Feuilleton
Berliner Zeitung·Nummer 231·5./6. Oktober 2019 31 *·························································································································································································································································································
EsgabnatürlichLeute,diegefragt
haben:„Glaubtihrwirklich,dassihr
durch dasKonzer tnur einen einzi-
gen Menschen zumUmdenken be-
wegen konntet?“ Nein, natürlich
nicht. Daswar auch nie derGe-
danke.WirwolltenniedasgroßeDis-
kursfestivalaufdieBeinestellenund
alle amrunden Tisch zusammen-
bringen.Wirwolltenzeigen:Ihrseid
nichtallein.
Haben Siedie rechtsradikalenAus-
schreitungenüberrascht?
Klar,das hat uns alle fertigge-
macht. Aber dass so etwas früher
oder später passieren wird, war mir
eigentlichklar.Esw irdimmersoviel
überdieAfDinSachsengeredet,da-
beiwir dhäufigvergessen:DasLand
wurde dreißig Jahrelang vonder
CDU regiert, die stets betont hat,
dassdiegroßeGefahrvonlinksaus-
geht.DaswarabervordreißigJahren
schongenausofalschwieheute.
AlsoträgtdieCDUeineMitschuld?
Definitiv.DerFeindwurdeimmer
links gesehen und entsprechende
Furchtgeschürt,gleichzeitigwurden
die Rechten verharmlost und ledig-
lichalsImageproblemgesehen.Und
„gelöst“wurde das,indem man ge-
sagt hat: „Nazis bei uns? Gibt es
nicht.“Deswegenfindeichesfrech,
wenn sich der Ministerpräsident
plötzlichhinstelltund die Mitte der
Gesellschaft in die Verantwortung
nimmt,sichdochmalzupositionie-
ren–währendmansichdreißigJahre
langdarumbemühthat,dassdieGe-
sellschaftnachrechtsrückt.Dafühle
ichmichverarscht.
Dasinteressiertdie CDU vermutlich
aucherst,seitdemderenfrühereWäh-
lerihrKreuzbeiderAfDmachen.
Es wirdimmer behauptet, die
Leute würden die AfD nur wählen,
weil sie Wendeverlierer sind, sich
missverstandenund vonden eta-
blierten Parteien verraten fühlen.
Aberniemandkommtaufdieeigent-
lich doch recht naheliegendeIdee:
dass Leute die AfD wählen,weil die
sagen:„Ausländerraus!“
SiehaltenAfD-WählerfürNazis?
Mirist klar,dass nicht jeder,der
die AfD wählt, ein Nazi ist. Undich
finde es grundsätzlichauch falsch,
wenn Wähler per se mit der Partei
verwechselt werden. Aber mir kann
keiner erzählen, dass er nicht weiß,
dassdieseParteiganzmassivdurch-
setztistvonNeonazis.Daskaufeich
niemandemmehrab.
BeiIhrem Lollapalooza-Auftritt ha-
ben SieIhrem jugendlichenPubli-
kumdendenkwürdigenSatzmitauf
denWeggegeben:„NurweileinePar-
teidemokratischgewähltwird,heißt
dasnochlangenicht,dassdasDemo-
kratensind.“
Eswir djai mmergesagt:EineDe-
mokratie muss das aushalten kön-
nen. 27 Proz ent der Sachsen haben
lediglich ihredemokratischen
Rechte wahrgenommen und ihre
StimmeebenderAfDgegeben.Dazu
kann ich nur sagen: DieNSDAP
wurdeauchdemokratischgewählt.
SiesindeineberühmteChemnitzer
Persönlichkeit.Macht Siedas we-
niger oder mehr zur Zielscheibe
vonRechten?
Ichkriege auf jedenFall weniger
aufs Maul als früher.Liegt aber wo-
möglich am Alter.Über die sozialen
Medien bekomme ich vieleNach-
richten, auchHassnachrichten.Fa-
cebook-Kommentarelese ich aber
schongarnichtmehr.
Worum geht es Ihnen vorrangig,
wennSiesichöffentlichgegenRechts
positionieren?
Miristklar ,dassichniemanden
ausderAfDzumUmdenkenbewe-
gen werde. Keiner vondenen wird
diesesInterviewlesenunddenken:
„Stimmteigentlich.“Aberwenndie
durch dieStraßen vonChemnitz
ziehen und „Wir sind dasVolk!“
schreien, dann sollen die begrei-
fen, dass dasVolk auch ich und
meine Freunde sind.Damit müs-
sen die sich arrangieren.Und:Wir
sindnichtallein.
DasIntervie wführtenChristianSeidl
undDanielSchieferdecker.
NACHRICHTEN
Banksy bedauertVerkauf
von Schimpansenbild
Nachder Versteigerungseines
Schimpansen-Gemäldes„Devolved
Parliament“fürumgerechnetmehr
alself MillionenEuroinLondon,hat
sichder Street-Art-KünstlerBanksy
miteinerkritischenStellungnahme
zuWortgemeldet.„EineSchande,
dassesnichtmehrmirgehörte“,
schrieberinderNachtzumFreitag
aufInstagramundpostetedazuein
Zitatdes KunstkritikersRobertHu-
ghes.Darinheißtes,Kunstwerke
seienzum„speziellenEigentumvon
jemandemgeworden,deressich
leistenkann“,anstattdas„gemein-
schaftlicheEigentumderMensch-
heitzusein“,wieesbeiBüchernder
Fallsei.„Angenommenjedesloh-
nenswerteBuchwürdeeineMillion
Dollarkosten–stellenSiesichvor,
welchkatastrophaleAuswirkungdas
aufdieKulturhätte.“AmDonners-
tagabendwardasgrößtebekannte
Banksy-Gemälde,dasdasbritische
UnterhausvollbesetztmitSchim-
pansenzeigt,beimLondonerAukti-
onshausSotheby’sversteigertwor-
den.WederzumVerkäufernochzum
KäufergabesAngaben.(dpa)
Tulpenstrauß von JeffKoons
in Paris eingeweiht
JeffKoons (3.v. lks.) vor seiner Skulptur
„Bouquet ofTulips“ inParis. DPA
EineRiesenplastikdesamerikani-
schenKünstlersJeffKoonsistinParis
derÖffentlichkeitübergebenwor-
den.SeinePlastik,dieeineHandmit
elfTulpendarstellt,seieinSymbol
derErinnerungundderHoffnung,
sagteder64-JährigeamFreitag.Die
mehralszehnMeterhoheund30
TonnenschwereSkulpturwurdeun-
weitderChamps-Élyséesindem
kleinenParkhinterdemPetitPalais,
demMuseumderSchönenKünste
derStadtParis,eingeweiht.Koons
hattedieZeichnungenzudemPro-
jekt,dasaufdiedamaligeamerikani-
scheBotschafterinJaneHartleyzu-
rückgeht,derStadtim Gedenkenan
dieOpferder AttentateinFrankreich
zwischen2015und2016geschenkt.
DieaufüberdreiMillionenEuroge-
schätztenHerstellungskostenwur-
denvonfranzösischenundamerika-
nischenSammlernundMäzenen
getragen.(dpa)
Biermann sang auf Günter
Kunerts Beerdigung
DerLiedermacherundDichterWolf
BiermannhatseinenimAltervon90
JahrengestorbenenfrüherenDDR-
WeggefährtenundFreundGünter
KunertmiteinemletztenLiedge-
würdigt.EshabeinderDDRdieDa-
bleiberunddieWeggehergegeben,
sagteBiermannamFreitagbeider
TrauerfeierinSchenefeldimKreis
Steinburg(Schleswig-Holstein).Ku-
nertseinun weggegangen.„Was
wirdbloßausunserenTräumen,in
diesemzerrissenenLand.DieWun-
denwollennichtzugehenunterdem
Drecksverband“,sangBiermann.
Kunerthatte1976alseinerderersten
eineProtestresolutiongegendie
AusbürgerungBiermannsausder
DDRunterzeichnetundübersie-
delte1979indieBundesrepublik.
Am21. Septemberstarberanden
FolgeneinerLungenentzündung.
DieBeisetzungKunertsfandbereits
am27. Septemberaufdemjüdi-
schenFriedhofBerlin-Weißensee
statt–ime ngenFamilien-und
Freundeskreis.(dpa)
stand.Undweilwir Musikersind,ist
das Erste,was uns einfiel, einKon-
zert zu organisieren.Ichhabe ein-
fachdieberühmtestenLeuteinmei-
nemTelefonbuchangerufenundge-
fragt,obsienichtspielenwollen.
DieToten Hosen, Casper,Marteria,
K.I.Z...
Ja klar,wir haben das auch des-
halbgemacht,weilwirselbstunsein
bisschenalleinegefühlthaben.Wis-
senSie, dasistjadasGefühl,dasei-
nen dann doch immer wieder um-
schleicht in Chemnitz, und in so ei-
nerSituationumsomehr:dassman
alleine ist, dass die anderen mehr
sind.Aberdassindsienicht.Soeine
Aktion,soeinSignalhätteichmirals
Jugendlicherganzoftgewünscht.
Wiehaben Siedas Feedback darauf
wahrgenommen?
Nichts kamen. Chemnitz hat ein
krasses Problem mitRechtsradika-
len.IchhabekeineAhnung,wieman
das löst, aber ichweiß, wie man es
nichtlöst–nämlichindemmansagt,
dass es das nicht gibt.Dashat man
dreißig Jahrelanggemacht.
AlsAntwortauf die Ausschreitungen
haben Siedamals unter demMotto
#Wirsindmehr ein kostenlosesKon-
zertorganisiert,zudemdann65000
Menschenkamen.Wiekamesdazu?
Wirwarenmittendrinindergan-
zenScheiße.Wie spielten an dem
Abend, als es diesenZwischenfall
gabmitdemToten.Wirerfuhrendas
amnächstenTagausden Nachrich-
ten,aberdawarderMobschonvoll
zugange.Das war ein Schock.Und
plötzlich schaute die ganzeWelt
nach Chemnitz.Daswar total sur-
real.DieStadtwarimAusnahmezu-
SehenSiesichselbstalsRepräsentan-
tender Stadt?
Sagen wir so: Chemnitzer tragen
immer einen Minderwertigkeits-
komplex mit sich herum, gemischt
mit einem trotzigen Lokalpatriotis-
mus.Keiner hier würde je ernsthaft
und unironisch sagen: „Es ist geil,
ausChemnitzzusein!“Dasmagich.
Gleichzeitig will ich aber nicht als
Winke-Otto meinerStadt fungieren,
auchwennichmichalsChemnitzer
teilweiseseltsamdargestelltfühle.
Inwiefern?
Wenn Menschen in Talkshows
überChemnitzreden,wir ddieStadt
teilweisesodargestellt,alsobdanur
Orkswohnen–unddasstimmtein-
fach nicht. Andererseits ist es mir
wichtigzusagen,dassdierechtsradi-
kalen Ausschreitungen auf dem
Stadtfest letztesJahr nicht aus dem
VieleLeutesindweggezogen,und
ich kann wirklich jeden einzelnen
davon verstehen.Aberfürunsüber-
wogenimmerdieVorteile:Mankann
hier billig wohnen und sich einen
Proberaum leisten.VersuchenSie
mal, einenProberaum inBerlin zu
bekommen.
Also hattenSienie den Gedanken
wegzuziehen?
Doch, der kommt mir alle zwei
Wochen seit ich 19 bin.Dasgeht in
Chemnitz jedem so.Die Leute be-
äugen sich gegenseitig und fragen:
„Wasstimmtnichtmitdir,dassduin
Chemnitz wohnst und hierbleibst?“
Ichkomm mir manchmal selber
doof vor, immer vonden negativen
Seiten derStadt zu erzählen.Aber
wennichmichhiernichtwohlfühlen
würde ,dann würde ich hier nicht
wohnen.
BERLINER ZEITUNG/PAULUS PONIZAK