6INTERNATIONAL Freitag, 20. September 2019
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Tunesiens Langzeitherrscher ist tot
Der ehemalige Machthaber Ben Ali ist im saudis chen Exil verstorben – auf seinen Sturz folgte der Arabische Frühling
SARAH MERSCH, TUNIS
«Er ist abgehauen! Ben Ali ist ab-
gehauen! Der Verbrecher ist abge-
hauen!» Die Bilder eines freudetrunke-
nen Anwalts, der sich in der Nacht vom
14.Januar 2011 auf der menschenleeren
Hauptstrasse vonTunis die Seele aus
dem Leib schreit, derAusgangssperre
zum Trotz, gingen um dieWelt. An die-
semFreitag Anfang 2011 endete die
politischeLaufbahn von Zine al-Abidine
Ben Ali, der 23Jahre lang Präsident von
Tunesien gewesen war. Nun ist er im Al-
ter von 83Jahren nach langer Krankheit
im saudischen Exil in Jidda gestorben.
Eigentlich hatte der autoritäre
Machthaber nur seine Familie nach
Saudiarabien in Sicherheit bringenwol-
len, als er am14.Januar 2011 ins Flug-
zeug stieg. Doch während er in der Luft
war, brach inder Heimat sein Herr-
schaftsapparat endgültig in sich zusam-
men.Der Pilot derPräsidentenmaschine
erh ielt den Befehl,kurzerhand ohne sei-
nen Chef zurück nach Tunis zu fliegen.
So endete nach nur wenigenWochen
Protesten eine jahrelange Herrschaft,
die zwar von positivenWirtschafts-
indikatoren, aber auch von massiven
Repressalien gegen die eigene Bevölke-
rung geprägt war.
Seine Karriere begann der1936 ge-
borene Ben Ali im tunesischen Sicher-
heitsapparat.Ausgebildet inFrankreich
und den USA, wurde er bereits mit An-
fang zwanzig vom damaligen Präsidenten
Habib Bourguiba zum nationalen Sicher-
hei tschef berufen.1985 wurde er Minis-
ter für nationale Sicherheit,1986 zusätz-
lich Innenminister, in einer Zeit, in der
in der ganzenRegion islamistische Strö-
mungen an Machtgewannen.Die Haupt-
aufgabe von BenAli war es damals, diese
zu bekämpfen.Anfang Oktober1987 er-
nannte ihn der alternde Präsident Bour-
guiba schliesslich zumRegierungschef.
Am7. November übernahm Ben Ali
dann die Macht: In einer Nacht-und-Ne-
bel-Aktion,die später als «medizinischer
Staatsstreich» bezeichnet wurde, liess er
das greise Staatsoberhaupt von seinen
Leibärzten für amtsunfähig erklären.In
sei ner Antrittsrede versprach er umfas-
sende Reformen:«Das Volk verdient
Parteienvielfalt.Tunesien wirdden Weg
der Unabhängigkeit weitergehen.»
Die Hoffnungen vieler Tunesier
auf demokratischeReformen wurden
schnell enttäuscht. Ben Ali ging massiv
gegen politische Oppositionelle vor. Be-
sonders schlimm traf es Anhänger der
islamischen Ennahdha-Partei, die, wenn
sie nicht ins Exil flüchteten, Opfer von
Gängelung, Fo lter und oft jahrzehnte-
langen Haftstrafen wurden.Gleichzeitig
nutzt e Ben Ali den Kampf gegenradi-
kale Strömungen alsVorwand, um jeg-
liche Oppositionsbewegung zu unter-
drücken. Presse- und Meinungsfreiheit
wurden massiv eingeschränkt,das Inter-
net zensiert,Wahlen manipuliert. Erst
nachdem politischen Umbruch begann
eine Wahrheitskommission, dieVerbre-
chen der Amtszeit von Ben Ali,aber
auch von seinemVorgänger Bourguiba,
aufzuarbeiten.Zwar sind inzwischen die
ersten Prozesse angelaufen, doch auf
ein Urteil odereine Entschuldigung der
Täter warten die Opfer bis heute.
Die Unterdrückung unter Ben Ali
war nicht nur politischer Natur.Wäh-
rend er am Anfang seiner Amtszeit be-
gann, staatliche Unternehmen zu priva-
tisieren und die darbendeWirtschaft auf
Vordermann zu bringen,bereicherte sich
die Familie seinerFrau LeilaTrabelsi im
Verlauf derJahre immer mehr und riss
ganzeWirtschaftszweige an sich – sehr
zulasten der Bevölkerung. Diese wurde
immermehr von der positiven wirtschaft-
lichen Entwicklung des kleinen Mittel-
meerstaates abgeschnitten.Während Ben
Ali vomAusland lange gestützt und als
Garant für Stabilität in derRegion ge-
sehen wurde, begannen inTunesien Ende
der 2000er Jahre erste Proteste gegen
den autoritär en Machthaber und sei-
nen Polizeistaat. Monatelange Unruhen
in der Bergbauregion rund um Gafsa im
Südwesten desLandes gaben 2008 be-
reits erste Hinweise darauf, dass Ben Ali
nicht mehr so fest im Sattel sass, wie er es
nachaussen darstellte.
Das Ende von Ben Alis Amtszeit
läutete schliesslich die verzweifelte
Geste eines Gemüsehändlers ein. Am
17.Dezember 2010 übergoss sich Moha-
med Bouazizi in Sidi Bouzid,im Z en-
trum desLandes , mit Benzin und zün-
dete sich an,umgegen dieKonfiszierung
seinerWare durch diePolizei zu protes-
tierten.Innerhalb wenigerTage breite-
ten sich dieProteste in anderenTeilen
des Landes aus.Was als spontane Pro-
testbewegung begonnen hatte, wurde
du rch dieregionalen Strukturen des
mächtigen tunesischen Gewerkschafts-
verbandes insganz e Land getragen.Am
14.Januar 2011 skandierten schliess-
lich mehrere zehntausend Demons-
tranten vor dem Innenministerium in
der Hauptstadt und imRest desLan-
des «Dégage!» (Hau ab!) und forderten
«Arbeit,Freiheit undWürde».
Am Vorabend hatte der Präsident
in einer Ansprache an die Bevölkerung
noch das Ende der Zensur, politische
Reformen, ein Schiessverbot für diePoli-
zei und einenAmtsverzicht bei denWah-
len 2014 angekündigt. Doch die Zuge-
ständnisse kamen zu spät. In mehreren
Prozessen wurde Ben Ali nach seiner
Flucht 2011 in Abwesenheit zu mehre-
ren langjährigen Haftstrafen und Strafen
in Millionenhöhe verurteilt.Trotz einem
internationalen Haftbefehl bemühten
sich die verschiedenen tunesischenRegie-
rungen seit 2011 nicht ernsthaft um eine
Auslieferung.NachAngaben seines tune-
sischenAnwalts wird BenAli auf eigenen
Wunsch im saudischen Mekka bestattet.
Zine al-Abidine
Ben Ali
Ex-Herrscher
EPA von Tunesien
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