Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

unerträgliche Durst. Oder die Lebensmittelkisten, die heil geborgen werden
mussten, wenn die Flugzeuge sie über dem unwirtlichen Gelände abwarfen.
Einmal kam sogar eine ganze Schafherde von oben herabgesegelt. Man hatte
den Tieren einen Fallschirm auf den Rücken gebunden, so dass sie weiß und
leicht wie wollene Flöckchen vom Himmel fielen, laut blökend vor Angst.
Sie setzten alle wohlbehalten auf bis auf eines, das sich beim Aufprall die
Knochen brach. Attilio war es, der seinem mitleiderregenden Blöken durch
einen Gewehrschuss ein Ende setzen musste.
Ansonsten war es ein Kinderspiel, mit Maschinengewehren Gegner
niederzumähen, die mit Keulen und Stöcken und allerhöchstens Pfeil und
Bogen bewaffnet waren, die wenigen, die den Ansturm der Askaris überlebt
hatten. »Wenn von hundert Abessiniern neunundneunzig tot sind«, schrieb
Attilio seiner Mutter Viola, »marschiert der letzte noch weiter. Das kann man
nicht einmal mehr Mut nennen, sondern nur noch tierischen Instinkt. In
diesem sinnlosen Handeln steckt nichts Edles, nichts Heroisches. Es hat
nichts gemein mit dem Opfer, das unsere Soldaten bringen, wenn sie mit dem
Vaterland im Herzen und dem Namen des Duce auf den Lippen zur Attacke
schreiten.«
Auch wenn es eben nicht die Italiener waren, die attackierten, sondern die
libyschen und eritreischen Askaris. Groß und dünn in ihren weißen
Uniformen, standen sie beim Angriff in der ersten und zweiten und dritten
und vierten Reihe – waren also quasi die Einzigen, die fielen. Für Attilio wie
für sämtliche Italiener begann die Schlacht erst viel später. Wenn die
abessinischen Krieger von dem Maschiengewehrfeuer hinweggefegt waren,
in Stücke gerissen und von den Artilleriekratern mitsamt dem Erdreich in die
Luft gebombt, die weißen Augen weit aufgerissen im Moment, bevor die
Kugel ins schwarze Gesicht traf.
Alle, außer mir.
»Der Tod eines Negers erregt kein Mitleid«, hieß es unter den
Kameraden. Nicht aus Mitleid also, sondern wegen des Gestanks waren am
Ende der Schlacht am Amba Aradam so viele Schwarzhemden in Ohnmacht
gefallen. Zehntausende Leichen brauchen viel Platz, selbst wenn man sie
stapelt: ein ganzes Tal, über das sich der rote Amba wie ein Gedenkstein über
einem riesigen Massengrab erhob. Sie schleppten nur jene Leichen von dem
Schlachtfeld weg, in deren Adern einstmals italienisches Blut geflossen war.
Alle, außer mir.

Free download pdf