Wenn Ende September in Paris die
Modewoche beginnt, herrscht auch
auf dem Schwarzmarkt wieder
Hochbetrieb. „Marché Noir“ heißt
der kleine Vintage-Laden, den der
gebürtige Togoer Amah Ayivi immer
zur Fashion Week aufsperrt und der
mit jedem Mal mehr Publikum an-
zieht. An den weißen Kleiderstangen
hängen Trenchcoats, lässige Arbeits-
Overalls, sehr bunte 70er-Jahre-
Hemden, ein dunkelblauer Wickel-
rock mit Goldknöpfen, der auch von
Yves Saint Laurent sein könnte. Alles
nur mäßig glatt gebügelt.
Doch viele Kunden kommen gar
nicht nur der Auswahl wegen, son-
dern weil sich herumgesprochen
hat, dass die Sachen vom „Marché
Noir“ eine besondere, irrwitzige Rei-
se hinter sich haben: Sie alle stam-
men in Wirklichkeit aus den Alt-
kleidersammlungen Europas und
Amerikas. Tonnenweise abgelegtes
Zeug, das nach Afrika geschafft
wurde und nun wieder im schicken
Paris hängt. Ayivi kauft seine Ware
in seiner Heimatstadt Lomé, Togo,
auf einem riesigen Markt für ge-
brauchte Kleidung. Er fischt die
besten Sachen heraus und verkauft
sie dem Westen zurück. Ein neues
Geschäftsmodell mit alten Kleidern.
„Es kommt als ‚Trash‘, ich bringe es
zurück als ‚Treasure‘“, sagt Amah
Ayivi und faltet die Hände mit acht
dicken Silberringen klackernd inei-
nander. Wo andere nur Müll sehen,
findet er Schätze. Der hochgewach-
sene Mann mit dem grau melierten
Bart sitzt in einem schlauchartigen
Showroom im Stadtteil Marais. Es ist
der letzte Verkaufstag seines jüngs-
ten Pop-ups Mitte Juli. Ein Franzose
mit Tarnmuster-Radlerhose unter
den Kakishorts probiert gerade
Blaumänner für 100 Euro an, er war
schon häufiger im Laden, Ayivi be-
grüßt ihn mit einem vertrauten „Ça
va?“ und Schulterklopfen. Als der
Kunde sich vor dem Spiegel um-
dreht, wird hinten auf dem Overall
der Aufdruck sichtbar: „Marché Noir
Lomé – Paris“. Ayivis ungewöhnli-
ches Konzept ist längst zum coolen
Markenzeichen geworden, das man
gern vor oder hinter sich herträgt.
Billige Schwemme
Dabei könnten die Leute auch irri-
tiert sein. Da macht jemand Profit
mit Sachen, die sie einmal „für einen
guten Zweck“ gespendet haben. Was
die wenigsten bedenken, wenn sie
vollgestopfte Beutel in die Altklei-
dersammlung werfen: Die Mengen,
die hier deponiert werden, über-
steigen den Bedarf für Mittellose in
Europa deutlich. Ein Großteil wird
deshalb in Dritte-Welt-Länder ver-
schickt. Und um kostendeckend
W
Wie ein
Bumerang:
Dieses aus-
rangierte Kleid
kam aus
Europa und
landete dort
auch wieder
In seinem Verkaufsraum richtet Ayivi die einst abgelegten Kleider für neue Kundschaft her
VEREDELT
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