Süddeutsche Zeitung - 05.10.2019

(Ron) #1
Wer bei Banksys Rekordauktion nicht
mitbieten konnte, wird im Laden
des Kunst-Pranksters fündig  Seite 19

von andrian kreye

E


s ist natürlich schade, dass sich der
Regisseur Steven Soderbergh da-
für entschieden hat, aus der Ge-
schichte der „Panama Papers“ eine Komö-
die zu machen, in der die Bösewichte die
eigentlichen Hauptfiguren sind. Ja klar,
als Mitarbeiter derSüddeutschen Zei-
tung, die mit den Whistleblower-Akten
aus der panamaischen Kanzlei Mossack
Fonseca einen Riesen-Scoop gelandet
hat, schreibt man da ein wenig in eigener
Sache. Und natürlich sind dramaturgi-
sche Entscheidungen die Freiheit des Re-
gisseurs, und Bösewichter oft die interes-
santeren Figuren, egal ob sie Jürgen Mos-
sack, Richard Nixon oder Kater Karlo hei-
ßen. Das gilt vor allem für Whistleblower-
Geschichten, weil die Alarmschläger der
Weltgeschichte immer schon stille Revo-
lutionäre waren, die Freiheit und Leben
im Verborgenen riskierten. Was Präsi-
dent Trump gerade sehr in Rage bringt,
weil er zu gerne wüsste, wer sein Telefo-
nat mit dem ukrainischen Präsidenten
Wolodimir Selenskij in Umlauf brachte.


Film und weltpolitische Affäre sind
aber eine gute Gelegenheit für eine kleine
Ode an all jene Frauen und Männer, die
Unrecht aufdecken. Hat schon jemand
Donald Trump daran erinnert, dass das
Amerika, das er so gerne wieder „great“
machen will, von einem Whistleblower
mitbegründet wurde? Von Benjamin
Franklin, um genau zu sein, der 1773 die
„Hutchinson Letters“ an die Bostoner
Presse durchstach, in denen der kronen-
treue Vizegouverneur Thomas Hutchin-
son und seine Kumpane britischen Politi-
kern (vereinfacht gesagt) Vorschläge
machten, wie man die lästigen Koloni-
sten an die Kandare nimmt, was dann
dazu führte, dass solche Kolonisten in
Boston Teekisten ins Meer kippten, was
dann (sehr vereinfacht gesagt) dazu führ-
te, dass Benjamin Franklin und seine
Weggefährten drei Jahre später die Unab-
hängigkeit der USA erklärten.
Wahrscheinlich denkt Donald Trump
aber eher an Daniel Ellsberg, der mit den
„Pentagon Papers“ dem Protest gegen
den Vietnamkrieg entscheidenden Stoff
lieferte. Oder an Julian Assange, der ame-
rikanische Kriegsverbrechen und diplo-
matische Peinlichkeiten öffentlich mach-
te. Edward Snowden nicht zu vergessen,
der das weltweite Überwachungsnetz der
Geheimdienst aufdeckte. Es werden ja
auch immer mehr, die Unrecht enthüllen.
Wie eben jetzt direkt aus dem Oval Office.
Die Tatsache, dass man inzwischen
schon von einer Whistleblower-Kultur
spricht, kann man technisch ganz ein-
fach erklären. Benjamin Franklin und Da-
niel Ellsberg mussten ihre Unterlagen
noch buchstäblich fußläufig zu den Re-
daktionen bringen. Heute können
Whistleblower Datenpakete mit einem
Mausklick abschicken (zumindest, wenn
sie vorher schon mal die ganzen Ver-
schlüsselungsprotokolle aufgesetzt ha-
ben). Und zwar in einer Menge, für die der
Gründervater Franklin vermutlich zehn
Pferdekutschen gebraucht hätte.
Nun ist es nicht so, dass die Weltge-
meinschaft die Arbeit der Whistleblower
nicht zu schätzen wüsste. Carl von Ossi-
etzky, der 1931 in seiner ZeitschriftWelt-
bühnedie illegale Aufrüstung der Reichs-
wehr aufdeckte, wurde zwar der Prozess
gemacht, aber dann 1936 auch der Frie-
densnobelpreis zugesprochen. Doch in
der Regel ist der Lohn der Whistleblower
nach wie vor Verfolgung, Exil oder Haft,
in vielen Ländern der Tod. Weswegen
man für sie vielleicht keine Hauptrollen
in Filmkomödien fordern muss (es gibt ja
auch genügend Filmdramen, mit denen
sie gewürdigt werden), aber mehr Schutz.
Jede Demokratie sollte sich verpflich-
tet fühlen, Gesetze zu erlassen, die das
Alarmschlagen im Dienste der Allgemein-
heit zum Grundrecht erklären. Und wenn
sie es ernst meint, sollte sie allen, die dies
in Ländern tun, wo es verfolgt wird, Zu-
flucht und Asyl anbieten.


FOTO: REUTERS

Andrian Kreye ist einer der
beiden Ressortleiterdes
Feuilletons.

von fritz göttler

S


eht ihr den Eiffelturm, da drü-
ben, fragt Ellen Martin ihre Enkel-
kinder, und blickt glücklich aus
dem Fenster ihres Zimmers. Es
ist natürlich nicht der wirkliche
Eiffelturm, sondern ein Replikat – die klei-
ne Familie ist gerade in Las Vegas ange-
kommen, wo die ganze Welt, nachge-
macht, zu bestaunen ist. Illusion und Imi-
tation gehörten immer schon zum Ameri-
can way of life.

Eine vertrackte Lektion in Sachen
Schein und Wirklichkeit liefert Steven So-
derbergh mit seinem neuen Film „The
Laundromat –Die Geldwäscherei“, den er
für Netflix drehte, und der, bevor er nächs-
te Woche auf dem Streamingdienst zu se-
hen ist, an diesem Wochenende in einigen
ausgewählten Kinos gezeigt wird. Es geht
um die „Panama Papers“, die 2016 welt-
weit Aufsehen erregten. Der „Laundro-
mat“ ist die ,Verfilmung‘ eines Buchs von
Jake Bernstein („Secrecy World: Inside the
Panama Papers Investigation of Illicit Mo-
ney Networks and the Global Elite“), das
Drehbuch schrieb Scott Z. Burns, der be-
reits bei einigen Soderbergh-Filmen mit-
gearbeitet hat („Der Informant!“, „Contagi-
on“, „Side Effects“). Es ist der Versuch, et-
was auf die Leinwand zu bringen, das sich
der Darstellbarkeit eigentlich entzieht –
die dubiose ganz und gar abstrakte Reali-
tät der globalen Steueroasen, der Briefkas-
tenfirmen (shells), die nur aus Namen und
Unterschriften bestehen, keine eigenen
Aktivitäten verzeichnen und sicher keine
Menschen dahinter, nur ein mieses, exakt
durchkonstruiertes System von Geldwä-
sche und Steuervermeidung. Das nicht
nur in fernen, exotischen Gegenden lokali-
siert ist, sondern durchaus auch, und zum
großen Teil, in den USA.
Meryl Streep spielt Ellen Martin, und
sie ist die Figur, die uns durch das Laby-
rinth des Films führen wird, mit ihrer

Lebendigkeit und ihrer Beharrlichkeit.
Ellen will sich in Vegas niederlassen, um
den jähen Tod ihres Mannes Joe zu verar-
beiten. In Vegas haben sie sich kennenge-
lernt – ein Konzert mit Diana Ross, „der
schönsten Frau, die ich je gesehen habe“,
dann live der legendäre Telethon mit Jerry
Lewis am Labour Day, für an Muskeldys-
trophie leidende Kinder. Die Ehe schien be-
schwingt zu starten, Ellen erinnert sich an
eine Nacht mit einer Unmenge Mai-Tai-
Cocktails: „Eine hawaiianische Fruchtbar-
keitsdroge“, erklärt sie fröhlich ihren En-
keln: „Eure Mutter wurde gezeugt unter
einem Papierschirmchen.“
Die Trauerarbeit, die Ellen zu absolvie-
ren hat, wird dann doch lästiger und kom-
plizierter als erwartet. Joe starb, als ein
Ausflugsschiff kenterte auf dem Lake
George, New York, mit zwanzig weiteren
Passagieren. Der Schiffsbetreiber war
schlecht versichert, das heißt, seine Versi-
cherung verzettelte sich in eine Reihe von
Scheinfirmen, hinter denen nichts steck-
te, und so ist die Schadensumme, die man
Ellen zuschanzt, recht gering. Sie reicht
nicht, um dagegenzuhalten, als ein russi-
scher Oligarch ihr das Vegas-Apartment
wegschnappt, das für sie mit so wertvollen
Erinnerungen verbunden ist. Und so
kommt Ellen zum ersten Mal in Kontakt
mit der Realität, die hinter den weltweit be-
kannten Panama Papers steckt, und, kon-
kreter, mit der Kanzlei Mossack Fonseca
in ihrem Zentrum, in Panama. Die Welt,
wird uns Mossack einmal erklären, das
sind nur Menschen, die sich hinter Stapeln
von Papier verstecken.
Millionen vertrauliche Papiere aus der
Kanzlei wurden der SZ zugeleitet von ei-
nem anonymen Whistleblower – und
dann weltweit von Journalisten ausgewer-
tet, koordiniert vom Internationalen Netz-
werk investigativer Journalisten. Im April
2016 wurden die Ergebnisse der Untersu-
chung veröffentlicht, unter Auflistung
Tausender Personen und Hunderttausen-
der Briefkastenfirmen. In einem News-
Clip ist im Film einer der SZ-Redakteure
zu sehen, Bastian Obermayer, der kurz er-
klärt, wie die Papiere zu ihm kamen.
Ellen Martin gibt sich mit Papieren und
Zahlen nicht zufrieden, sie bricht auf zu

einer eigenen Suche, die erste Station ist
die Karibikinsel Nevis. Dort erlebt sie an-
schaulich die absurde Evidenz der Briefkas-
tenfirmen. „Now is the time for action“, ist
ihre Parole, das schließt auch eine Wunsch-
erfüllungs-Traumszene ein, in der sie wild
bei den Drahtziehern im Büro rumballert.
Das Outfit einer harmlosen Touristin wird
sie auch bald ablegen, jeden Anflug von Be-
tulichkeit verschwinden lassen.
Steven Soderbergh macht auch in die-
sem Film, was ihn immer am meisten inter-
essierte, er erzählt dichte kleine Geschich-
ten, am Detail orientierte Miniaturen, die
zusammen eine große, globale Realität re-
flektieren sollen. Allesamt basieren sie auf
realen Vorfällen, deren Spur nach Panama
führte, manche fast eins zu eins erzählt, an-
dere kombiniert und verdichtet. So ist
auch der „Laundromat“ ein intimes Panop-
tikum, ein sympathisches Puppentheater.

„Leute, die diesen Film anschauen“, sagt
Drehbuchautor Scott Z. Burns, „müssen
verstehen, dass dieses System der Grund
dafür ist, dass ihre Kinder keine Schulbü-
cher haben, oder der Grund dafür, dass sie
keine Krankenversorgung haben, dass es
ein Schlagloch in der Straße gibt und dass
ihr Flugplatz heruntergekommen ist. All
dies ist nicht so, weil wir nicht genug Geld
haben. Es ist so, weil eine Menge sehr rei-
cher Leute ihre Steuern nicht zahlen.“
Burns glaubt an die aufklärerische Kraft
des Spielfilms – demnächst kommt „The
Report“ in unsere Kinos, den er ebenfalls
geschrieben und auch inszeniert hat, über

die Senats-Untersuchung der CIA-Water-
boarding-Affäre, die gleichfalls durch
einen Whistleblower publik gemacht wur-
de.
Die radikale Naivität, mit der Scott Z.
Burns unsere Realität mit der Steueroasen-
Scheinwelt zusammenbringen will, sabo-
tiert Soderbergh hier ungewöhnlich dras-
tisch. Indem er den Puppenspielern selbst
eine Bühne bereitet auf dem Panoptikum,
den Steueranwälten Jürgen Mossack und
Rubén Fonseca, lustvoll und aalglatt ver-
körpert von Gary Oldman und Antonio
Banderas. Die zwei führen sich gleich zu
Beginn als Märchenerzähler ein, flanieren
in makellosen Tuxedos durch eine staubi-
ge Steinzeitlandschaft, doch die Märchen,
die sie parat haben, drehen sich in immer
neuen Spiralen ums Geld und um die
Grundelemente der menschlichen Gesell-
schaft – den Tausch, den Handel, den Kre-
dit, die Bankgeschäfte, die Scheinfirmen,
und vor allem das Vertrauen, das dies alles
impliziert.
Sie stecken den am Boden kauernden
Steinzeitmenschen einen Geldschein zu,
in den einer gleich gierig reinbeißt, und
Fonseca schenkt ihnen – ein Prometheus
in lässigster Eleganz – mit seinem Feuer-
zeug das Feuer. Dann steigen sie – alles in
einer einzigen Einstellung gedreht, Soder-
bergh hat wieder, unter Pseudonymen, Ka-
meraarbeit und Schnitt selbst besorgt –
direkt in die Zukunft hinunter, in eine futu-
ristische Nachtclubhöhle, die auch ein we-
nig Börsenflair besitzt. Für die Zukunft, so
ihre Parole, gibt es noch eine Menge For-
men und Namen, die das Geld annehmen
kann. Die Attitüde, mit der die beiden vor-
gehen, ist anbiedernd und verschwöre-
risch, die einzelnen Kapitel des Films wer-
den als „Geheimnisse“ angeboten, das er-
ste lautet: „The meek are screwed“, was in
deutschem Bibelanklang etwa heißt, die
Sanftmütigen sind aufgeschmissen und
im Arsch.
Das ist Zynismus, aber kein wirklich
aggressiver und heilsamer. Aus dem Pan-

optikum wird so tristes Kabarett, das
Schlimmste, was einem Film passieren
kann. Aber es hilft nichts, die Show muss
immer weitergehen.
Je dichter das System der Scheinfirmen
wird, je näher der Moment ihrer Enttar-
nung kommt, desto mehr fangen auch
Mossack und Fonseca zu zappeln an wie
Puppen, überfordert von ihrem eigenen
globalen Konstrukt. Man könne nicht zu-
rück in der Zeit, sagt ihre Mitarbeiterin, es
stecke alles in den Büchern. Darauf stöhnt
Mossack nur hilflos: Manche sagen, Zeit
ist eine Illusion.

Immer düsterer werden die Geschich-
ten, immer verbrecherischer die Aktio-
nen. Dem etwas banalen Familienleben
um Ellen Martin kontrastiert bald eines, in
dem die Familienväter nicht wirklich mit-
zubekommen scheinen, auf welch perver-
se Basis sie ihren Familienalltag aufge-
baut haben. Im Büro müssen sie sich die
Zeit vertreiben, indem sie stumpfsinnig
Solitär spielen, auf dem Computer. Ein rei-
cher Unternehmer afrikanischer Herkunft
nimmt als Mätresse die Studienfreundin
seiner Tochter, deren Schweigen er wieder-
um mit Millionen erkaufen will. Später
gibt es dann, bei Geschäften in China, Er-
pressung und Mord und Geschachere um
wertvolle menschliche Organe.
Bei den Scheinfirmen, denshells, er-
klärt Fonseca einmal, schaut man durchs
Fenster und sehe gewöhnlich einen leeren
Raum – aber Fenster und Raum könnten
durchaus an verschiedenen Orten sein.
Das Kino lebt, schon immer, von genau die-
sem Effekt.

The Laundromat,USA 2019 – Regie: Steven Soder-
bergh. Buch: Scott Z. Burns. Kamera: Peter An-
drews. Schnitt: Mary Ann Bernard. Musik: David
Holmes. Mit: Meryl Streep, Gary Oldman, Antonio
Banderas, Sharon Stone, David Schwimmer, Mat-
thias Schoenaerts, Jeffrey Wright, Will Forte, Chris
Parnell, James Cromwell. Netflix, 95 Minuten.

Fan-Shop


Vor genau fünfzig Jahren sendete
dieBBC erstmals „Monty Python’s
Flying Circus“  Seite 17

DEFGH Nr. 230, Samstag/Sonntag, 5./6. Oktober 2019 HF2 15


FEUILLETON


Die Schriftstellerin Katharina Adler hat für die SZ
Geschichtenüber die Nußbaumstraße
in München notiert  Großformat, Seite 22

Leute, die diesen
Film anschauen,
müssen verstehen, dass
dieses System
der Grund dafür ist,
dass ihre Kinder
keine Schulbücher haben.“

DREHBUCHAUTOR SCOTT Z. BURNS

Geht sie verloren oder bleibt die
Kulturtechnikerhalten? Eine
Ausstellung in Marbach  Seite 18

Handschrift


WHISTLEBLOWER

Die stillen


Revolutionäre


Wie bringt man etwas auf
die Leinwand, das sich der
Darstellbarkeit fast entzieht?

Erpressung und Mord in China,
Schweigegeld in Beverly Hills –
die Spur führt nach Panama

Sieg der Anarchie
FOTO: IMAGO

Straße der Wunden


Die Vereinigten Staaten von


Amerika wurden von einem


Whistleblower mitbegründet


Fieser Glamour: Jürgen
Mossack(Gary Oldman)
und Ramón Fonseca (Anto-
nio Banderas). FOTO: NETFLIX

Fluchtpunkt


Panama


Steven Soderberghs Film „The Laundromat –


Die Geldwäscherei“ erzählt die


Dramen hinter dem Scheinfirmengeflecht,


das die SZ in den Panama Papers


enthüllt hat

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