten müssen,
um über die Runden zu kommen, weil
ihre Ersparnisse aufgebraucht sind.
Vorurteile dienen dazu, Menschen ge-
geneinander aufzubringen und von den
wahren Problemen abzulenken. Ich
wünsche mir eine Welt, in der alle Men-
schen gleich behandelt werden – egal,
wie alt sie sind. Wenn sich die Lebens-
spanne verlängert, sollten wir jüngeren
Menschen mehr Zeit geben, sich zu ori-
entieren – und sie unterstützen.

Die Forschung arbeitet daran, die Al-
terungsprozesse besser zu verstehen,
um sie zu verlangsamen. Finden Sie
das erstrebenswert?
Einerseits klingt das verlockend. Es ist
dringend nötig, die Biologie des Alterns
zu erforschen. Vielleicht finden wir da-
bei Behandlungsmöglichkeiten für Ar-
thritis, Parkinson oder Alzheimer. Und
wäre es nicht schön, wenn die Medizin
den körperlichen Verfall, den Sie ein-
gangs beklagt haben, aufhalten könnte?
Andererseits lehren Literatur und Phi-
losophie uns, dass ewiges Leben nicht
unbedingt ein Segen ist. Erst seine End-
lichkeit gibt unserem Dasein seine Be-
deutung.

Wie sollte man den Schattenseiten
des Älterwerdens begegnen?
Ich halte nichts von den Advokaten des
Positive AgingPositive AgingPositive Aging, die uns dazu antreiben, die uns dazu antreiben
wollen, mehr Grünkohl zu essen, weni-
ger Kaffee zu trinken und möglichst viel
zu trainieren, damit wir einen Mara-
thon laufen, jüngere Partner haben oder
Berge besteigen können, bis wir ster-
ben. Wenn man versucht, wie eine jün-
gere Version von sich selbst auszusehen
und sich auch noch so zu bewegen,
macht man sich selbst etwas vor und
wird irgendwann daran scheitern. Man
sollte dagegenhalten, wo man kann.
Wer das Altern aber ganz aufhalten will,
hört auf, sich weiterzuentwickeln. Es
geht vor allem darum, sich der Vorstel-
lung zu widersetzen, dass das Alter ir-
gendwas über einen aussagt.

ADRIAN BUCKMASTER

Die 67 Jahre alte Amerika-
nerin lebt in Brooklyn/New
York und ist unter anderem
die Urheberin des Blogs „Yo,
is this Ageist?“. Eine laute
Stimme gegen die Alters-
diskriminierung zu sein, ist
ihr Lebensthema. Ashton
Applewhite hält Vorträge,
betreibt einen Blog und
sammelt wissenschaftliche
Erkenntnisse. Ihr Manifest
„This Chair Rocks“ ist bislang
nur auf Englisch erschienen.

Ashton Applewhite
US-Aktivistin

ier Jahre lang hat die britische
Königshausexpertin Sally Bedell
Smith sich mit dem Leben des
Prince of Wales befasst, sprach mit
über 300 Freunden, Familienmitglie-
dern, Palastoffiziellen. Smith’ Biogra-
fie („Prinz Charles. Ein außergewöhn-
liches Leben“, Busse Seewald, 29,95
Euro) zeigt, wie visionär dieser Mann
ist. Hier eine Auswahl der exzen-
trischsten Fakten und Zitate.

MAMA, PAPA, HÄNDEDRUCKKöni-
gin Elisabeth stillte Charles zwei Mo-
nate lang, bis sie sich mit Masern infi-
zierte. Später zeigten sie und ihr Mann
wie in der Oberschicht üblich kaum
körperliche Nähe zu den Kindern. Im
Mai 1954 – da war Charles fünf Jahre
alt – kamen sie etwa von einer halbjäh-
rigen Rundreise durch die Common-
wealth-Länder zurück und begrüßten
die Kinder – mit einem Händedruck.

FATTY IM OUTBACKEr besuchte als
erster Thronerbe eine Schule außer-
halb des Palasts. Mitschüler nannten
ihn „Fatty“, weil er pummelig war.

KURZZEITVEGETARIERMit 14 erleg-
te er seinen ersten Hirsch, mit Mitte
20 wurde er kurzzeitig zum Vegetarier
und hörte mit der Jagd auf.

LUXUSSTUDENT In Cambridge stu-
dierte der Prinz Anthropologie und
Archäologie. Er wohnte in einer Zim-
merflucht, die Mutter Elizabeth II von
ihrem „Tapissier“ neu einrichten und
mit einem Bad ausstatten ließ. 1969
studierte er ein Weilchen in Wales.
Seine Kommilitonen fand er „langhaa-
rig, barfuß und verschwitzt“.

PLASTIKPROGNOSE Bereits 1970
hielt der Prince of Wales seine erste
Rede zum Thema Umweltverschmut-
zung – und verdammte den Abfall
durch Plastikflaschen, der „Berge von
Müll“ entstehen lasse.

FLOTT ÜBER DEN WOLKEN 1971
lernt Charles Jets zu fliegen – und
liebte es. Dabei spüre er „Kraft, ge-
schmeidige, sorgenfreie Kraft“.

SPIRITUELLES DICKICHTIm Garten
seines Landsitzes hat der Prinz ein Re-
fugium zum Beten und Nachdenken
geschaffen. Eigentlich Anglikaner, be-
kannte er in einer Fernsehdoku, ein
Suchender zu sein. Seit 1998 pilgerte
er sechs Mal nach Griechenland zur
Mönchsrepublik auf dem Berg Athos.

TÄNZER „Der Rhythmus ist tief in
mir“, sagte Charles mal als junger
Mann. „Wenn ich rhythmische Musik
höre, möchte ich sofort aufstehen und
tanzen.“ Zum 40. Geburtstag tat er ge-

nau das ausgelassen mit drei jungen
schwarzen Frauen. Das Fazit von ei-
ner: „Tanzt gut für einen alten Mann.“

RECHENSCHWACH Bei der Marine
machten sich Vorgesetzte Sorgen we-
gen Charles’ „Unfähigkeit, Zahlen zu
addieren oder grundsätzlich mit ihnen
klarzukommen“.

STÄDTEBAUERWWWeil er moderne Ar-eil er moderne Ar-
chitektur so furchtbar fand, ließ Char-
les ab 1993 das Modellstädtchen
Poundbury bauen. Inzwischen woh-
nen dort einige Tausende Menschen,
der Ort ist längt eine Touristenattrak-
tion. Die Queen und Prinz Philip
machten 1998 auf der Durchreise kurz
halt. Zu kurz, Charles tobte: „Das Pro-
jekt meines Lebens, und meine Eltern
schenken ihm gerade mal 20 Minuten
ihrer Zeit!“

SO VIELE PROJEKTE Charles grün-
dete etliche Unternehmen und Stif-
tungen. Sein größter Erfolg, der
Prince’s Trust, verhalf schon rund ei-
ner Million jungen Menschen zu einer
Ausbildung oder Arbeit. Auch der
Schauspieler Idris Elba („The Wire“)
startete seine Karriere mithilfe eines
Stipendiums des Trusts.

SCHWIEGERVATER 2 010 verlobten
sich sein Sohn Prinz William und Ca-
therine Elizabeth Middleton, nachdem
sie acht Jahre ein Paar gewesen waren
und Kate schon als „Waity Katy“ ver-
spottet wurde. Charles dazu: „Sie ha-
ben ja lange genug geübt.“

THRONFOLGER Ob der Prinz lieber
König wäre? Schwer zu sagen. Kurz
vor seinem 60. Geburtstag fragte ihn
ein Interviewer, ob er seine Arbeit mö-
ge. „Ich weiß nicht“, antwortete Char-
les. „Manches davon. Es ist etwas, von
dem ich das Gefühl habe, dass ich es
tun muss – so vielen Menschen wie
möglich in diesem Land zu helfen.“ In
Charles’ Arbeitszimmer hängt jeden-
falls der Spruch: „Habe Geduld und
halte durch.“

AUSGEWÄHLT VON BRENDA STROHMAIER

Durchblickerstehen


immer in zweiter Reihe


Prinz Charles ist mit fast 71 der ewige


Thronfolger und gänzlich cool dabei – sein


Leben steckt auch sonst voller „Wows“


V


Connaisseur Charles, hier 1969 mit
der Mutter, in angestammter Rolle

HULTON ARCHIVE/GETTY IMAGES

/IM
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