worden war. »Wie oft habe ich ihr gesagt, sie soll meine Post nicht öffnen!
Sie dachte, ich merke das nicht ...«
Ihn schien die Indiskretion seiner Mutter nicht weiter zu stören. Viel eher
schmeichelte ihm diese Geste der übermäßigen Liebe, und er quittierte sie mit
einem nachsichtigen Lächeln. Das ihm allerdings schnell verging, als er das
Foto aus dem Umschlag zog.
Ernani warf seinem Sohn einen fragenden Blick zu, dann schaute er auf
das Bild.
Die Frau hatte ein weißes Tuch um den Kopf, war schwarz und hübsch;
in den Händen hielt sie, wie ein Angebot oder eine Trophäe, einen Säugling
hoch mit viel hellerer Hautfarbe.
Attilios Reaktion lieferte Ernani alle nötigen Erklärungen. »Und der
Name?«, fragte er nach einer kurzen Pause.
»Keine Ahnung. Ich wusste gar nicht, dass ... Also, ich dachte, sie könne
keine Kinder bekommen.«
»Ich meine die Frau.«
»Ach so, die Frau. Abeba. Das bedeutet Blume auf Amharisch.«
»Wie Rosa?«
»Ja. Oder wie Margherita, oder ...«
Attilio verstummte. Beide blickten schweigend auf das Bild von Abeba
mit ihrem Sohn und Enkel, ohne den Namen der Frau auszusprechen, deren
Veilchenduft noch das Zimmer erfüllte.
»Sie ist schön«, murmelte Ernani.
»Ja. Das ist sie.«
Behutsam nahm der Vater die Briefumschläge aus Attilios Händen und
legte sie in die Blechdose zurück. Er verschloss sie mit dem Deckel mit der
Kaffeemühle darauf und legte sie ihm in den Schoß. »Sie gehört jetzt dir.«
Attilio blickte ihn an wie ein Kind, das sich verlaufen hat. »Was soll ich
jetzt tun, Papà?«
Ernani hatte ihn noch nie so orientierungslos gesehen, diesen Sohn, der
ihm vor langer Zeit abhandengekommen war. Und gewiss hatte er ihn nie
zuvor um Rat gefragt. Als Antwort versetzte er ihm nur einen Klaps auf den
Handrücken.
Attilio verließ Lugo mit einer Blechdose im Gepäck. Die Rückreise
verlief glücklicher als der Hinweg, und in drei Tagen war er wieder in Rom.
Abebas Brief beantwortete er nicht.
jeff_l
(Jeff_L)
#1