Das Untersuchungsobjekt saß auf dem Hocker, den Kopf reglos zwischen
die Zangen des Zirkels gespannt, während Ciprianis Finger Attilio mit der
Anmut eines Musikers seine Anwendung demonstrierten. »Hier, achtet
darauf, wie ich suche, innehalte, weitersuche, die Messachse kontrolliere,
damit sie gerade ist. Wenn ich das weiteste Maß habe, höre ich auf. Und
überprüfe den Sitz. Bin ich auf einer Linie mit der mittleren Sagittalebene?
Präzision, Orientierung, Feingefühl: Diese drei Wörter sind die Schlüssel zur
Anthropometrie ...«
Bertoldi notierte alle erhobenen Daten in einem Notizbuch. Abends
übergab er es Cipriani, der mit winziger Handschrift seine Beobachtungen
ergänzte. Rund zwanzig Kategorien gab es, in welche die gemessenen
Charaktere einzuordnen waren.
Es begann bei der morphologischen Analyse des Haares an Kopf (kraus,
lockig oder wollig) und Körper. Auf Letztgenannte war Cipriani besonders
stolz. Seines Wissens war in vorangegangenen Studien noch nie auf die
Körperbehaarung der Amharen eingegangen worden. Mit der Farbenreihe
nach Fischer – dreißig Haarproben aus Zellulose wurden mit denen von
lebenden Subjekten verglichen – hatte er zudem die dominierende Farbe von
Kopf- und Körperhaar ermittelt: schwarz.
Die Von-Luschan-Skala war eine Tafel mit Glasstückchen, deren Tönung
immer dunkler wurde, durchnummeriert von 1 (sehr hell) bis 36
(pechschwarz), die man neben die Stirn des Untersuchungsobjekts hielt, um
die Farbe seiner Haut zu definieren. Für die Augen hingegen benutzte man
die Augenfarbentafel nach Martin: sechzehn kleine Glaslinsen, pigmentiert
und nummeriert, die mit der Iris verglichen wurden. Doch die wichtigste
Messung von allen war der Schädelindex. Der wissenschaftliche Rassismus
hatte die genetische und damit kulturelle Überlegenheit des Dolichocephalus
gegenüber dem Brachycephalus erklärt. Entsprechend leid tat es Cipriani
herauszufinden, dass der Großteil der in Abessinien vermessenen Subjekte
weder dem einen noch dem anderen zuzuordnen war, sondern dem
Mesocephalus – weder Fisch noch Fleisch.
Darüber hinaus gab es noch zahlreiche weitere Daten, die Bertoldi
festhielt: die Größe der Lidspalte, Vorhandensein des hervortretenden
Negerauges ja oder nein, Breite der Liddeckfalte, die Form von Stirn, Lippen
und Gesicht in Relation zur Frontalebene (elliptisch, oval, rautenförmig,
rund), Ausprägung des Jochbeins, Prognathie. Allein die Nase war eine ganze
jeff_l
(Jeff_L)
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