Süddeutsche Zeitung - 21.09.2019

(Greg DeLong) #1
Nicht nur bei deutschen Skispringern
häufensich die Kreuzbandrisse –
das hat spezielle Gründe Seite 39

FOTO: K.-J. HILDENBRAND / DPA

von christof kneer

D


ie Münchner Presse finde er
„nicht in Ordnung“, hat Bayern-
Präsident Uli Hoeneß in dieser Wo-
che gesagt. Dann präzisierte er: „Die west-
deutsche Presse unterstützt den Marc ter
Stegen extrem, wie wenn er schon
17 Weltmeisterschaften gewonnen hätte.
Von der süddeutschen Presse sehe ich gar
nichts, gar keine Unterstützung.“ Er mein-
te: Unterstützung für Manuel Neuer, den
Torwart des FC Bayern. Wenn die Presse
kritisiert wird, rächt sie sich in der Regel
durch „herabwürdigende, hämische, fak-
tische Berichterstattung“, wie Bayern-
Boss Karl-Heinz Rummenigge in der
Pressekonferenz im vorigen Oktober zu
Recht anmahnte. Nach einigen internen
Pressekonferenzen ist die Münchner und
süddeutsche Presse nun aber bereit, ihre
faktische Berichterstattung zu korrigie-
ren, und sie entschuldigt sich auch in al-
ler Form bei der FC Bayern München AG,
dass sie dem Torwart Neuer bisher nicht
die journalistisch angemessene Form der
regionalen Unterstützung zukommen
ließ. Außerdem stellt die Münchner und
süddeutsche Presse klar, dass der west-
deutsche Torwart Marc-André ter Ste-
gen, dieser Schlaumeier, bisher keines-
falls 17 Weltmeisterschaften bestritten
hat. DieSüddeutsche Zeitunghat nun in
enger Abstimmung mit Greta Thunberg,
Lisa Müller und Nina Neuer einen Pro-
Neuer-Aufruf verfasst, der Uli Hoeneß
per Fax an den Tegernsee zugestellt wird:


„Die Münchner und süddeutsche Pres-
se fordert hiermit alle MitbürgerInnen,
KollegInnen, Print- und Digital-Abon-
nentInnen sowie BundestrainerInnen
auf, sich künftig immer an trainingsfrei-
en Montagen zu den Mondays-for-Manu-
Demos auf dem Münchner Marienplatz,
am Tegernsee sowie vor Jogi Löws Frei-
burger Nagelstudio zusammenzufinden.
Unser Aufruf richtet sich an alle Generati-
onen, denen daran liegt, in Deutschland
ein gesundes und nachhaltiges Torwart-
klima zu erhalten. Die Betriebsklima-
krise im Tor stellt für die Stabilität der
Ökosysteme DFB/DFL eine existenzielle
Bedrohung dar, eine weitere Aufheizung
des Klimas ist eine enorme Gefahr für
den Frieden in der Mannschaftskabine
und für unser Torverhältnis. Die Münch-
ner und süddeutsche Presse fordert eine
Stammplatzgarantie für Neuer bis zur
WM 2026, einen Ausstieg aus der ter-Ste-
gen-Förderung sowie eine Strafsteuer
auf alle verbalen Bierhoffemissionen.
Außerdem fordern wir alle FußballfansIn-
nen auf, Länderspiele ohne Neuer-Beteili-
gung künftig zu bestreiken. Für Teilneh-
mer an unseren Mondays-for-Manu-De-
mos bieten wir Schilder aus kompostier-
barem Plastik mit den Slogans ‚Koan ter
Stegen‘, ‚Mir san Manu‘ oder ‚Das war’s
noch nicht, Marc-André‘ an.“


Auseinandergerissen


Mannschaft und Klubvorstand des



  1. FCKöln befinden sich in einer
    komplizierten Findungsphase Seite 38 Bei der Rad-WM in Harrogate fahren Frauen und
    Männererstmals gemeinsam in einer Mixed-Staffel.
    In der Szene kommt das nicht nur gut an Seite 40


Christof Kneer stand auch
mal imTor und war immer
die Nummer eins – zugege-
ben ein paar Ligen tiefer.

von thomas hahn

D


ie Kleiderordnung im weiten
Rund des Tokio-Stadions
wirkte ein bisschen einseitig.
Auf den Rängen rund um das
Feld, auf dem Japans Rugby-
Mannschaft ihr WM-Eröffnungsspiel ge-
gen Russland bestritt, schien fast jeder das
rot-weiß gestreifte Trikot der Heimmann-
schaft angelegt zu haben. Es war die
Tracht zu einem kleinen japanischen Fest,
das letztlich wie bestellt ablief. Die Russen
hatten starke erste Minuten, aber am Ende
waren sie chancenlos. 30:10 für alle in Rot-
Weiß. Applaus. Sprechchöre des Dankes.
Japans Rugby-Spieler hatten den perfek-
ten Einstieg in ein Turnier gefunden, das
etwas Besonderes werden soll.
Die Rugby-WM in Japan hat begonnen.
Sie wird bis zum 2. November sehr viele
Menschen auf der ganzen Welt beschäfti-
gen. Die Deutschen eher weniger, denn für
die ist Rugby das, was für Tonga oder Neu-
seeland Biathlon und Skispringen ist:
Sport von einem anderen Planeten. Man
wüsste gerne, ob sich daran etwas geän-
dert hätte, wenn die deutsche Rugby-Nati-
onalmannschaft vorigen November beim
Qualifikationsturnier um den letzten frei-
en WM-Platz an Kanada vorbeigekommen
wäre. Man wird es nie erfahren, die
10:29-Niederlage war damals nicht knapp.
Deshalb bleibt es erst einmal dabei: Das al-
te europäische Strategie-Kampfspiel, die
Urform des American Football, von rund
zehn Millionen Menschen weltweit betrie-
ben, liegt in der Gunst der Deutschen weit
hinter einer eher regional verbreiteten Spe-
zialistensportart wie Bobfahren.
Ein bisschen rüberlinsen kann man ja
trotzdem mal zum kantigen Personal die-
ser großen Nicht-Fußball-WM. Man erlebt
dabei einen Sport, der endgültig mehr sein
will als ein Nationalspiel für Common-
wealth-Staaten. Die neueste Auflage ist
laut Verband World Rugby natürlich wie-
der die tollste, schönste, einträglichste,
am besten besuchte, mit den fittesten
Schiedsrichtern besetzte und von den
klügsten Nachhaltigkeitsprogrammen be-

gleitete Rugby-WM der Geschichte. Vor al-
lem aber ist sie die erste in Asien, und das
gibt dem Turnier einen besonderen Reiz:
Die Weltgemeinschaft der Rugby-Riesen
fällt im aufgeräumten Inselstaat Japan
ein, in dem die Menschen leise, freundlich
und, ehrlich gesagt, auch ziemlich konflikt-
scheu sind. Leidenschaft fürs Grobe trifft
auf die Eleganz der Feingliedrigen. Welten
prallen aufeinander. Geht das?
Es muss, denn es gibt höhere Interes-
sen. Japans konservative Regierung hat
Sportfeste als Treiber für Investoren und
Wirtschaftswachstum entdeckt. Vor Olym-
pia und Paralympics 2020 passt deshalb
die Rugby-WM gut ins Konzept. Und
World Rugby wünscht sich mehr Asien-
Geltung, weil dort Menschen und Sponso-
ren sind, die den Sport größer machen. Als
Anschubveranstaltung für eine neue Rug-
by-Begeisterung unter Japans Jugendli-
chen ist sie gedacht, sagen die Funktionä-
re. Shigetaka Mori, Präsident der japani-
schen Rugby-Union, behauptet sogar:
„Dieser Weltcup wird die brillante Zu-
kunft des Rugbysports zeigen.“
Für die Japaner ist Rugby eine zwiespäl-
tige Sache. Dieses Spiel setzt sie wie kaum
ein anderes den Härten und Herrlichkei-
ten der Vielfaltswelt aus. Es zeigt ihnen ih-
re Möglichkeiten und ihre Grenzen, es holt
sie raus aus ihrer Welt mit eigener Religi-
on, eigenem Kampfsport, eigenen Ritua-
len und zwingt sie, sich von anderen leiten
zu lassen. Ausländer haben die Geschichte
der Nationalmannschaft geprägt, auch im
aktuellen WM-Team stehen einige natura-
lisierte Männer. Kapitän Michael Leitch
zum Beispiel ist gebürtiger Neuseeländer,
der die japanische Kultur allerdings so
sehr angenommen hat, dass er von sich be-
hauptet, heute besser Japanisch als Eng-
lisch zu sprechen. Und Chefcoach Jamie Jo-
seph ist auch Neuseeländer, ein Maori und
früherer WM-Finalist für die All Blacks,
ehe er später für Japan spielte. Wer glaubt,
Japan sei ohne Zuwanderung ein besseres
Land, kann sich vom Rugby-Nationalteam
das Gegenteil zeigen lassen.
Trotzdem, Japans Team hat es nicht
leicht in der Rugby-Welt. Es ist ein bewähr-

ter Außenseiter, in Asien unumstritten als
23-maliger Kontinentalmeister, seit der
ersten WM 1987 immer dabei. Aber über
die Vorrunde ist die Mannschaft noch nie
hinausgekommen. In ihrer Bilanz steht ein
schlimmes 17:145 gegen die Rugby-Groß-
macht Neuseeland (1995). Selbst das denk-
würdige 34:32 über den früheren Welt-
meister Südafrika bei der WM 2015 in Eng-
land hat nicht nur Segen gebracht. Es ist
mittlerweile verfilmt und eingebrannt in
den Mythos derBrave Blossoms,wieJa-
pans Team im Rugby-Sprech heißt. Es zeig-
te den Japanern, was geht, aber war trotz-
dem kein Sieg, auf dem man aufbauen
konnte. „Die ersten beiden Jahre danach
waren ein Kampf“, sagt Coach Joseph.
Jamie Joseph, 49, ist der Typ Mensch,
von dem man sich gerne beim Umzug hel-
fen lassen würde. 1,96 Meter, mächtige Ar-

me, sehr umgänglich. Rugby betrachtet er
mit dem heiligen Ernst eines Experten,
der nichts dem Zufall überlassen will. Und
er hat keine Angst davor, öffentlich über
Schwierigkeiten zu sprechen. Vielleicht
tut er das auch aus Selbstschutz, um die Er-
wartungen kleiner zu kriegen. Aber den
Eindruck zu erwecken, als sei es ein Kin-
derspiel gewesen, Japans Mannschaft in ei-
nen Zustand zu versetzen, der sie zu einem
Anwärter für das Viertelfinale macht, wäre
sicher auch nicht angemessen.
Joseph übernahm den Posten 2016 und
stand sozusagen vor den Ruinen des gro-
ßen Sieges von Brighton. Viele Spieler hat-
ten aufgehört oder ein unrealistisches
Selbstbild entwickelt, gleichzeitig waren
die Erwartungen mit Blick auf die Heim-
WM enorm. „Bei unserer ersten Tour
durch Großbritannien waren nur noch

sechs Teilnehmer von der WM 2015 da-
bei“, sagt Joseph. Er musste einen neuen
Kader formen aus Spielern, die kaum Erho-
lung hatten zwischen ihren Verpflichtun-
gen als Firmenteam-Angestellte und po-
tenzielle Heim-WM-Teilnehmer.
So wie es aussieht, ist ihm das gelun-
gen. Gegen Russland wirkte die Mann-
schaft nur anfangs etwas nervös, ansons-
ten souverän. Joseph redet über sie wie ein
Vater, der auf seine Kinder nichts kommen
lässt, über ihre Talente staunt, ihre Schwä-
chen in Schutz nimmt. Seit Januar hat er
die alleinige Macht über seine National-
spieler. Die Bedeutung der WM war offen-
sichtlich groß genug, um sie für die Vorbe-
reitung von ihren Firmenteams loszuei-
sen. Er gab ihnen erst mal einen Monat
frei. „Das war ihre erste Pause nach zwei
Jahren“, sagt Joseph, „ich musste sie dazu
zwingen. Japanische Spieler arbeiten ger-
ne jeden Tag.“ Später nutzte er ihren Fleiß.
In den Trainingscamps dauerten die Ar-
beitstage teilweise von sieben Uhr früh bis
neun Uhr abends. „Eine ihrer Stärken ist ih-
re Belastbarkeit“, sagt Joseph, „sie trainie-
ren länger und härter als einige der ande-
ren Athleten, die ich schon trainiert habe.“
Sein Team wirkt wirklich sehr fit.
Aber die richtig schweren Spiele kom-
men erst. Schottland und der Weltrangli-
stenerste Irland sind in der Gruppe von Jo-
sephs Team. Die ganze japanische Rugby-
WM muss erst noch zeigen, welche Atmo-
sphäre sie entwickeln kann nach diesem
stimmungsvollen Start mit fast 45 000 rot-
weißen Ringelhemden. Es gab Bedenken.
Werden die angereisten Fans genug Bier
bekommen? Werden die Japaner die Täto-
wierungen der Gäste akzeptieren, obwohl
Tätowierungen bei ihnen als Insignien von
Kriminellen gelten? Manche Teams wie Ti-
telverteidiger Neuseeland haben schon er-
klärt, sie würden ihre Körperbilder abde-
cken. Immerhin, in der Bierfrage hat Sir
Bill Beaumont, der englische Weltver-
bandspräsident, beschwichtigt. „Man soll
die Rugby-Fans nicht unterschätzen. Die
finden immer ein Bier.“ Und auch Japan
kann bei einer Rugby-WM vielleicht mehr
ertragen, als manche meinen.

DEFGH Nr. 219, Samstag/Sonntag, 21./22. September 2019 HF2 37


SPORT


München– Uli Hoeneß hat in der Torhü-
terdebatte um Manuel Neuer und Marc-
Andre ter Stegen nun auch den DFB-Di-
rektor Oliver Bierhoff persönlich ange-
griffen. „Wir haben ja schon mal so ein
Chaos erlebt. Das war während der WM



  1. Da war der Herr Bierhoff auch mit-
    verantwortlich bei Oliver Kahn und Jens
    Lehmann. Das will ich dem deutschen
    Fußball ersparen“, sagte Hoeneß derBild-
    Zeitung. Der damalige FC-Bayern-Torhü-
    ter Kahn hatte vor der Heim-WM seinen
    Platz im deutschen Tor an Lehmann verlo-
    ren. Verantwortlich für die Entscheidung
    war Bundestrainer Jürgen Klinsmann
    mit seinem Assistenten, dem heutigen
    Chefcoach Joachim Löw. Bierhoff gehör-
    te als Teammanager zur Mannschaft.
    Der FC Bayern reagierte damals wie
    heute äußerst verärgert. Hoeneß warf
    Klinsmann seinerzeit ein falsches Spiel
    mit Kahn vor und kritisierte außerdem
    den Zeitpunkt der Verkündung einen Tag
    vor einem wichtigen Bundesliga-Spiel
    bei Werder Bremen (0:3). sid


Am Samstag um 22 Uhr erscheint
die digitale Ausgabe
Sport am Wochenende sz.de/sport-we

Sport digital


Drei Goldpokale für Neuseeland
Alles Wissenswertezur Rugby-WM

TORWARTDEBATTE

Mondays


forManu


„So ein Chaos“


Uli Hoeneß attackiert Oliver Bierhoff

Riesen im aufgeräumten Inselstaat


Die Rugby-Weltmeisterschaft in Japan ist die erste in Asien. Das verleiht dem Turnier einen besonderen Reiz, nicht nur wirtschaftlich.
Das Land erkennt seine Möglichkeiten und Grenzen – und stimmt sich mit dem Auftaktsieg gegen Russland auf Festwochen ein

Alle Mann auf einem Haufen: Die Mannschaften von Gastgeber Japan (rechts) und aus Russland treffen im WM-Eröffnungsspiel zu einem Gedränge aufeinander. FOTO: ADAMPRETTY / GETTY

Zusammengeführt
FOTO: MARIUS BECKER /DPA

Zwiegespalten


Das Turnier:
Weltmeisterschaften werden erst seit 1987 ausge-
spielt, obwohl Rugby bereits 1900 olympisch war.
Rekordweltmeister Neuseeland ist auch Titelvertei-
diger. Von den Teams aus der nördlichen Hemisphä-
re hat bislang nur England einmal triumphiert.

Die Titelträger:
1987 (in Australien&Neuseeland): Neuseeland
1991 (in Großbritannien&Frankreich): Australien
1995 (in Südafrika): Südafrika
1999 (in Wales): Australien
2003 (in Australien): England
2007 (in Frankreich): Südafrika
2011 (in Neuseeland): Neuseeland
2015 (in England): Neuseeland

Der Goldpokal:
Der Webb-Ellis-Cup ist nach dem Schüler der engli-
schen Rugby School benannt, der 1823 „in feiner
Nichtachtung der Regeln den Ball in die Hand
nahm und rannte“ – und damit angeblich das Rug-
byspiel erfand. Fest steht, dass dieser Sport seinen
Ursprung in der Rugby School hat und es die Schü-
ler waren, die die Regeln bestimmten.

Der Modus:
20 Mannschaften spielen um den Titel, aufgeteilt
in vier Vorrundengruppen zu je fünf. Die jeweils bei-
den besten Teams qualifizieren sich für das Viertel-
finale. Im Fernsehen wird die WM im Livestream
von ran.de und ProSiebenMaxx übertragen.
Gruppe A Irland, Schottland, Japan,
Russland, Samoa
Gruppe B Neuseeland, Südafrika,
Italien, Namibia, Kanada
Gruppe C England, Frankreich,
Argentinien, USA, Tonga
Gruppe D Australien, Wales,
Georgien, Fidschi, Uruguay

Die Dauer:
Die WM zieht sich über sechs Wochen bis zum Finale
am 2. November. Nach den Viertelfinals haben die
Teams je eine Woche Pause bis zum nächsten Duell.

Die Deutschen:
Die Rugby-WM in Japan ist ein Weltereignis – ohne
Mitwirkung der Deutschen. Die hiesige Auswahl
hat im November 2018 in der Hoffnungsrunde die
Qualifikation verpasst. Wie jedes Mal.
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