Süddeutsche Zeitung - 21.09.2019

(Greg DeLong) #1
von helmut mauró

I


m Herbst 1813 trat er aus dem Schat-
ten Beethovens, alle inneren Hin-
dernisse waren beseitigt, er wirkte
wie befreit. Franz Schubert, der
skrupulöse Komponist der ausge-
henden Wiener Klassik, komponierte nun
eine Symphonie nach der anderen. Mehr
als vier Jahre ging das so, es entstanden
sechs symphonische Meisterwerke. Und
dann? Auf einmal wieder Selbstzweifel,
Hemmungen. Zu fünf Symphonien setzte
er an – und brach ab. Alles, was er nun an-
fasste, blieb Versuch, Fragment: ein Scher-
benhaufen für die Nachwelt.
Doch dann, im März 1824, die Wende.
Schubert schreibt an seinen Freund
Leopold Kupelwieser, dass er zwei Quar-
tette komponiert habe und sich mithilfe
eines weiteren „den Weg zur großen Sym-
phonie bahnen“ will. Aber wo ist die ge-
blieben? Die „Große C-Dur-Symphonie“
vollendet er erst 1828. Lag denn die im
Brief avisierte Symphonie – so wie viele
seiner übrigen Werke nach seinem Tod –
irgendwo unbeachtet auf einem Dachbo-
den? Es gab Anhaltspunkte, dass Schu-
bert die angekündigte große Symphonie
1825 in Gmunden und Gastein kompo-
niert hatte. Deshalb zählte man auch lan-
ge Zeit neun Schubert-Symphonien und
ließ die siebte Position frei für das hoffent-
lich noch bald aufzufindende Werk.

Spät im Jahr 1973 landete bei Walther
Dürr in Tübingen ein dickes Päckchen auf
dem Schreibtisch. Dürr leitete die Neuaus-
gabe sämtlicher Werke Schuberts – er leb-
te als Wissenschaftler geradezu für das
Werk des Wiener Komponisten. Die Sen-
dung enthielt vier Satzanfänge einer Sym-
phonie und ein Schreiben, in dem sich der
Finder der Noten anheischig macht, aus
den komplett aufgefundenen Orchester-
stimmen eine Partitur zusammenzustel-
len. Es sei sogar ein Originalbrief Schu-
berts mit Anweisungen an den Noten-
kopierer vorhanden. War die von der
gesamten Forschung so lange gesuchte
Symphonie nun endlich aufgetaucht?
In seinem jüngsten Buch „Mein Wei-
mar“ berichtet der Musikforscher und Di-
rigent Peter Gülke im Kapitel „Zu Gast bei
der ‚Firma‘“ über ein Gespräch bei der Sta-
si und deren Verhörmethoden, die aber
nicht über das hinausgehen, was im Füh-
rungskräftekurs als Gesprächssteuerung

unterrichtet wird. Nur die Umstände wa-
ren ernster: Vier Musiker der Weimarer
Staatskapelle, deren Generalmusikdirek-
tor Gülke war, hatten während einer West-
Tournee nicht mehr zurück in den Bus ge-
funden. Gülke sollte dafür haften, man
warf ihm vor, mit der feindlichen Presse
Kontakt aufgenommen zu haben.
Tatsächlich hatte ihm ein Journalist
bei diesem Treffen die Partitur einer wie-
derentdeckten Schubert-Symphonie ge-
zeigt. Da kann man als Musikforscher
nicht widerstehen, da ergibt sich ein kon-
spirativer Dialog ganz von selbst. Ob man
sich sicher war über die Echtheit der ge-
fundenen Noten? Gülke hat damals nicht

Stellung bezogen, schreibt erst jetzt im
Rückblick, dass es sich niemals um einen
echten Schubert gehandelt haben konnte.
Aber heute wissen es die meisten der einst
Unentschlossenen besser.
Man kann schon den ersten Takten ab-
lesen, dass da etwas nicht stimmt. Schu-
bert folgt bei symphonischen Kopfsätzen
dem klassischen Schema der langsamen
Einleitung, hier aber: sinnlos flirrende
Streicher, eine Tonleiter herabzitternd,
dazu sogleich melodiöse Holzbläser, nach
und nach etwas tiefer tremolierende Strei-
cher, eine Soloklarinette, ein Cello, hohe
Blechbläser, irgendwie alles, was zur
Verfügung steht. Und das gilt auch moti-

visch. Teile und Teilchen aus bekannten
Schubert-Symphonien sind da eins ans
andere gehäkelt, entwickelt wird nichts –
Schuberts Symphonie als Themen-Reste-
rampe.
Dass dieses Machwerk nicht Teil der
neuen Schubert-Ausgabe wurde, ist dem
Musikforscher Walther Dürr zu danken.
Andere Musikologen von Rang, etwa
Christoph Wolff als Herausgeber der Bach-
Ausgabe, waren da großzügiger und inte-
grierten eigene Funde. Doch selbst Dürr
konnte nicht verhindern, dass die neue
„Gmunden-Gasteiner-Symphonie“ in der
Rekonstruktion durch Gunter Elsholz
(1936-2004) als originaler Schubert mehr
als zehn Jahre lang die Runde machte. Die
Uraufführung in Hannover unter Leitung
des Operndirektors George Alexander
Albrecht, Bruder des Ministerpräsiden-
ten Ernst Albrecht, fand große Beach-
tung; das Cincinnati Philharmonic Orches-
tra brachte sogar eine eigene Aufnahme
heraus.

Inzwischen hatte aber die Berliner Bun-
desanstalt für Materialprüfung ihre Un-
tersuchungsmethoden soweit verfeinert,
dass klar war: Die Stimmensätze konnten
nicht vor 1945 geschrieben worden sein.
Das hätte aber der Fall sein müssen, da
der Finder behauptete, die Partitur sei bei
Kriegsende verloren gegangen. So dilet-
tantisch sich das Werk musikalisch aus-
nahm, so stümperhaft war es offenbar
auch angefertigt: Das benutzte Deckweiß
wurde erst Anfang der 1970er-Jahre herge-
stellt. Ebenso amateurhaft zeigte sich die
Parteinahme des Hitler-Forschers Wer-
ner Maser, der die unglaubwürdige Her-
kunftserzählung von Elsholz widerrief
und stattdessen eine neue Geschichte her-
vorzauberte, die unter Hypnose des dubio-
sen Finders Elsholz entstanden sein soll.
Nun war die Partitur erst später verlo-
ren gegangen, der Stimmsatz von Elsholz’
Onkel angefertigt worden. Eine Theorie,
die den mittlerweile erwiesenen Fakten
angepasst war. Aber die Glaubwürdigkeit
war dahin und mit ihr die sehnlich erwar-
tete Schubert-Symphonie. Der Kompo-
nist meinte mit seinem Hinweis auf ein
neues symphonisches Werk doch die
C-Dur-Symphonie. Sie ist jetzt die Num-
mer 8, und die vormals achte, die Unvoll-
endete, firmiert nun als Nummer 7. Für
weitere Symphonie-Funde ist kein Platz
mehr.

Jede Zahl von 1 bis 9 kommt pro Zeile und Spalte
höchstens einmal vor. Ununterbrochene Reihen
weißer Felder (Straßen) enthalten nur aufeinander-
folgende Zahlen, aber in beliebiger Reihenfolge.
Zahlen auf schwarzen Trennfeldern gehören zu
keiner Straße. © 2010 Syndicated Puzzles Inc.
 http://www.sz-shop.de/str8ts

789 54
678 2341
836754 12
78 4365
43 8 56
5467 23
21 567834
3214 678
23 897

6

2

1
9

4

54 98 32
32 76 45
456873 12
786 4231
87 3214
76 21 89
89 45 67
3124 978
123 98

7 8 9 5 3 6
185496372
39285 7641
476132985
237648159
654319827
918725436
523964718
761583294
8492 71563

Das angebliche Schubert-Werk
warstümperhaft – und zwar
nicht nur musikalisch

LÖSUNGEN VOM FREITAG ...


... UNDVOM WOCHENENDE


STR8TS: SO GEHT’S


Quartett mittelschwerZu sehenwaren einTraum-
fänger, derSchmutzfängerhinter LKW-Reifen, ein
Fliegenfängerund derRattenfänger von Hameln.
SchwerOmar Sharif stellte„Doktor Schiwago“dar,
der stilisierte Kopf prangt im Logo vonDr. Oetker,
die Zeichentrickfigur heißt„Doctor Snuggles“und
Daimler bemühte sich, Konzernchef Dieter Zetsche
als„Dr. Z“populär zu machen.Aller Anfang„Heute
back ich, morgen brau ich, übermorgen hol ich der
Königin ihr Kind“ (Rumpelstilzchen)

Meister der Romantik: Nicht wenige Werke von Franz Schubert (1797-1828)
erschienen erstnach seinem Tod. FOTO: IMAGO

DEM GEHEIMNIS AUF DER SPUR

Trügerische Sensation


Mehrals zehn Jahre hielt die Freude über eine wiedergefundene


Schubert-Symphonie – doch das Werk war gefälscht


36 RÄTSEL Samstag/Sonntag, 21./22.September 2019, Nr. 219 DEFGH


4156 72893
826359174
973148625
684215739
731964258
259783416
34289 7561
56743 1982
198526347

STR8TSmittelschwer


FOTOS: IMAGO (5), MAURITIUS, PRIVAT; WEITERER BILDNACHWEIS AM 28.9.; WEITERER BILDNACHWEISVOM 14.9.: DR. OETKER

SCHACH


Kraftlose Königin

QUARTETT


Vier Bilder, eine Gemeinsamkeit – welche?

von oliver rezec

mittelschwer


schwer


SUDOKUschwer


SCHWEDENRÄTSELBeginn des 186. Oktoberfestes


a 8 7 6 5 4 3 2 1
bcdef gh

Position nach 27...Tc8

Nisipeanu – Nakamura (Katalanisch)
Mit scheinbar übermächtigen Gegnern be-
kamen es die beiden deutschen Teilneh-
mer in der zweiten Runde des Worldcups
im sibirischen Khanty-Mansiysk zu tun:
Der 27-jährige Niclas Huschenbeth liefer-
te dem russischen Supergroßmeister Wi-
tiugow ein tolles Duell und musste sich
erst im Tiebreak beugen. Eine Sensation
schaffte dagegen der 43-jährige Liviu-Die-
ter Nisipeanu, aktuell Deutschlands Nr. 1,
der den in der obersten Weltelite angesie-
delten US-Amerikaner Nakamura in fol-
gender erster Partie des Minimatches be-
zwang, die zweite Partie sicher Remis hielt
und so den Einzug in die dritte Runde
schaffte:
1.Sf3 Sf6 2.d4 e6 3.c4 d5 4.Sc3 Le7 5.g3
0–0 6.Lg2 dxc4 7.Se5 Dd6 8.0–0 Da6
9.a4 Sc6 10.Sb5 Sxe5 11.dxe5 Td8
12.exf6(ein starkes Damenopfer auf lange
Sicht.)12...Txd1 13.Txd1 Ld6 14.Lf4 e5
(anscheinend schon ein spielentscheiden-
der Fehler! Nach 14...Da5 ist nicht klar, ob
Weiß mehr als die Zugwiederholung
15.Ld2 Da6 16.Lf4 hat)15.Sxd6 cxd6(auch


15...exf4 16.Se8 Da5 17.Td8 gxf6 18.Tad1
gibt Weiß gewaltigen Angriff)16.Lxe5
Da5 (natürlich nicht 16...dxe5 17.Td8)
17.Txd6 Lg4 18.Lc3 Dc7 19.Tad1 g6(nach
19...gxf6 20.Lxf6 entscheidet die Drohung
21.Td8+. Doch nun wird der weiße Bauer
auf f6 zum Sargnagel des schwarzen Kö-
nigs) 20.Lxb7 Tf8 (nicht 20...Dxb7
21.Td8+ Txd8 22.Txd8 Matt)21.Lf3 Lxf3
22.exf3 h5 23.Kg2 Te8 24.h4 Dc8 25.a5
a6 26.Td7(die schwarze Königin ist in die-
ser ungewöhnlichen Konstellation selt-
sam hilflos, während Weiß in aller Ruhe
die finale Attacke vorbereitet)26...Da8
27.T1d6 Tc8 Diagramm 28.Ld4(ein sehr
feiner Zug, von b6 aus wird der Läufer die
Verdopplung der Türme auf der 7.Reihe er-
möglichen und auch das kritische Feld d8
im Auge behalten)28...c3 29.bxc3 Te8
30.Lb6(Schwarz gab auf, da er dem gerad-
linigen weißen Plan zur Erstürmung des
wunden Punktes f7 nichts entgegenzuset-
zen hat, z.B. 30...Tc8 31.Ta7 Db8 32.Tdd7
Tf8 33.Lc5 und die weißen Türme verschaf-
fen sich über f7 Zugang zum schwarzen Kö-
nig). stefan kindermann

84


3


2


68


3


3


25


8


9


6


4


17


1


3 5


5 9 8 3 7


7 6 8


7 2


3 6 4


7 4 5 3


1


2 7 9


ALLER ANFANG


„D·· E······, d·· e···· O·····


b······, i·· d·· O····· s·····“


Bernhard Grzimek erinnert an die offensichtliche Verwerflichkeit
des Tragens exotischer Pelze. Wie lautet das Zitat?

Man kann schon an den
ersten Takten ablesen,
dass da etwas nicht stimmt
Free download pdf