21./22. SEPTEMBER 2019 3
fragilundengelhaftwirkenkannundgleich-
zeitigsounheimlich–daswareinewunder-
schöneEntdeckung.
SiehabendenBegriffimZusammenhangmit
einer14-Jährigengehört.IhreBenniistnoch
nichteinmalzehnJahrealt.Warumwählten
SieeinsojungesMädchen?
Zumeinenhabeichschoneinigegute
FilmegesehenüberJugendliche,dieüber-
all anecken.Dazu musste ich nicht einen
weiteren abliefern.Außerdem ist es doch
so: Wenn man sich mit der Aggressivität
vonkleinen Kindernauseinandersetzt,
findetmannichtsoleichteineErklärung.
Dassind nicht dierebellischenTeenager.
Wirwollten auch nicht, dass man denkt,
es sei eine schlimmeGroßstadtgöreoder
es liege amMigrationshintergrund.Das
Mädchen kommt aus einer deutschen
Mittelschichtsfamilie,die in einer mittel-
großen Stadtwohnt.
Mussten dieKinder imCasting auch schon
schreienundausrasten?
Ja.Das war eine Prämisse bei der Beset-
zung: Haben die Mädcheneine Hemmung,
Aggressivitätzuspielenodermachtesihnen
eher Spaß? Es gab einen erwachsenenAn-
spielpartner.Und die allererste Übung war:
BringtdiesenMannausdemRaumraus,egal
wie.Alles ist erlaubt,also treten, schieben,
beißen,schreien, weinen, beschimpfen...
Dann habe ich versucht, die Mädels immer
weiteranzustacheln,umzuschauen,woist
ihreGrenze. Manche haben sich nicht ge-
traut,einböseresWortals„Idiot“auszuspre-
chen.
WiegingesIhnendaalsRegisseurin,einfrem-
des Kind an seine Grenzen zu bringen?Das
sinddochkeineSchauspieler.
Doch,dassindschonkleineSchauspie-
ler.Die wissen, dass sie sich für eine Rolle
bewerben. Kinder verstehen, dass es
darum geht, sich in jemandanderen zu
verwandeln.ManchehabeneingroßesIn-
teressedaran.Da kannmanansetzenund
sagen:WirspielenverkehrteWelt,dudarfst
jetzt alles tun, was sonst nie erlaubt ist. Je
schlechterdudichbenimmst,destobesser
isteshierfüruns.
WirmüssennocheinmalzurückzudemWort
Systemsprenger: Wiekamen Sievon diesem
BegriffzurFilmidee?
Ichwollte immer schon einen Film über
einwildesMädchenmachen.Ichwarselber
eines,habe die Lehrer so genervt, dass ich
auchmalausderKlassegeflogenbinundvor
derTürstehenmusste,dieKlinkeherunter-
gedrückt,damitichnichtweglaufenkonnte.
EsisteinGlück,dassniemandversuchthat,
mir irgendwelche Pillen zu verabreichen.
Dieses wilde Mädchenwar deshalbimmer
bei mir.Ich hatte aber nie eine Geschichte
dafür.Die Begegnungmit dem Begriff war
endlich der lang erwartete Startschuss.Da
wusste ich, wo ich anfangenmusste zu re-
cherchieren.
Kann aus jedem wildenKind ein System-
sprengerwerden?
Es hängtvondenStartbedingungenab.
Wennesständigweitergereichtwird,dann
schon.Oderumgekehrt:EinKindmitsolch
einerEnergieladungwieBennikönnteein
MusikervonderQualitäteinesJimiHend-
rixwerden oderKonzernchefin.Dassind
auchMenschenmitextremerEnergieund
Power,die in Umständen großgeworden
sind, die sie für sich konstruktiv nutzen
konnten.
EinesderThemendesFilmsistdasVerhältnis
vonNähe undDistanz. Benni sucht Nähe,
kann aber einZuviel davon nicht ertragen.
Mansieht Erzieher,die diesesProblemkind
vonsich fern halten wollen, und man erlebt
andere,dieeinegroßeZuneigungempfinden
–abereigentlichdieDistanzbrauchen.
DasistaufjedenFalleinwichtigesThema.
Ichhabe durch dieRecherche eine Riesen-
hochachtunggewonnenvordenMenschen,
die im sozialenBereich mit Kindernarbei-
ten. Manmuss Zugang zu denKindernfin-
den, gleichzeitig kann man sich nicht hun-
dertpr ozentig verbinden.Dasist ein Di-
lemma, das man immer wieder aushalten
muss.Ichkönnteesnicht.Ichwürdediealle
mit nachHause nehmen und adoptieren
wollen.
WiehabenSiefürden Filmrecherchiert?
IchwarübervierJahre,nichtnonstop,aber
mehrmals,inv erschiedenenBetreuungsein-
richtungen.Ichhabe mitgeholfen, auch da
gewohnt,umdenAlltagzuverstehen.
AlsohabenSienichtnurüberdieKinder,son-
dernauchüberErzieherundJugendamtsmit-
arbeiteretwasgelernt?
Natürlich. Undich hatte denEindruck,
dassdiemeistenLeutesehrgutausgebildet
und sensibel für dieProbleme derKinder
sind.EhersinddieUmständeschwierig,un-
terdenensiearbeitenmüssen:derständige
Personalmangel und die totale Überlastung
mit Bürokratie.Ich bin großartigen und lie-
bevollenLeutenbegegnet.
ImFilmwir desanderJugendamtsmitarbei-
terinFrauBafanédeutlich,dieGabrielaMa-
riaSchmeideresolutundmitgroßemHerzen
spielt. Diekommt beiBennis Unterbringung
auchanihreGrenzen.
Nicht jedesKind hält es aus,eines von
zehn Kindernzus ein, gemeinsam mit de-
nen um dieAufmerksamkeitvonein oder
zwei Erwachsenen zu kämpfen–die stän-
dig noch zig Listen auszufüllen haben. Es
gibt ebenKinder,die immer wiederraus-
fliegen.UnddieseFrauBafanéistnichtnur
für ein Kind verantwortlich, sondernfür
sechzig, undwenn die Kollegin krank ist,
dannsindesneunzigFälle,dasisteinfach
vielzuviel.
DiesesVerhältnisentsprichtderRealität?
Ja,dashabeichrecherchiert.
SiehabenzuletzteinenDokument arfilm ver-
öffentlicht, der ist, wenn ich richtigrechne,
während der Vorarbeiten von„Systemspren-
ger“entstanden:„OhnedieseWelt“,fürdenSie
den First Steps Awardbekommenhaben. Er
beobachtetdas Leben der Deutsch sprechen-
denMennonitenimNord enArgentiniens.Die
habenihreigenesabgeschlossenesSystemab-
seits derMehrheitsgesellschaft.Gibt es eine
VerwandtschaftzwischendenFilmen?
Aufden erstenBlick sind das zweiver-
schiedeneWelten.„Ohne dieseWelt“ ist ein
sehrlangsamer,ruhiger,faststatischerFilm.
Es geht um eineGesellschaft, die sich dem
Fortschritt verweigert.„Systemsprenger“da-
gegenistunbändigundfürmanchenzuviel,
dashatallesmitdemKindzutun.EineVer-
bindung besteht vielleicht in meiner Liebe
für Außenseiter,Randgruppen, für Men-
schenmitextremen,radikalenZügen.
Washatte Siesoz ielgerichtet nachArgenti-
niengetrieben?
Ichhatte in der 11. Klasse einAuslands-
schuljahr in Argentinien, in einem kleinen
OrtimN orden, wo es eigentlich keineAus-
länder gibt.Eines Tages wurde ich,weil es
sich herumgesprochen hatte,dass es da
dieseDeutschegibt,indasKrankenhausvon
Resistencia gerufen, zum Übersetzen. Da
wareinzwölfjährigesMennonitenmädchen,
dasmit DiabetesinLebensgefahrschwebte,
unddieÄrztewollten,dassichihmunddem
Vatererklärte,dasssie Insulinspritzenmuss.
Leider habe ich dieses altertümlichePlaut-
dietschkaumverstanden.DieseBegegnung
hatmichniesorichtiglosgelassen.Ichwollte
demnachgehen,warumMenschenfreiwillig
soleben.
DieKinderbeidenMennonitensindstrengen
Verhaltens- und Kleiderregeln unterworfen
undmüssenschonfrühmitarbeiten.DieKin-
derineinerDemokratiewachsensehrfreiauf
–istdasvielleichtsogarschwieriger?
Daskann ich so nicht beantworten.Ich
hattebeidenMennonitenschondasGefühl,
dass einige Kinder in ihrer Familie sehr
glücklichsind,sichdortbehütetundgebor-
genfühlten.GewisseRegelnkönnenauchSi-
cherheit geben. Es gab andereFamilien, für
die das sicher nicht zutraf, bei denen ich
dachte,hoffentlich können sich dieKinder
irgendwann befreien.Genauso wenig kann
ichpauschalfürdieKindheitinWesteuropa
sprechen.HierlastetjaofteingroßerDruck.
Eswir dfrühnachLeistungselektiert,eswird
erwartet, dass dieKinder einInstrument
spielenkönnen,Wettbewerbegewinnen.Oft
habensienurwenigBezugzur Natur.Esh at
beidesVor-undNachteile.
HatdieEntwicklungderneuenMediennicht
auchdieKindheitverändert?
Klar,aber jedeGeneration hat ihreHer-
ausforderungen.BeiunssindesHandysund
Computerspiele.
Warum ist „Systemsprenger“ nicht auch ein
Dokument arfilmgeworden?
Ichkomme vomSpielfilm, alle meine
Kurzfilme bisher waren Spielfilme,ich
habe Spielfilmregie studiertund hatte
„Systemsprenger“ eigentlich als meinen
Abschlussfilm geplant.Aber ich hatte ihn
nicht rechtzeitig finanziertbekommen
und musste etwas anderes machen.Da
dachte ich an diesenStoff in Argentinien
und wusste:Daswärenur ein Dokumen-
tarfilm. Bei„Systemsprenger“hatsichmir
nie die Frage gestellt.Ichhätte Sorgege-
habt,indasLebenvonechtenBetroffenen
einzugreifen.
LiegtalsodarinderVorteilder Kunst,dassSie
im Spielfilm vielePersonen aus derRealität
zueiner verschmelzenlassenkönnen?
AlsFilmemacherhatmandagarnichtdie
Wahl.EsgibtdieseseineThema,unddieses
ThemabrauchtdieseeineForm.Esg ibttolle
Spielfilme über dieMennoniten.Aber da
hätte ich keinen szenischenZugang gefun-
den. Undbestimmt kann man einen wun-
derbaren Dokumentarfilm über System-
sprengermachen.Nurichhaltnicht.
Eltern unruhigerKinder haben oft Ärger mit
LehrernoderErziehern,sogarmitanderenEl-
tern–vorallem,seitesmitRitalineinMedi-
kament zurRuhigstellung gibt.Dasaller-
dings verlangt die eindeutige Diagnose
ADHS.WarumsindwirsoschwerinderLage,
mitAußenseiternumzugehen?
Einerseits muss man akzeptieren, dass
Temperamente unterschiedlich sind und
sich nicht jeder gleich entwickelt.Auch
wenn das inGruppen manchmal schwer
zubewältigenist.Undandererseitsgibtes
einfach Kinder,die sich dem nicht anpas-
sen können.Dieleiden selbst darunter.
Dann steht dieFrage,obman einenRah-
men schaffen kann, der dieseKinder aus-
hält.Dagibtes InstitutionenwiedasLeine-
rstift inOstfriesland, wo nichtzehn,son-
derndreiKindermitdreiodervierErwach-
senenzusammenwohnen.
Undwie fr üh kann man erkennen, dass das
nötigist?
System sprenger ist ja keine Krankheit.
DerBegriff beschreibt einPhänomen, was
passiert,wenneinKindzuvieleBeziehungs-
abbrüchehat.WarumdasKinddieseBezie-
hungsabbrüchehat,istvonFallzuFallganz
unterschiedlich.Es gibt auch Kinder,die
nach außen ruhigsind, aber so auto-
aggressiv,dass man sie vorsich selbst
schützen muss.Ungünstig ist vorallem,
wenn ein Kind zu früh die Einrichtungen
undPflegefamilienwechselnmuss–unddas
mehrfach. Dann kann das Kind nirgendwo
ankommen,weil die einzige Konstante der
Wechselist.
MusstenSiedaraufachten,dassHelenaZen-
gel, die Darstellerinder Benni, in den Dreh-
pausenwiederausdenextremenSituationen
indieNormalitätzurückfindet?
DaswichtigstewardieVorbereitung.He-
lenaundichhattensechsMonatemiteinan-
der,umsieandieRollezugewöhnenunddie
UnterschiedezwischenBenni und ihr he-
rauszuarbeiten.
SechsMonate?
SechsMonatevormDrehhabenwirange-
fangen, uns regelmäßigein- bis zweimal in
derWochezutreffen.Wirwarenzusammen
einkaufeninSecondhand-Läden,umBennis
Klamottenzusammenzustellen.Wirhaben
Bennis Drachen ausgesucht.Wirhaben oft
gemeinsamüberlegt:Wiewürdejetzt Benni
reagieren,wiewürdeHelenareagieren?Da-
mitsienichtGefahrläuft,sichmitBennizu
vermischen.SiewarbeidenErwachsenen-
Castings dabei, damit sie Bennis Univer-
sumkennenlernt–dieÄrztin,dieLehrerin,
Erzieherin...Wir haben auch noch einen
Probedrehgemacht. Undals wir dann an-
fingenzudrehen,konntesiewirklichindie
Rolleundwiederhinausschlüpfen.Siehat
wasganz Tragisches gespielt undkonnte
nach fünf MinutenPause wieder lachend
überdenFlurflitzen,abergenausoschnell
wieder in den Charakter rein.Die Kinder-
betreuerinamSethatindenPausenmitihr
gespieltoder Mittag gegessen.Undmeis-
tens nach Drehschluss habenHelena und
ichzusammeneinTagebuchgeschrieben.
AlsErinnerung?
Nein,damit sie es gutverarbeiten kann.
Sieschriebauf,waswirgemachthabenund
wassiedarangutoderblödfand.
SiesindselbstMutter,wiehabenSieesausge-
halten zu sehen und sichvorzustellen, was
Kindernpassierenkann?
Beim Drehen ging es .Vorher war es zum
Teilsehrschwierig.Auchdeshalbwaresgut,
dass ich den Dokumentarfilm gedreht und
dasDrehbuchfür„ Systemsprenger“einJahr
lang nicht angefasst habe.Ich musste auf-
passen, dass sich aufgrund dieser vielen
wahren GeschichtenmeinWeltbildnichtto-
tal verdüstert. Manbekommt so eineNega-
tivbrilleundsiehtnurnochFällevonKindes-
misshandlung.Ichkonnte kaum noch U-
Bahn fahren.Dasist gefährlich.DieWeltist
nichtnurschlimm.
ZurKindererziehung wirdgernauch unge-
fragt Rat erteilt.Quengelt einKindi nder
Bahn,wissenoftSitznachbarn,woranesliegt
und halten denEltern Vorträge.H atten Sie
das auch imBlick, zumBeispiel beiBennis
Mutter?
Sieist eine extrem schwacheMutter .Sie
lässtsichvonallensagen,wassiezumachen
hat:vomJugendamt,vomPartn er,vomKind
selber.Dasssie keinGegengewicht sein
kann,istfüreinKindmit BennisEnergieeine
fataleKombinat ion.
AndererseitsliebtsieihrKind,dasspürtman.
SieliebtesundhatAngstvorihm.Wiehaben
Siedashinbekommen?
EswaraufjedenFalldie Rolle,beiderich
mir am meistenSorgen gemacht habe,wie
die Besetzung sein würde.Weilich nicht
wollte,dassman die Schublade aufmacht
undweiß,wasdrinsteckt.Ichwollte,dasses
einsehr widersprüchlicher Charakter ist.
Dassesebennichtverwahrlost aussie htzu
Hause –sondernimG egenteil super or-
dentlich.Eigentlich sogar zu ordentlich,
denn dadurch bekommt es eine gewisse
Künstlichkeit, sodass sich außen und in-
nen bei derMutter se hr unterscheiden.
Unddannkam LisaHagmeister zumCas-
ting. Ichfandesbeeindruckend, mitwel-
cher Würde sie es gemeisterthat,diese
Schwächezuspielen.
Helena kann alsBenni aus derRuhe sehr
schnellauf-unddurchdrehen.Dannpassiert
eszwei-,dreimal,dassdasFilmbildnichtnur
an Geschwindigkeit gewinnt, sondern plötz-
lichinsichzusammenfällt,eskommtzueiner
Farbexplosion.Dashat eine starkeWirkung.
IstdaseinebestimmteTechnik?
Nein,wirhabenversucht,BennisTrauma
undihr eGefüh lsweltinBilder zuübersetzen.
Schreibenkonnteichdasnicht.Wirhabenes
beim Drehen ausprobiert, mitMakroo pti-
ken,mitLampe n,died ieFarbewechseln.Es
hat uns lange beschäftigt, dafür dierichtige
Filmsprachezufinden.
AndererseitsgibtespoetischeMomente,inde-
nen man sich nicht sicher ist, was das Mäd-
chenvielleichtnurträumt.
DasistnatürlicheinschmalerGrat:Wie
surrealdarfmanwerden,wannistespoe-
tischundwannwirdesa lbern? Einreines
Drama zu machen, das sich nur in der
Realität abspielt, hätte ich schade gefun-
den.
Dann wär eesk ein Spielfilm mehr,sondern
nurein Debattenbeitrag.HabenSieeigentlich
selbst eineErkenntnis darüber gewonnen,
was dringend geändertwerden muss an den
Systemen?
Ichbin wirklich keineFachfrau. Aber ich
glaube,dass gesamtgesellschaftlich soziale
BerufeeinegrößereAnerkennungbrauchen,
auchpflegendeBerufe.OhneMenschen,die
diese Berufe ergreifen, wären wirverloren.
Wirschauen immer bewundernd aufFir-
menchefs,Anwälte,MenschenanderBörse,
abernichtindenKindergartenumdieEcke.
Dabei sind das jaBerufe,die ganz eMen-
schenleben prägen, dierichtungsweisend
sind.Unddannmussmanauchnocheinmal
anders über die AggressivitätvonKindern
nachdenken.
WiemeinenSiedas?
Wenn ein Kind im Kindergarten extrem
aggressivist,wirdesv ondenandernisoliert,
mussesdieGruppewechseln,kommtschon
mit einer Akte in die Schule,dann sind die
Lehreralarmiert,wasaufsiezukommt.Statt
aggressiveKinderzudiskriminieren,müssen
wir viel genauer hinschauen, um herauszu-
finden,wasdalosist.
WowirwiederbeimPersonalmangelsind.
EsbetrifftnichtdieErzieheroderLehreral-
lein.ManmussauchdieElterneinbeziehen.
UnddieanderenKinder.
Aberesistschwierig.WennmeinKindin
derSchuleverprügeltwürde,hätteichkeine
Lust,den,deresgetanhat,zumSpielenein-
zuladen.Aber es wäreeigentlich derrichti-
gereWeg. AufKinder wieBenni wir dmeis-
tens erst geschaut,wenn es eskaliert.Wenn
Teenager irgendwo jemanden zusammen-
schlagen.Unddann staunt man, dass sie
dem Jugendamt längst bekannt waren.Sie
habenalleeineGeschichte.
Waresn icht sehr schwer,für einenFilm mit
solch schwierigem Thema einenVerleih zu
finden?DieBesucherzahlenindenKinossin-
ken, da warten doch alle nur noch aufKas-
senschlager.
Eswarganzschönkompliziert.Dankder
Berlinaleistesjagutausgegangen.DerFilm
hateineAufmerksamkeitgefunden,dieihm
sicher auch beimKinostarthilft. Aber wie
viele Zuschauer er bekommt–dat raut si ch
keiner,Vermutungenanzustellen.
Siegehörten schon früh zumVorstand der
selbstverwaltetenSchuleFilmarchei nBerlin,
SiehabenalsSchauspielcoachgearbeitet,also
ErfahrungmitdemMedium,dieüberihreei-
genen Filmehinausgeht. HättenSieIdeen,
wiemandasInteresseinderGesellschaftam
Kinowiederbefördernkönnte?
Ichglaube,esh at viel mitErziehung zu
tun.ManmussmitKinderninsKinogehen,
auchmitSchulklassen.Damitdiefrühdiese
Erfahrung haben, wie es ist, gemeinsam in
einemdunklenRaumzusitzenunddieGe-
schichtenvorn auf sich wirken zu lassen.
Wenn manKino als Kulturfor makzeptiert,
müssteesnichtnurMusikunterr ichtgeben,
sondernauchFilmunterricht.Manmüsste
sich überhaupt in den Schulen stärker mit
Medienauseinandersetzen,auchmitNach-
richten–al sodenkritischenUmgangmitbe-
wegtenBildernlehren.
NoraFingscheidt, Regisseurin der deut-
schen Oscar-Hoffnung „Systemsprenger“.
BERLINERZEITUNG/PAULUSPONIZAK
NoraFingscheidt ...
...wurde1983 in Braunschweiggeboren und
wohnt in Hamburg.Seit 2003 engagierte sie sich
in Berlin für die selbstorganisierteFilmschule
Filmarche und organisierte alsVorstandsmitglied
für internationale Kooperationen Jugendfilmpro-
jekte in mehreren europäischen Ländern.Parallel
absolvierte sie eineAusbildung zum Schauspiel-
coach und arbeitete als Regiepraktikantin.
...studiertevon2008 bis 2017 Szenische
Regie an derFilmakademie Baden-Württemberg,
mit ihrem Zweitjahresfilm „Synkope“ wurde sie
für den Deutschen Kurzfilmpreis nominiert. 2012
nahm sie an einemAustausch mit der UCLA in
Los Angeles teil. Ihr Studium beendete sie mit
dem Dokumentarfilm „Ohne dieseWelt“, der
2017 unter anderem mit dem Max-Ophüls-Preis
und demFirst StepsAward ausgezeichnet wurde.
...schriebnach langer Recherche über
einen Zeitraumvonvier Jahren das Drehbuch zu
„Systemsprenger“ und wurde dafür mit dem
Emder Drehbuchpreis 2016, dem Berlinale-
Kompagnon-Förderpreis und dem Thomas-
Strittmatter-Drehbuchpreis 2017 ausgezeichnet.
„Systemsprenger“ feierte seineWeltpremiereim
InternationalenWettbewerb der 69. Berlinale
2019 und erhielt den Alfred-Bauer-Preis –
gedacht fürFilme, die neuePerspektiven der
Filmkuns teröffnen. ImAugust wurde er als
deutscher Kandidat für denWettbewerb um den
Auslands-Oscar ausgewählt.
Helena Zengel als unzähmbare Benni in
„Systemsprenger“. PORT AU PRINCE PICTURES
Cornelia Geißler
hat mit Benni imFilm gelitten und mit
den Erwachsenen um sie auch.