Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

haben, während sie stundenlang in der Sonne warten, nicht weitergegeben
werden darf. Dies ist kein Gefängnis, hier sind keine Häftlinge, daher werden
keine Geschenkpakete akzeptiert.
Als der Polizist am Tor Attilio und Ilaria sieht, winkt er sie heran. Ilaria
zögert, sieht sich um. Sie und ihr Bruder sind die einzigen mit weißer
Hautfarbe, bis auf eine junge Frau mit langem Rock, die ein schlafendes Kind
im Arm hält. Doch niemand, nicht einmal ein Polizist, würde jemals eine
Romni mit einer Italienerin verwechseln. Und niemand protestiert, als Ilaria
und Attilio an der Schlange vorbei nach vorne gehen.
Ja, erklärt der Polizist, nachdem er seinen Computer befragt hat, es gibt
einen Gast mit Namen Shimeta Ietmgeta Attilaprofeti. Nein, sie können nicht
mit ihm reden, aus behördlichen Gründen. Ja, sie können mit einem Anwalt
wiederkommen.
Ilaria möchte etwas einwenden, als das Metalltor aufgeht, das aus
denselben Metallstreben besteht, welche drinnen die Höfe unterteilen. Ein
Mannschaftswagen der Polizei fährt heraus. In seinem Innern versuchen zwei
Uniformierte einen Mann zu bändigen, der den Kopf gegen das hintere runde
Sichtfenster presst. Seine gedämpften Schreie tönen deutlich durch die
Scheibe: »Help me! Help me!« Sein Blick ist der eines Kalbs, das den
Schlachterhaken gesehen hat, an dem es hängen wird.
Alle folgen mit den Blicken dem Wagen, der sich in Richtung Landstraße
entfernt. Auch die junge Romni, auch ihr Kind, das die nussbraunen Augen
aufgeschlagen hat.
»Wo bringen sie ihn hin?«, fragt Ilaria den Polizisten.
Er blickt nicht vom Bildschirm auf. »Nach Hause.«


»Ruf Piero an«, sagt Attilio zu Ilaria, als der Panda wieder in die Stadt
zurückfährt – die Einfallstraße Portuense ist wie durch ein Wunder staufrei.
»Er holt ihn in zwei Minuten da raus.«
Sie stößt genervt die Luft aus, einen Arm am Lenkrad, den linken
Ellbogen aus dem Fenster gehängt. »Kommt überhaupt nicht in Frage.«
Attilio trommelt mit den Fingern auf das Blechdach über seinem
geöffneten Wagenfenster. »Ich verneige mich vor deinen moralischen
Prinzipien, aber was sollen wir dann tun?«
»Lavinia hat einen Freund, der ist Anwalt für Einwanderungsrecht. Ich
rufe sie jetzt an. Wir haben ausgemacht, dass sie ihn kontaktiert, sobald wir

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