Berliner Zeitung - 05.10.2019

(Marcin) #1

2 5./6. OKTOBER 2019


H


inter dem Schreibtisch im Büro
vonSabineKunsthängteinBild
vonAlexandervonHumboldt.
Es passt gleich zweifach.Denn
Sabine Kunst ist seit 2016Präsidentin der
Humboldt-Universität (HU) zuBerlin, be-
nannt nach denBrüdernHumboldt.Und
AlexandervonHumboldt wurdevorgenau
250Jahrengeboren.DieHUh atdaszumAn-
lass genommen, intensiver über dasSelbst-
verständnisderUniversitätundihrengesell-
schaftlichenAuftrag nachzudenken.Dazu
gibtesaucheinenaktuellenAnlass.Inw eni-
gen Tagen, zum neuenWintersemester,er-
öffnetdieHUgleichzweineueInstitute–für
katholische und islamische Theologie.Be-
reits im Vorfeld hatte es intensiveDebatten
darumgegeben.ZumGesprächdarübertref-
fen wir die HU-PräsidentinSabine Kunst
und Michael Borg olte,den Direktor für das
Institut fürIslamische Theologie,imB üro
mitdemHumboldt-Bild.


FrauKunst,HerrBorgolte,derAhnherrIhrer
Universität,Alexander vonHumboldt, hatte
einst das genaueMessen, Erforschen,Analy-
sierenzurGrundlagegemacht,eineaufWis-
sen basierendeGanzheitsbetrachtung ange-
strebt. In denneuentheologischenInstituten
geht es umGlauben stattWissen. Wiepasst
daszusammen?
SABINEKUNST:Daspasstsogarsehrgut
zusammen.DennwirsindjakeinPriesterse-
minar,sondernesg eht bei uns umWissen-
schaft. Undbei denTheologien geht es um
dieWissenschaftdesGlaubens,alsoum Wis-
sen.WiruntersuchenanderHumboldt-Uni-
versitätReligionundreligiösePraxismitwis-
senschaftlichenMethoden.UnddieUniver-
sität ist nicht nur nach Alexander benannt,
sondernauchnachWilhelmvonHumboldt,
der sich sehr wohl mit diesem Thema be-
fasste,selbstverständlich unter wissen-
schaftlichem, aufklärerischemVorzeichen.
Nurwenn wir beides zusammen denken –
menschliche und natürlichePhänomene –
kommenwirzueinemganzheitlichenWelt-
bild, das derKomplexität unsererZeit ge-
rechtwird.Demhättensicherauchbeidezu-
gestimmt,Wilhelm und Alexander.Religion
spielt in unsererWelt eine Rolle,esg ibt sie,
christliche,islamischeoderjüdische.Dasist
ein Fakt, den wir nicht ignorieren können.
Wenn wir unsereGesellschaft, unsereWelt
verstehenwollen,dannmüssenwirunsauch
bemühen,Religion zuverstehen, und wir
müssen denMenschen Religion auch wis-
senschaftlich erklären können.Dasist die
AufgabederUniversität.
MICHAEL BORGOLTE:DieEntstehung
der Universität als spezifisch lateineuropäi-
sche Form derWissenschaft ist aufsEngste
mitTheologieverbunden.Dasistdie Mutter-
wissenschaft derUniversitäten.DerBegriff
islamischeTheologieistvordemwestlichen
Horizontetwasmissleitend,weilessichhier-
bei um einen spezifischenWissenschafts-
kosmos handelt.Mitislamischer Theologie
sindtraditionellallediejenigenWissenschaf-


SABINE KUNST

Seitdem11.Mai 2016 istSabineKunst,geboren
1954,PräsidentinderHumboldt-UniversitätzuBer-
lin.VorihrerInaugurationwarSabineKunstseitFe-
bruar 2011 MinisterinfürWissenschaft,Forschung
und Kultur in Brandenburg.Bis zu ihrer Ernennung
zur Ministerin war sievonJanuar 2007 bis Februar
2011 Präsidentin der UniversitätPotsdam. Zuvor
übte die Hochschullehrerin undWissenschaftlerin
verschiedene leitende Funktionen an der Universität
Hannoveraus. Unter anderem war sie Director of In-
ternationalAffairsund Vizepräsidentinfür Lehre,
Studiumund Weiterbildung.SabineKunsthat von
1972 bis 1982an der UniversitätHannoverdie Fä-
cher Biologie,Politologieund Wasserwirtschaftstu-
diert. 1982 promovierte sie in Ingenieurwesen,
1990 inPolitologie. Sabine Kunst war–als erste
Frau überhaupt–von 2010 bis 2011 Präsidentin
des Deutschen AkademischenAustauschdienstes
(DAAD).

tengemeint,diezumVerständnisderislami-
schenÜberlieferungunddernormativenre-
ligiösen Lebensführung beitragen.Deshalb
sind etwa arabischePhilologie,Textausle-
gung,Philosophie,RechtundPädagogikes-
senzielleBestandteile dieser Theologie.Die
Dive rsifikation derDisziplinen wie in den
westlichen Wissenschaften hat im Islam
nicht imverg leichbarenMaße stattgefun-
den.Deshalbkannunsdiewissenschaftliche
Praxisim IslamdurchausbeiderErkundung
neuerInter-undTransdisziplinaritäthelfen.
SABINE KUNST:Außerdem beobachten
wirseiteinigenJahren,dasssichdiereindis-
ziplinärenStrukturen auflösen und sich zu
einer größerenInterdisziplinarität zusam-
menfügen.Angesichtsdergesellschaftlichen
Herausforderungen,vordenen wir stehen,
kommt es wieder mehr darauf an, wie Ale-
xander vonHumboldt das großeNetzwerk
derNaturindenBlickzunehmen.Dieisla-
mische Theologie hat diese ganzheitliche
Sicht auf Recht, Philosophie und Theologie
nochineinerursprünglichenForm,undin-
sofernkommtsiealseinwichtigerTeileiner
Sicht auf dieWelt durchaus bereichernd zu
unsandieHU.MitallenSchwierigkeiten.

ZudenSchwierigkeitenkönnenwirjagleich
kommen.Vorher wüssten wir gern noch,
warumdieislamischeunddieebenfallsneue
katholischeTheologieineinHausziehen.Ist
dasAbsicht,wollenSieReibung?
SABINE KUNST:Wissenschaft lebtvon
ReibungundInteraktion.DieAbsichtistsehr
wohl, zwischen den Theologien und auch
mit den anderenDisziplinen einenDiskurs
zuFragenzuinitiieren,dievongesellschaftli-
cherRelevanzsind.Wirhattenjadenpoliti-
schen Auftrag, die Theologien unter dem
Dachder Humboldt-Universitätzuvereinen.
Dieevangelische theologischeFakultät gibt
esseitmehrals200Jahren,diejüdischenStu-
dienhabenwirebenfalls–alsgemeinsames
ZentrummitPartneruniversitäten.Neusind
die katholische und die islamische Theolo-
gie.AllerdingshabenwirzunächstdavonAb-
stand genommen, alle Theologien in einer
Fakultätzuvereinen.

NichtjedersollinseinerBlasesitzen?
SABINE KUNST:Genau. Insofernist das
Zusammenführenderkatholischenundder
islamischenTheologieineinemHausder Er-
kenntnis geschuldet, dass räumliche Nähe
ein Treiber für einenDialog untereinander
ist.MankannsichnichtausdemWeggehen.
Unddaw ir nicht einfach eineStruktur mit
Gewaltdurchsetzenwollten,sindbeideThe-
ologien in einzelneInstitute untergliedert.
Siebilden also einHaus der Theologie.Wir
werdendasindennächstenJahrenstruktu-
rellweiterentwickeln.

DasisteineinteressanteVersuchsanordnung.
Siesagten,SiehabendenpolitischenAuftrag
erhalten.Vonwem?
SABINEKUNST:DieLandespolitikhatan
die Berliner Universitäten denAuftrag he-

rangetragen.ImFallderislamischenTheolo-
gie geht es darum, einer gesellschaftlichen
Notwendigkeitzufolgen.Wirhabenmehrals
300000 Musliminnen undMuslime in der
Stadt und sollten für sie etwas tun. Es geht
etwa darum, inBerlin für denReligionsun-
terrichteinewissenschaftlichfundierteBasis
zu schaffen.DieHumboldt-Universität hat
sich bereit erklärt, das im eigenenHaus zu
ermöglichen.BerlinistimVergleichmitan-
deren Bundesländernspät dran, aber wir
machenesineinerbesonderenForm.
MICHAELBORGOLTE:Wirhabenbeial-
lenBerufungsvorgängendenKandidatenfür
die Professuren am islamischenInstitut die
Fragegestellt,obsiebereitsind,dasinterreli-
giöseGesprächzuführen.Dagabesdurch-
aus einigeKandidaten, die das nicht präfe-
rierthaben. Diewaren dann für uns nicht
qualifiziert.ZumZweiten befindet sich die-
ses Haus,ind as die Institute einziehen, in
Berlin-MittenebeneinergroßenMensa.Uns
wareswichtig,dassStudierendederislami-
schen Theologie,die vielleicht eher zur
Selbstabgrenzung neigen, denKommilito-
nenandererFächernichtausdemWegege-
henkönnen.

EsgehtumdieAusbildungvonReligionsleh-
rernund Gemeindemitarbeitern.Imamebil-
denSienichtaus.Waserwarten Sienoch?
MICHAEL BORGOLTE: Es geht um drei
Elemente,zweihabenSiegenannt,dasdritte
ist die Entwicklung der theologischenWis-
senschaftselbst.Diejenigen,diehierProfes-
suren übernehmenwerden, sind dafür aus-
gewiesen, dass sie Theologie auch als eine
der Gesellschaft zugewandteDisziplin ver-

stehen.UnsliegtaneinerKommunikations-
fähigkeit mit der nicht-muslimischen Öf-
fentlichkeit ebenso wie mit denMoschee-
GemeindeninBerlin.WasdieAkzeptanzder
AbsolventenindenGemeindenbetrifft,wird
man abwarten müssen. DieGemeinden
könnenunsereAbsolventenzuImamenwei-
terbilden,aberauchinderseelsorgerischen
und der sozial-karitativen Fürsorge einset-
zen.Ichbinüber zeugt,dassdieGemeinden
sehrbaldeinsehenwerden,dassakademisch
aneinerhiesigenstaatlichenUniversitätgut
ausgebildeteImame einen enormenVorteil
bietengegenüberimportiertenImamen,die
diedeutscheGesellschaftnichtkennenund
manchmalauchdieSprachenichtkönnen.
SABINEKUNST:Wichtigistuns,eineisla-
mische Theologie in vergleichender Per-
spektivezue tablieren, die–übrigens erst-
mals in Deutschland –sunnitische und
schiitische Lehren aufeinander bezieht.Wir
wollen keinen abgeschlossenen Diskussi-
onszirkel,sonderneineAuseinandersetzung
mit der real existierendenGesellschaft.Das
warein wesentlichesKriteriumfürdieBeru-
fungderneuenKolleginnenundKollegen.

Aber Siebilden doch in IhrerKonstruktion
mit einemBeirat die Schwierigkeiten gera-
dezu ab.Konservative, politisch agierende
Verbände reden bei denreligiösenInhalten
undder BerufungvonProfessorenmit.Sieste-
hen möglicherweise unterEinfluss aus dem
Ausland. Wieproblematisch ist und bleibt
das?
SABINE KUNST:Wirmüssen bei be-
kenntnisgebundenenProfessuren die ent-
sprechendeGlaubensgemeinschaft einbin-

den. Da wir beimIslam keineStaatskirche
haben wie beim Christentum, bleiben nur
die wirkmächtigstenVerbände.Wir haben
unsnichtausgesucht,dassdaskonservative
Verbändesind,sonderndassind Ergebnisse
vonAnbahnungsprozessen, die das Land
Berlinim Vorfeldgemachthat.Siehabenvöl-
ligrecht,im Ergebnisistdasnichtunproble-
matisch.AberdieguteNachrichtist:DerBei-
ratarbeitetsehrgut.Wirhabenjetztfünfvon
sechs Professuren besetzt, und auch die
sechste bedarfnur noch derZustimmung
desBeirats.
MICHAEL BORGOLTE:DieBerufungs-
kommissionen haben ihreListen nach den
MaßstäbenwissenschaftlicherExze llenzzu-
sammengestellt, derBerliner Senat hat die
jeweils Erstgenannten zurBerufung vorg e-
schlagen,derBeirathatallefünfVorgeschla-
genen akzeptiert. Es ist uns gelungen, die
Freiheit derWissenschaft zurGeltung zu
bringen, und es hat sich gezeigt, dass dabei
keinGegensatzzudenreligiösenVorstellun-
gender MuslimeimBeiratbestand.Inande-
rerZusammensetzung hätte derBeirat für
keine besseren Entscheidungen optieren
können.

Manhörtaber,dass es hinter denKulissen
mächtiggerumpelthabensoll.DerPräsident
des Zentralrats derMuslime soll bei Ihnen,
Frau Kunst, persönlich intervenierthaben,
umdie BerufungeinertranssexuellenProfes-
sorinzu verhindern?
SABINE KUNST: Über personelleDetails
zuBerufungsverfahrengebenwirgrundsätz-
lichkeineAuskunft.DasBesondereistaber,
dassesimBeiratgelungenist,beidenRege-

MehrReibungin


IslamischeundkatholischeTheologensitzen


künftiginBerlinineinemHaus.Die


Humboldt-Universitätwilldamitdiegeistige


Auseinandersetzungbefördern–ganzimSinne


ihrerAhnherren.EinGespräch


Interview: Julia Haak undTorsten Harmsen


derMitte


derStadt

Free download pdf