Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

Piloten hatten mit ihrer chemischen Fracht vom Boden abgehoben, wenn
auch im Geheimen.
So war also niemandem – Attilio, den Truppen, dem italienischen Volk –
das Telegramm an Badoglio bekannt. Die Folgen jedoch konnten alle sehen.
Das abessinische Heer befand sich in Auflösung. Bei jeder Schlacht verlor es
Zehntausende Männer, gegenüber ein paar Hundert Askaris oder höchstens
ein paar Dutzend italienischen Soldaten. Die Zeitungen nannten die
äthiopische Gegenwehr nicht nur barbarisch, sondern auch lächerlich. Jeden
Tag standen auf der Titelseite die merkwürdigsten Ortsnamen, die in jedem
Haushalt gängig wurden: Tembien, Tekeze, Mai Ceu, Ashangisee.
»Nein, der Krieg war nicht immer so leicht«, hatten Nigro und Carbone
bei seiner Ankunft an der Front gesagt. Hinterhalte hatte es gegeben, früher,
und Kämpfe mit dem Bajonett, Köpfe, die unter Artilleriebeschuss
explodierten wie Melonen im Sommer. Es gab die Abessinierin, die von
einem ganzen Bataillon Schwarzhemden genommen worden war und danach
von all ihren Gewehren, um dann als offener Schlund zurückgelassen zu
werden als Mahnung an die Männer, die aus einem Hinterhalt heraus über
hundert Italiener getötet hatten – nicht eritreische Askaris, sondern echte
Italiener, eine unzulässige Schmähung, die bestraft werden musste. Nigro
lachte, als er Attilio die Schreie der Frau beschrieb, damit dieser Mann,
dessen starke Schultern und auch Lippen er manchmal versonnen betrachtete,
nicht auf die Idee käme, er sei kein echter Kerl.
So musste Attilio statt blutiger Überfälle selten mehr als ein paar
Gewehrschüsse abgeben, mit der Zigarette im Mundwinkel wie ein Filmstar,
während die Luft von beißendem Knoblauchgestank verseucht und die
Landschaft in Wüste verwandelt worden war. Denn selbst die abessinischen
Vögel, so stellte er fest, respektierten die italienische Luftwaffe: Wenn ihre
Flieger vorüber waren, ließ sich stundenlang kein einziger mehr blicken. Es
war fast zu einfach, dachte er, während er in Schwärmen von
Schmetterlingen marschierte, alle von derselben Farbe, mal gelb und riesig,
mal bläulich durchsichtig, dann wieder klein und rot wie ein Regen aus
Blutstropfen. Während das Licht der Ambas ihm und seinen Kameraden ins
Genick prallte, versperrte nur der eine oder andere, merkwürdigerweise gut
erhaltene Leichnam den Weg des mittlerweile unaufhaltsamen italienischen
Vormarsches.
Das einzige ernste Problem war der andauernde und manchmal

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