Süddeutsche Zeitung - 05.10.2019

(Ron) #1

W


as sie heute vorhaben, ist
nicht angenehm, und er ist
auch nicht stolz darauf,
sagt Gamaliel, dessen
Nachname zu seinem
Schutz hier nicht genannt werden soll. Der
Mexikaner hat sich auf den Weg zur US-
Grenze gemacht. Neben ihm im Auto sitzt
seine Tochter Genesis, 21 Jahre alt, sie ist
blass und zierlich und wird später berich-
ten, wie schwer es ihr fällt, das zu tun, wo-
für sie beide heute unterwegs sind: in ei-
nem US-Spendezentrum ihr Blutplasma
zu verkaufen.
Noch sind es 14 Kilometer Luftlinie bis
zu ihrem Ziel. In Genesis’ silberner Sonnen-
brille spiegeln sich die Werbeplakate der
Häuser am Straßenrand. In einem Ohr
steckt ein Kopfhörer, aus dem Rockmusik
dröhnt. Hinter dem Steuer sitzt Gamaliel,
44, er trägt eine rote Baseballkappe und
ein schwarz-rotes Spiderman-T-Shirt.
Vater und Tochter sind auf dem Weg zur
Brücke der Freiheit. Die „Free Bridge“, so
heißt eine der vier Brücken, die El Paso in
den USA mit der mexikanischen Stadt Ciu-
dad Juárez verbinden. Die Sonne reflek-
tiert auf den Ringen des Stacheldrahts, der
auf der Brückenmitte liegt. Daneben sind
die Flaggen der USA und Mexikos gehisst,
in wenigen Metern Abstand voneinander
markieren sie die Landesgrenzen. Der Fuß-
gängerweg über die Brücke führt durch ei-
nen langen Drahtkäfig, hier stehen die
Menschen für die Einreise in die USA an.


Von hier aus wollen sich Genesis und Ga-
maliel in eines der 43 Spendezentren bege-
ben, die sich in der Grenzregion der USA
befinden. Dort möchten sie ihr Blutplasma
verkaufen, jenen Teil des menschlichen
Bluts, in dem keine Blutzellen und Blut-
plättchen mehr vorhanden sind, sondern
nur noch Serum und Proteine. Europa ist
der wichtigste Abnehmer dieses kostbaren
Rohstoffs, der in den Spendezentren ge-
wonnen und etwa zur Hälfte ins Ausland
exportiert wird. Das Blutplasma landet un-
ter anderem in großen Produktionsanla-
gen in Deutschland und Österreich, in de-
nen daraus lebenswichtige Medikamente
hergestellt werden: Antikörper zum Bei-
spiel, sie ermöglichen – meist als Infusio-
nen verabreicht – Menschen mit Immun-
defekten ein fast normales Leben. Den
Patienten fehlen diese wichtigen Waffen
des körpereigenen Immunsystems, die vor
Krankheitserregern schützen. Die Plasma-
produkte gleichen diesen Mangel aus.
Aber auch Gerinnungsfaktoren werden
dem Blutplasma entnommen, ebenso wie
das Eiweiß Albumin, das bei Verbrennun-
gen und großen Operationen unverzicht-
bar ist, um die Flüssigkeitsverteilung
zwischen Blutgefäßen und Gewebe zu sta-
bilisieren. „Praktisch jeder von uns wird


einmal im Laufe seines Lebens ein Plasma-
produkt benötigen“, sagt Peter Hellstern,
Leiter des Hämostase-Thrombose-Zen-
trums in Zürich. Was Gamaliel und Gene-
sis an diesem Tag vorhaben, ist also auch
von großer Bedeutung für das Leben vieler
Patienten in Deutschland.
Seit neun Jahren macht sich Gamaliel
zweimal die Woche auf den Weg über die
Brücke. Auch seine Tochter ist Dauerspen-
derin, seit nunmehr fast drei Jahren. In
den USA dürfen Menschen 104 Mal im Jahr
Plasma spenden, in Deutschland sind dage-
gen nur 60 Mal erlaubt. Die Spender geben
dann, je nach Körpergröße und Gewicht,
zwischen 650 und 850 Milliliter Blutplas-
ma ab, samt den darin enthaltenen, wert-
vollen Proteinen.
Was macht es mit einem Menschen,
wenn er über Jahre hinweg so oft Blutplas-
ma spendet? Wer schützt die mexikani-
schen Spender zwischen den Landesgren-
zen, von denen sich nach Recherchen von
SWR,NDRundSZjede Woche mindestens
zehntausend auf den Weg machen, um ihr
Blutplasma in den USA zu verkaufen?
Genesis fühlt sich immer schwächer,
mit jedem weiteren Monat als Plasmaspen-
derin. „Ich bin ständig müde und er-
schöpft. Ich habe kaum noch Kraft, Dinge
anzuheben.“ Außerdem sei sie in letzter
Zeit oft krank und habe an Gewicht verlo-
ren. Doch Genesis spendet weiter. Sie weiß
nicht, wie sie sonst über die Runden kom-

men soll. Die junge Mexikanerin ist mit
Perspektivlosigkeit und Bandenkriminali-
tät in Ciudad Juárez groß geworden. Vater
und Tochter sind gerade an einem giganti-
schen roten „X“ vorbeigefahren, das an
das im Drogenkrieg vergossene Blut erin-
nern soll.
Gamaliels Bruder wurde Opfer des orga-
nisierten Verbrechens, er starb mit 28 Jah-
ren. „Im Vergleich ist es mir lieber, dass Ge-
nesis Plasma spendet, als dass sie sich für
Geld verkauft oder Drogen in die USA
schmuggelt“, sagt der Vater. Er selbst be-
treibt in Ciudad Juárez ein kleines Fitness-
studio, sein Einkommen reicht für den
Alltag aber nicht aus. Der Mindestlohn in
Ciudad Juárez lag 2018 bei 178 US-Dollar
pro Monat. Mit dem Grenzgang dagegen
können Vater und Tochter bis zu 400 US-
Dollar im Monat verdienen, auch dank Bo-
nuszahlungen. Auf den vollen Betrag
kommt nur, wer so oft kommt, wie die US-
Gesundheitsbehörde FDA maximal zu-
lässt: zweimal in der Woche.

An der Grenzbrücke der Freiheit ange-
kommen, parkt der Vater den Wagen. Zu
Fuß gehen sie zur ersten Passkontrolle, wo
sie ihr Besuchervisum zeigen – um sich in
die Reihe der Wartenden vor der zweiten,
der eigentlichen Passkontrolle anzustel-
len, die sich in das sandgelbe Gebäude der
Grenzschutzbehörde schlängelt.
Genesis hat Angst. „Manche der Grenz-
beamten lassen einen nicht durch oder neh-
men einem das Visum ab, wenn du zugibst,
spenden zu wollen. Es ist sehr riskant.“
Warum das so ist, versteht sie nicht, denn
ihre Einreise in die USA ist mit dem Visum
zunächst vollkommen legal. Ihr Vater
drückt es so aus: „Wenn du an einen
schlecht gelaunten Officer gerätst, können
sie dir das Visum wegnehmen.“ Denn Vater
und Tochter dürfen mit dem Visum auf der
anderen Seite der Grenze nach US-Gesetz-
gebung kein Geld verdienen, auch wenn
die Zentren die Bezahlung fürs Blutplasma
eine Aufwandsentschädigung nennen.
Dennoch akzeptieren die Plasmazentren
genau dieses Visum, wenn Mexikaner sich
zur Spende registrieren – obwohl die Spen-
der damit das Risiko eingehen, ihr Visum
zu verlieren. Die Interessenvertretung der
Plasma verarbeitenden Industrie PPTA ar-
gumentiert, dass die Spender keine Ange-
stellten der Spendezentren seien.
Drei Unternehmen betreiben die Spen-
dezentren an der US-Grenze. Die meisten
davon gehören zu Grifols, einer europäi-
schen Firma mit Hauptsitz in Barcelona,
gefolgt von Spendezentren der CSL-Grup-
pe, zur der das deutsche Tochterunterneh-
men CSL Behring gehört. Auch die Firma
BPL drängt auf den Markt, sie versorgt un-
ter anderem Großbritannien mit Blutplas-
ma. Zu den Fragen nach den Visa schreibt

Grifols: „Alle Spender, egal woher sie kom-
men, müssen die gesundheitlichen, be-
hördlichen und gesetzlichen Bedingungen
erfüllen, um Spenden zu dürfen. Es gibt
keine Ausnahmen.“ CSL äußert sich ähn-
lich: „CSL Plasma befolgt alle Gesetze in
allen Ländern, in denen wir tätig sind.“ BPL
schließt sich dem an: „Wir folgen allen
Richtlinien, um für die Sicherheit der Plas-
maspender zu sorgen, ebenso wie auch der
Patienten, die Plasmaprodukte erhalten.“
Das US-Außenministerium hingegen, das
die Visa ausstellt, erläutert den Gesetzes-
konflikt: „Der Tausch von Gütern oder
Dienstleistungen in den USA gegen Geld
widerspricht den erlaubten Handlungen
bei der Benutzung des B1/B2-Visums“,
heißt es in einer schriftlichen Antwort. Ob
das Plasmaspenden in diese Kategorie
fällt, wurde aber bisher von den US-Behör-
den nicht offiziell geklärt.
Vater und Tochter sind inzwischen an
der Grenzkontrolle angekommen, ein Be-
amter stellt ihnen Routinefragen. Warum
sie nach El Paso kommen, was sie beruflich
machen, was sie mitbringen. Genesis hat
sich ihre Antwort bereits zurechtgelegt:
„Ich behaupte immer, ich gehe meine Tan-
te besuchen, die im Zentrum wohnt.“ Diese
Tante gibt es zwar, doch weder Genesis
noch ihr Vater werden sie an diesem Tag be-
suchen. Beide kommen auch diesmal da-
mit durch. Nun sind es hinter der Grenze
nur noch zehn Minuten Fußweg, dann ver-

schwinden Vater und Tochter in einem brei-
ten Industriebau mit verdunkelten Ein-
gangstüren, über dem die Worte „Talecris


  • Plasma Resources“ geschrieben stehen.
    Ein Plasma-Spendezentrum, betrieben
    von der spanischen Firma Grifols.


Was hier hinter den Türen geschieht, ist
Teil eines globalen Blutplasmageschäfts,
das von einer Handvoll internationaler Fir-
men geführt wird. Von den Spendezentren
im US-Grenzgebiet gehören 14 der CSL-
Gruppe, die ihr Plasma auch an ihre Toch-
terfirma CSL Behring in Marburg expor-
tiert. Grifols betreibt 17 Zentren unter den
Namen Talecris und Biomat. BPL betreibt
inzwischen sechs Zentren und baut derzeit
allein in El Paso zwei neue. Interne Firmen-
dokumente von Grifols, die den Reportern
zugespielt wurden, zeigen: Die Zentren
nah an der Grenze sind die produktivsten
der USA. Ein Zentrum im Inland sammelt
im Schnitt 164 Spenden am Tag, die Grenz-
zentren mehr als das Doppelte. Das erfolg-
reichste Zentrum von El Paso kommt auf
über 600 Spenden pro Tag. Schätzungen
zufolge wurden allein im Jahr 2017 auf
dem globalen Plasmamarkt 21 Milliarden
US-Dollar umgesetzt.
Im Spendezentrum betreuen heute vier
Mitarbeiter die ankommenden Menschen,
alle sprechen Spanisch. Hinter ihnen ste-
hen Schränke voller Aktenordner. An den
Wänden hängen Werbeplakate zu aktuel-
len Bonusaktionen: „Spende 14 Mal im
April und Mai und verdiene dir einen
75-Dollar-Bonus!“ Etwa 70 schwarze Plas-
tikstühle sind im Wartesaal aufgereiht.
Wer an der Reihe ist, wird über Lautspre-
cher ausgerufen.
Neuspender werden mit einem kurzen
Video auf einem iPad vor möglichen Fol-
gen der Plasmaspende gewarnt. Dann geht
es zum nächsten Schalter, sechs Automa-
ten wie beim Check-in am Flughafen. Hier
beantworten Spender Fragen zu ihrer Ge-
sundheit. Hinter den Automaten werden
sie auf Liegen in mehreren Reihen verteilt,
40 von ihnen haben gerade eine Nadel im
Arm. Gleich neben den Liegen läuft das
Blut durch die Zentrifuge, die das Plasma
filtert und die roten Blutkörperchen wie-
der zurück in die Arme der Spender
pumpt.
Im Jahr 2018 wurden in den USA insge-
samt 41 Millionen Liter Plasma gewonnen,
22 Millionen davon landeten im Ausland,
fast ein Drittel davon in Deutschland, so
die Angaben des US-Handelsministeriums
und des Marketing Research Bureau, eines
Marktforschungsinstituts, das sich auf
den Blutplasma-Markt spezialisiert hat.
Um aus dem Blutplasma Medikamente zur
Therapie von Immundefekten oder für
Verbrennungsopfer herzustellen, verarbei-
ten drei Unternehmen es in Deutschland:

Der Schweizer Konzern Octapharma hat
seine Fabrik im norddeutschen Springe,
die chinesische Firma Biotest produziert ih-
re Medikamente in der Nähe von Frank-
furt. Und in Marburg hat CSL Behring sei-
ne Produktionsanlagen.
Zwei Stunden nach ihrer Ankunft tritt
die junge Mexikanerin mit ihrem Vater
durch die Tür des Talecris-Zentrums auf
die Straße. Gamaliels Arm ist mit einem
weißen Verband umwickelt, Genesis aber
schüttelt den Kopf: „Ich habe ein Pfund zu
wenig gewogen.“ 50 Kilogramm ist das
Mindestgewicht für eine Spende, Genesis
liegt inzwischen immer häufiger knapp
darunter. Sie habe noch versucht, sich mit
ihrem Rucksack schwerer zu machen.
Doch selbst damit hat es nicht gereicht.
Nur wenige Wissenschaftler haben sich
bislang mit möglichen Langzeitfolgen des
Dauerspendens befasst, einer davon ist
der deutsche Internist Peter Hellstern. Vor
einigen Jahren hat der Mediziner mit sei-
nen Kollegen untersucht, wie sich 60 Plas-
maspenden pro Jahr auf den Körper aus-
wirken. Das Ergebnis war beeindruckend:
Innerhalb des Studienzeitraums von drei
Jahren mussten die Wissenschaftler
12,4 Prozent der fast 4000 Probanden von
der Plasmaspende ausschließen, weil in
ihrem Blut die Konzentration von Immun-
globulin G zu niedrig war. Die Antikörper
gelten als wichtige Waffe im Kampf gegen
Infektionen. Eine Plasmaspende sei nur
dann sicher, folgerte Hellstern, wenn die

Konzentration der Antikörper im Blut der
Spender intensiv kontrolliert wird.
Ähnlich sieht das auch Paul Strengers,
Geschäftsführer der internationalen Ge-
sellschaft für Plasmafraktionierung IPFA
und ehemaliger medizinischer Direktor
der Abteilung für Plasmaprodukte des
Blutinstituts Sanquin in den Niederlan-
den. Er drängt darauf, dass in einer Neuauf-
lage der EU-Richtlinien die Überprüfung
der Antikörper-Blutspiegel nach jeder fünf-
ten Plasmaspende vorgeschrieben wird. In
Deutschland ist das bereits der Fall. Auch
ist in den Zentren immer ein Arzt anwe-
send, im Gegensatz zu den USA. Hier gilt
Rufbereitschaft, ärztliches Personal ist
häufig nur wenige Stunden in der Woche
vor Ort und untersucht die Spender einmal
im Jahr. Die Testung des Antikörpers er-
folgt in den USA lediglich alle vier Monate.

„Das ist ein großes Problem, weil die
Spender einen ähnlich niedrigen Antikör-
per-Spiegel entwickeln können wie ein Im-
munkranker, mit all seinen Risiken“, sagt
Internist Peter Hellstern. Schwere Infektio-
nen können die Folge sein, zum Beispiel
ein Harnwegsinfekt, schlimmstenfalls so-
gar eine Entzündung der Lunge oder der
Hirnhaut. Die Regulierungen in den USA

und in Deutschland sind fundamental ver-
schieden, dennoch importiert Deutsch-
land das US-Plasma, das unter völlig ande-
ren Bedingungen gewonnen wurde. Dies
hänge unter anderem damit zusammen,
dass für das importierte Plasma nicht die
deutschen, sondern die EU-Regularien
zum Spenderschutz gelten, heißt es aus
dem Bundesgesundheitsministerium.
Auch eine Studie belgischer und nieder-
ländischer Forscher ergab, dass die Kon-
zentration des Immunglobulins G bei regel-
mäßigen, bezahlten Plasmaspendern in
den USA um fast ein Viertel niedriger ist als
bei Spendern in Europa, die nur gelegent-
lich ihr Plasma hergaben. Auch die Konzen-
tration des lebenswichtigen Blutproteins
Albumin fiel 15 Prozent niedriger aus.
Fehlt Albumin im Blut, lagert sich mehr
Wasser im Gewebe ein. Gerade für ältere
Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankun-
gen kann das gefährlich sein. „Nur alle 15
bis 23 Tage werden Albumin und Immun-
globulin G im Körper komplett ausge-
tauscht“, sagt Studienautor Paul Stren-
gers. Wenn jemand zweimal pro Woche
spendet, könne sich der Organismus un-
möglich so schnell erholen. Die Unterneh-
men CSL Plasma und Grifols dagegen beto-
nen, für die Sicherheit der Spender wie
auch ihrer Mitarbeiter zu sorgen. Auch die
Interessenvertretung der Plasma verarbei-
tenden Industrie PPTA versichert, dass die
Unternehmen sich stark der Gesundheit
und dem Wohlbefinden der Plasmaspen-

der widmen – ganz gleich, an welchem Ort
die Spendezentren gelegen sind.
Genesis und Gamaliel wollen die Folgen
ihrer Spenden von einem Arzt abklären las-
sen. Hellstern hat gemeinsam mit dem
mexikanischen Pathologen Christian Cum-
plido aus Ciudad Juárez ein Testprotokoll
entworfen, um den Gesundheitszustand
der beiden Plasmaspender im Auftrag von
SWR,NDRundSZzu prüfen. „Consultorio“
steht auf einem Plastikschild an der Tür
des Sprechzimmers, dahinter sitzen Vater
und Tochter, beide in Schwarz gekleidet. Ei-
nen Tag zuvor war Genesis zuletzt zum
Plasmaverkauf in den USA, diesmal wurde
sie zugelassen. Hinter Christian Cumplido
sind die hölzernen Jalousien herunterge-
lassen, kein Tageslicht fällt in den engen
Raum. Der Mediziner hält die Bögen mit
den Laborergebnissen in den Händen.

Nach einem kurzen Blick auf die Blut-
werte sagt Cumplido, dass die Immunglo-
buline vom Typ G beim Vater an der unte-
ren Grenze des Normwerts liegen. Die Blut-
werte seiner Tochter dagegen haben die
Grenzwerte deutlich unterschritten. Sie
wäre in Deutschland nicht zu einer Plasma-
spende zugelassen worden. Auch ihr Ge-
samteiweiß und das Blutprotein Albumin
sind zu niedrig. Kürzlich wurde sie schon
bei der Plasmaspende ohnmächtig. Zudem
habe sie in den vergangenen sechs Mona-
ten weitere fünf Kilo abgenommen.
Aus den wenigen wissenschaftlichen
Studien ist bereits bekannt, dass vor allem
junge, untergewichtige Menschen nach
einer Plasmaspende an Nebenwirkungen
wie Übelkeit und Erbrechen, Taubheitsge-
fühl in den Armen und Kreislaufproble-
men leiden können. Frauen im Alter von
bis zu 25 Jahren erleben die Nebenwirkun-
gen zumindest nach ihrer ersten Plasma-
spende doppelt so oft wie Männer.
Cumplido sagt zu Genesis: „Als Arzt rate
ich dir, mit dem Spenden aufzuhören. Es
ist sehr unwahrscheinlich, dass du dich er-
holst, wenn du so weitermachst. Und dann
könnten Infektionen jedes Mal ernster wer-
den.“ Auch Gamaliel warnt er, die Blutwer-
te weisen auf einen Proteinmangel hin:
„Du solltest die Häufigkeit der Spenden
verringern – du gehst jetzt acht Mal im Mo-
nat, ich würde maximal fünf Spenden emp-
fehlen.“
Vier Tage später machen sich Vater und
Tochter dennoch wieder im Auto auf zur
Grenze, Gamaliel auf dem Beifahrersitz, er
hat seine Sonnenbrille tief ins Gesicht
gedrückt. Es muss weitergehen, sagt er,
seine Tochter nickt: „Wir haben keine
Wahl.“

Die Story im Ersten „Bluthandel – Dollar gegen Ge-
sundheit“ ist am Montag, dem 7.10. um 22.45 Uhr
in derARD zu sehen.

Geld


für Blut


Tausende Mexikaner machen sich jede Woche


auf den Weg in die USA, um dort


Blutplasma zu spenden. Der wertvolle Stoff


gelangt dann in alle Welt – auch nach Deutschland


von stefanie dodt und astrid viciano


Es gibt zwei verschiedene Arten, Plas-
ma zuspenden: Variante eins ist eine
klassische Blutspende. Aus dieser wer-
den dann die zellulären Bestandteile
abgetrennt, übrig bleiben etwa 200
bis 250 Milliliter Plasma.
Effizienter ist allerdings Variante
zwei, die Plasmapherese. Hier trennt
eine Zentrifuge das Plasma während
der Spende direkt vom restlichen Blut.
Die übrigen Bestandteile fließen über
eine Infusion sofort wieder in den Kör-
per der Spender zurück. Dadurch ist
ein Ertrag von 600 bis 850 Milliliter
Plasma möglich. Für die Herstellung
von Medikamenten wie etwa Antikör-
per-Infusionen wird Plasma daher vor
allem über dieses Verfahren gewon-
nen. Wie oft jemand Plasma spenden
darf, ist von Land zu Land verschieden,
in den USA sind 104 Spenden pro Jahr
erlaubt, in Deutschland 60. Zudem
muss hierzulande ein Arzt vor der Pro-
zedur den Gesundheitszustand eines
potenziellen Spenders prüfen.
In den USA werden Spender für ihr
Blutplasma bezahlt, auch in Deutsch-
land wie in Österreich, Tschechien und
Ungarn gibt es eine geringe Aufwands-
entschädigung. Die meisten EU-Län-
der lehnen jegliche Zahlungen an Spen-
der dagegen ab.

Blutplasma ist der zellfreie Bestand-
teil des menschlichen Bluts. Eine gelbe
Flüssigkeit, die übrig bleibt, wenn Blut
zentrifugiert wird.
Im Gegensatz zum Blutserum ent-
hält es noch die Eiweiße (Proteine) des
Bluts, aus denen Medizinunterneh-
men lebensrettende Medikamente
herstellen können: Antikörper etwa,
sogenannte Immunglobuline, die zum
Beispiel bei einer chronischen Schwä-
che des Abwehrsystems, aber auch
akuten Erkrankungen wie Hepatitis,
Tollwut und Tetanus zum Einsatz kom-
men.
Das Protein Albumin findet sich
auch im Blutplasma, es transportiert
Stoffwechselprodukte und stabilisiert
die Flüssigkeitsverteilung zwischen
Blutgefäßen und Gewebe. Patienten
mit einem Unfallschock, Verbrennun-
gen und Nierenschäden erhalten es
oft, auch für große Operationen ist es
unverzichtbar.
Gerinnungsfaktoren können Bluter-
kranken das Leben retten. Auch ein be-
stimmter Kleber, zusammengesetzt
aus eben diesen Faktoren und dem Pro-
tein Fibrin, hilft Ärzten vor allem in den
Notaufnahmen von Krankenhäusern,
Blutungen von Patienten zu stillen und
Wunden zu schließen.

In den USA darf man 104 Mal
im Jahr Plasma spenden,
in Deutschland nur 60 Mal
Vater und Tochter haben
stets Angst, an der Grenze
ihr Visum zu verlieren

In deutschen Zentren ist immer
ein Arzt anwesend –
im Gegensatz zu den USA

In den vergangenen sechs
Monaten hat Genesis weitere
fünf Kilo abgenommen

Plasmaspenden sind


auch für viele Patienten


in Deutschland wichtig


34/35 WISSEN Samstag/Sonntag, 5./6. Oktober 2019, Nr. 230 DEFGH


In sterilen Beuteln ver-
packt gelangt das Plasma
in Krankenhäuser und
Arztpraxen (oben links).
Foto: Reuters

Das Plasma Die Spende


Vaterund Tochter auf
dem Weg zum Spendezen-
trum. Jede Reise ist für
sie ein Risiko.
Foto: NDR

Stoßstange an Stoßstange
warten Fahrzeuge an der
Grenze auf ihre Einreise
in die USA.
FOTO: AP

Frisch gespendetes
Blutplasma an einer
Separationsmaschine
(oben rechts).
Foto: imago

Während der Spende
dürfen die Menschen
liegen, Mitarbeiterinnen
dokumentieren den
Verlauf.
Foto: NDR

MonterreyMonterrey

PhoenixPhoenix

ChihuahuaChihuahua

DallasDallas

Los AngelesLos Angeles

HermosilloHermosillo HoustonHouston

USAUSA


MEXIKOMEXIKO


200 km
SZ-Karte: Mainka/Maps4News

El Paso
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