MF-MT

(Darren Dugan) #1
Kapitel 12 | Event-Fotografie 231

Jörg Böh, Hamburg – freier Journalist seit 1979


„Konzertfotografie ist Hardcore-Fotografie pur. Schwierigste Lichtver-
hältnisse und auch sonst bemerkenswerte Arbeitsbedingungen für Foto-
grafen: Ob flatternde Toilettenpapierrollen bei Heavy-Metal-Bands, tief
fliegende BHs, Slips und Teddybär-Armeen bei Boygroups oder gar liter-
weise Bier und Schalentiere bei Kultrockern wie Torfrock − mir ist in 26
Jahren Bühnenfotografie so ziemlich alles um, über und auf die Kamera
geflogen.


Dennoch macht Konzertfotografie im wahrsten Sinne des Wortes
schweißtreibend viel Spaß, Schulter an Schulter mit fünf bis zwanzig Kol-
legen im engen „Graben“ zwischen Bühne und Publikum. Dazu begrenzte
Fotozeit von in der Regel gerade drei Songs zu Beginn jeder Show. Auch
hier erinnere ich mich gern an die kürzeste Fotozeit meiner Konzertfoto-
grafenzeit, nämlich bei Britney Spears vorletzter Tournee – gerade einmal
dreimal 30 Sekunden. Sofort danach kam der bullige „Britney“-Ordner
und drückte unsere Objektive zu Boden. Der Grund lag auf der Hand:
Nur solange die kleine, doch etwas propere Amerikanerin noch im Büh-
nenhintergrund war, sah sie einigermaßen vorteilhaft aus. Ganz anders
die einmalige Tina Turner, deren Endlosbeine ich aus nächster Nähe fuß-
aufwärts bestaunen durfte und die tatsächlich völlig makellos
sind.


Die Hauptaufgabe bei der Konzertfotografie besteht darin,
bei nahezu identischen Perspektiven, nämlich aus einer
Tiefe von 1,70 Metern unterhalb der Bühnenbretter, das
„andere“ Foto zu machen, welches die Kollegen eben nicht
haben. Blitzschnelle Reaktion, wohin der musizierende
Prota gonist gerade flitzt, tanzt, rockt, der richtige Bildaus-
schnitt, voreingestellte manuelle Belichtung, fokussieren,
abdrücken.


Es ist viel Glück, aber auch eine Menge Erfahrung und Kön-
nen notwendig in dieser fotografischen Disziplin bei 100
Dezibel aufwärts. Ein funktionierender Ohrenschutz ist dabei
für den Fotografen ein ebenso wichtiges Utensil wie ein ext-
rem lichtstarkes Objektiv. Unter einer Lichtstärke von f/2.8 braucht man
gar nicht erst anzurücken, denn selbst bei ISO 800 aufwärts sind offene
Blenden gefordert, um noch vernünftige kurze Verschlusszeiten zu bekom-
men.


Kein Held auf der Bühne berücksichtigt die Fotografen und posiert spezi-
ell für diese. Kein Lichtmischer dieser Welt gönnt den Fotografen an der
Bühne eine Portion ausreichendes Licht, damit diese eine gute Ausbeute


Die Konzerte des deutschen Soulsängers
und Entertainers Stefan Gwildis leben von
seinem Charisma und der Verbindung
zum Publikum. Seine positive Ausstrahlung
fängt dieses Konzertfoto besonders gut
ein. Kamera: Nikon D100 mit 70-200 mm
f/2.8er Objektiv – Belichtungszeit 1/180
Sek. bei f/3.5 – Brennweite 200 mm – ISO


  1. Foto: Jörg Böh (www.joerg-boeh.de)

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