Frankfurter Allgemeine Zeitung - 12.09.2019

(Michael S) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Finanzen DONNERSTAG, 12. SEPTEMBER 2019·NR. 212·SEITE 25


D


ieNiedrigzinsphase, die sich an die-


sem Donnerstag mit einer weiteren


Leitzinssenkung der Europäischen Zen-


tralbank verschärfen dürfte, ist für Sparer


eine schlechte und für Schuldner eine gute


Sache. Das ist offensichtlich und oft be-


schrieben worden. Nach der Sommerpau-


se nutzen jetzt zahlreiche Unternehmen


als Schuldner die niedrigen Zinsen. Die


LBBW hat in der letzten Augustwoche


neue Anleihen im Volumen von 16,3 Milli-


arden Euro gezählt, bisher die beste Wo-


che in diesem Jahr. Damit schnellte das


Volumen im Monat August auf 21,7 Milli-


arden Euro hoch, ein neuer Rekord. 22 Un-


ternehmen kamen nach Angaben der


LBBW mit 37 neuen Anleihen günstig an


Fremdkapital. Und im September geht es


munter so weiter.


Die Banken allerdings tun gern so, als


profitierten sie als Unternehmen nicht


von den niedrigen Zinsen; vielmehr gerie-


ren sich die meisten so, als stünden sie nur


auf der Schattenseite, nämlich auf der Sei-


te ihrer Kunden und Sparer. Die eigene Be-


troffenheit ist aber komplexer. Sparkassen


und Volksbanken sind noch am ehesten in


derselben Position wie ihre Kunden: Sie


nehmen von diesen Geld in Form von Ein-


lagen entgegen und geben es längerfristig


zu (möglichst höheren) Zinsen als Kredit


aus. Den Rest, also den nicht als Kredit


ausgereichten Teil der Einlagen, tragen


die Sparkassen zu ihren Landesbanken.


Für die VR-Banken sammelt die DZ Bank


als genossenschaftliches Spitzeninstitut


die Liquidität. Von ihren Zentralbanken


bekommen Sparkassen und VR-Banken


kaum Zinsen, oft müssen sie sogar negati-


ve Zinsen zahlen.


Weniger eindeutig negativ stellen sich


hingegen die Niedrigzinsen für andere eu-


ropäische Banken dar. Natürlich leiden


auch sie als Anleger unter den niedrigen


Zinsen. Aber wer sich kaum über (Privat-


kunden-)Einlagen finanziert, sondern


eben auch über den Verkauf von Anlei-


hen, profitiert von den niedrigen Zinsen.


Jede Woche ist unsere Tabelle schließlich


mit den neuesten Anleihen von Finanz-


instituten gespickt. Dabei zeigt sich zum


Beispiel in dieser Woche, dass dieDeut-


sche Pfandbriefbank(pbb) mit ihrer in


Euro ausgegebenen kleinen Anleihe für


eine Schuldenaufnahme bis immerhin


zum Jahr 2037 nur einen jährlichen Zins-


kupon von 0,857 Prozent bieten muss.


UndWirecard, einer der Stars der Aktien-


börse, plazierte seine Debütanleihe mit ei-


nem Kupon von nur 0,5 Prozent. Dabei ist


Wirecard auch eine Bank, sieht sich aber


eher als stark wachsendes Technologieun-


ternehmen, das auch für Banken mit Algo-


rithmen den Zahlungsverkehr weiterent-


wickelt.


Im Dollar-Raum ist das Zinsniveau et-


was höher als in der Eurozone. Das zeigt


sich nicht nur daran, dass amerikanische


Banken für ihre bei der amerikanischen


Notenbank gehaltene Liquidität Zinsen er-


halten, während europäische Institute von


der EZB mit Negativzinsen belastet wer-


den. Es zeigt sich auch in höheren Zinsen,


die Banken für eine Schuldenaufnahme in


Dollar bieten müssen. Selbst große, profi-


table Geldhäuser wie Citigroup und JP


Morgan müssen für neue Anleihen Ku-


pons von 5 und knapp 3 Prozent bieten.


Für Sparer aber ist das, verbunden mit


dem Währungsrisiko, kaum genug. ham.


kpa.FRANKFURT, 11. September. Der


Handelskonflikt zwischen den Vereinig-


ten Staaten und China, eine hierzulande


drohende Rezession, politischer Streit in


Italien und Großbritannien oder die hefti-


gen Auseinandersetzungen in Hongkong



  • positive Nachrichten sehen anders aus.


„Es ist eine sehr turbulente Zeit, auch an


den Kapitalmärkten“, sagt Carsten Klude,


Chefvolkswirt von M.M.Warburg.


Dennoch merken dies die Anleger er-


staunlicherweise bisher kaum: „Die Märk-


te haben sich trotz dieser schwierigen Rah-


menbedingungen famos gehalten.“ Viele


Aktienindizes haben seit Jahresbeginn


deutlich zugelegt. Der Dax zum Beispiel


liegt 17 Prozent höher. Der amerikanische


S&P 500 ist um 19 Prozent gestiegen.


Durch die Stärke des Dollars zum Euro


wird für einen europäischen Investor dar-


aus ein Plus von 25 Prozent.


Auch für Anleihen zeigt sich Überra-


schendes. „Alle reden von den niedrigen,


zum Teil negativen Zinsen und Renditen“,


sagt Klude. Doch dies sei eben nur ein Teil


der Wahrheit. „Für das Gesamtergebnis


wichtig ist auch hier die Kursentwick-


lung“, sagt der Stratege. So seien die Kur-


se der Zinspapiere zum Teil deutlich ge-


stiegen, vor allem für lange Laufzeiten.


„Herausragend ist sicherlich die österrei-


chische Anleihe mit 100 Jahren Laufzeit“,


sagt Klude. Sie habe mehr als 50 Prozent


an Wert zugelegt, was vor allem an Kursge-


winnen liege. Der Zinskupon betrage da-


gegen nur 2,1 Prozent. Auch andere Lang-


läufer hätten deutlich an Wert gewonnen


wie dreißigjährige Bundesanleihen. „Je


niedriger der Zinskupon ist und je länger


eine Anleihe läuft, desto stärker reagiert


ihr Kurs auf sich verändernde Renditen“,


sagt der Volkswirt. Sie werde volatiler.


Wie für Aktien werde dann auch für Anlei-


hen die Kursveränderung Haupttreiber


der Wertentwicklung.


Doch die weiteren Aussichten scheinen


alles andere als rosig. „Die Gefahr einer


Rezession ist nicht von der Hand zu wei-


sen“, sagt Klude. Technisch sei dies der


Fall, wenn das Wirtschaftswachstum in


zwei Quartalen in Folge negativ sei. Und


genau dies stehe Deutschland nun mögli-


cherweise bevor. Die Situation sei zwar


nicht mit den Jahren 2008/2009 zu verglei-


chen. Dennoch schüre das erratische Ver-


halten des amerikanischen Präsidenten


Donald Trump die Unsicherheit und er-


schwere Prognosen. Negativ sei zudem,


dass die Gewinnerwartungen noch viel zu


hoch seien. Sollten die Gewinne der im


Dax notierten Unternehmen wie erwartet


im Jahr 2020 um 14 Prozent steigen, müss-


te sich auch die Wirtschaft deutlich erho-


len. Realistischer sei daher eine Stagnati-


on der Gewinne bis hin zu einem Plus von


5 Prozent.


Was können Anleger also tun? Sie soll-


ten Durchhaltevermögen beweisen oder,


wenn ihnen der Mut dazu fehle, ihre Ak-


tienquote reduzieren, rät Klude. Den bes-


ten Zeitpunkt für den Aus- oder Wieder-


einstieg zu finden sei gleichwohl fast un-


möglich. Und wenn man Aktien die Treue


halten will? Der Volkswirt rät insgesamt


zu Qualitätstiteln, die auch unruhigere


Zeiten gut überstehen könnten. Ange-


sichts der Rezessionsängste sollten Anle-


ger aber konjunktursensitive Titel aus den


Bereichen Automobil, Maschinenbau


oder Chemie meiden. Sie sollten lieber


auf defensive Titel aus der Nahrungsmit-


tel- oder Konsumgüterbranche setzen –


Klassiker sind Nestlé und Unilever – und


zudem auf Gesundheits- oder Pharmawer-


te. Im gegebenen Umfeld könnten eigent-


lich auch Versorger oder Immobilien-


aktien einen Blick wert sein: „Doch hier


belasten immer wieder neue Einflussnah-


men der Politik den Kurs wie die in Berlin


diskutierte Mietpreisobergrenze von 8


Euro je Quadratmeter.“


Regional rät Klude, bei Aktien stärker


auf Amerika und die positiven Effekte der


lockereren Geldpolitik der amerikani-


schen Notenbank zu setzen. Während die


deutsche Wirtschaft zu rund 40 Prozent


vom Export abhänge, seien die Vereinig-


ten Staaten weit weniger von dem von


Trump angezettelten Handelsstreit betrof-


fen. Der Anteil der Exporte an der gesam-


ten Wirtschaftsleistung betrage hier nur 8


Prozent. Aktien in Europa seien dafür


nicht ganz so hoch bewertet. So betrage


das Kurs-Gewinn-Verhältnis im Dax der-


zeit 13, womit es etwas über dem langjäh-


rigen Durchschnittswert von 12 liege. Für


den S&P 500 vergleiche sich das aktuelle


KGV von 17 mit durchschnittlich 15. Klu-


de weist darauf hin, dass deutsche Aktien


aber aufgrund der zu hohen Gewinnerwar-


tungen optisch günstiger aussähen, als sie


tatsächlich seien. Da er von geringeren


Gewinnen ausgeht, liegt seine Dax-Pro-


gnose zum Jahresende mit 11 000 Punkten


unterhalb der aktuell 12 360 Punkte.


Seine Äußerungen zu Anleihen klingen


zuversichtlicher. „Die Zinsen in Europa


werden aufgrund der Geldpolitik der Eu-


ropäischen Zentralbank weiter sinken, so


dass die Anleihekurse noch steigen kön-


nen“, sagt Klude und setzt weiter auf lang


laufende Staats- und Unternehmensanlei-


hen. Interessant findet er zudem Invest-


ments in Private Equity, Infrastruktur


oder Immobilien: „Solange die Zinsen


niedrig bleiben, wird es hier zu keinem


Platzen einer Blase oder zu deutlich fallen-


den Immobilienpreisen kommen.“ Und


wenn Anleger ganz auf Sicherheit gehen


wollten, gehöre auch etwas Gold in den ei-


genen Tresor oder das Schließfach.


Anleger sollten trotz der schwierigen


Ausgangslage nicht den Mut verlieren, rät


der Ökonom. Einigten sich die Vereinig-


ten Staaten und China auf ein Handelsab-


kommen, könnten sich die Rahmenbedin-


gungen schnell wieder verbessern. Und


auch wenn es banal klinge: Irgendwann


gehe jeder Abschwung einmal zu Ende.


Wirecard mit Debütanleihe


mann. FRANKFURT, 11. September.


Geld verdienen und damit Gutes tun. So


könnte man das Konzept des Berliner Fin-


techs Ecoligo in einem Satz beschreiben.


Das 2016 gegründete Unternehmen nutzt


die idealen Bedingungen für die Energie-


gewinnung mit Solarstrom in vielen


Schwellenländern und finanziert via


Crowdinvesting dort den Bau von Solar-


anlagen. In Ghana habe man angefangen,


dann sei Kenia hinzugekommen, nun wer-


den auch in Costa Rica Anlagen gebaut.


In Kenias Hauptstadt Nairobi seien die


Rahmenbedingungen von der Sonnenein-


strahlung her ideal, sagt Martin Baart,


Chef und Gründer von Ecoligo. Grund-


sätzlich könne sich aber jeder für die Fi-


nanzierung einer Solaranlage melden.


Dies lohne sich aber nicht für jede Ein-


richtung. Eine eigene Solaranlage diene


zunächst dazu, den Strom, der verbraucht


wird, selbst zu produzieren und nicht von


Energieversorgern zu beziehen. Und das


muss sich rechnen. „Die ländliche Elektri-


fizierung ist vom Risikoprofil her schwie-


rig“, findet Baart. Auch für Schulen seien


eigene Solaranlagen nicht immer sinn-


voll, etwa wenn sie keinen hohen Strom-


bedarf haben, entweder wegen langer


Schulferien von zwölf Wochen oder weil


Strom nur von Montag bis Freitag – und


das auch nur halbtags – benötigt wird.


Dann passe der Bedarf nicht zur Solaran-


lage. Es gehe dabei eben auch um die tech-


nische Sinnhaftigkeit, betont Baart.


Über die Plattform Ecoligo werden


neue Projekte vorgestellt, etwa für das Ho-


tel „El Rodeo“ in Costa Rica. Das Volu-


men kann 20 000 Euro betragen, aber


auch 300 000 Euro. Es handele sich


grundsätzlich um kleinere Projekte, sagt


Baart. „Entwicklungsbanken legen ihren


Fokus eher auf Großprojekte.“ In den


meisten Fällen wurde innerhalb weniger


Tage die volle Summe eingesammelt. Die


Laufzeiten der Investments variieren und


betragen vier bis zehn Jahre. Insgesamt


wurden über die Plattform schon 30 Pro-


jekte finanziert, davon 14 von den Besit-


zern selbst. Ziel der Investitionen sei


auch, die Wirtschaft vor Ort zu fördern


und Anlagen nicht von ausländischen Un-


ternehmen bauen zu lassen. „Die Solaran-


lagen werden von unseren lokalen Part-


nern gebaut“, sagt Baart. Diese würden


von unabhängigen Beratern wie der Alli-


anz Climate Solutions, einer Tochterge-


sellschaft des Allianz-Konzerns, bezüg-


lich der Komponenten für den Bau oder


der Dokumentation überprüft.


Private Investoren können sich schon


mit Beträgen ab 100 Euro, maximal aber


mit 100 000 Euro an den Projekten beteili-


gen und erhalten im Gegenzug eine Ver-


zinsung von 4,5 bis 6,5 Prozent, was im ak-


tuellen Umfeld der Niedrigzinsen wie


eine Erinnerung an alte Zeiten wirkt.


Solch eine vergleichsweise hohe Verzin-


sung gibt es aber nicht ohne entsprechen-


des Risiko. Anlegern kann bei den Ecoli-


go-Projekten ein Totalverlust drohen, da


es sich um sogenannte Nachrangdarlehen


handelt. Das heißt, sie werden im Insol-


venzfall erst nach allen anderen Schulden


bedient. Eine solche Anlage taugt also


nicht als Altersabsicherung. Auch Baart


rät davon ab, sein ganzes Vermögen dort


anzulegen. Bislang sei aber noch kein Ab-


nehmer von Solaranlagen insolvent ge-


worden. „Wir überprüfen den Kunden vor-


her.“ Zum Beispiel darauf, ob dieser ei-


nen langfristigen Kredit überhaupt bedie-


nen kann. Crowdinvesting ist nicht dassel-


be wie „Crowdfunding“, das in Teilen


auch auf Spendenbasis funktioniert. Bei


Ersterem steht die finanzielle Teilhabe


am Erfolg des Projekts im Vordergrund.


Nach etwa fünf Jahren gehört die Solar-


anlage den Nutzern. Der Vertrag zum


Bau könne mit einem Leasingvertrag ver-


glichen werden, sagt Baart. Fünf Jahre


zahlen die Abnehmer für den Kredit inklu-


sive Strom, dann seien sie Eigentümer.


Könne der Kunde seinen Zahlungen


nicht nachkommen, bestehe immer noch


die Option, entweder die Anlage abzubau-


en und an andere Kunden zu vermitteln


oder in manchen Ländern auch den


Strom in das Netz einzuspeisen und so


Einnahmen zu erzielen.


„Die Märkte haben sich famos gehalten“


Deutsche Börse:Die Schwankungen der Aktienkurse sind ein Spiegelbild der Unsicherheiten. Foto Marc-Steffen Unger


Finanzen


Solaranlagen finanzieren und Zinsen kassieren


Berliner Fintech Ecoligo unterstützt die Energieversorgung in Afrika und Costa Rica


NEUE ANLEIHEN


Internationale Neuemissionen


Emittent ISIN


Betrag
Zinsen

(%) Fälligkeit


Ausgabe-


kurs (%) Rating


1


Mindest-


WährungMio. anlagein Tsd.


Wirecard DE000A2YNQ58 Euro 500 0,500 09/24 99,4 –/– 100


pbb DE000A2NBKN7 Euro 27 0,857 09/37 – –/– 100


TD Bank US89117BAJ70 Dollar 100 2,55 09/21 100,0 –/– 250


BCP US05971U2A44 Dollar 700 2,700 01/25 99,9 –/– 10


BBVA Bancomer US05533UAG31 Dollar 750 5,875 09/34 100,0 –/– 200


CommBank US202712BL88 Dollar 1250 3,743 09/39 100,0 Baa1/– 200


Citigroup US172967MG30 Dollar 1500 5,000 – 100,0 –/– 1


JPMorgan ChaseUS46647PBE51 Dollar 3000 2,739 10/30 100,0 A2/– 2


OeKB US676167BZ12 Dollar 1500 1,625 09/22 99,9 –/– 1


Banco VotorantimXS2052398984 Dollar 0,2 2,640 09/20 100,0 –/– 200


Freddie Mac UA3134GUAG50 Dollar 25 2,000 09/24 100,0 –/– 1


John Deere US24422EVB28 Dollar 450 2,250 09/26 99,8 –/A 1


Triumph US896818AR28 Dollar 525 6,250 09/24 100,0 –/B 2


KfW US500769JD71 Dollar 2000 1,750 09/29 99,9 –/– 1


African Dev. BankXS2053355959 HKDollar 300 1,790 09/20 100,0 –/– 1000


1)Bewertung der Bonität durch die Agenturen Moody’s (links) und Standard & Poor’s (rechts). Quelle: Bloomberg


Die Aussichten sind zwar


allesanders als rosig. Doch


es gibt Anlagen, die für das


Umfeld wie gemacht sind,


sagt Carsten Klude von


M.M.Warburg.


Zu der jüngsten Berichterstattung zu


Cum-Ex-Geschäften (F.A.Z. vom 28. Au-


gust): Daniel Mohr ist in seinem Kom-


mentar zu den umstrittenen Cum-Ex-Ge-


schäften vollumfänglich zuzustimmen.


Die Aktivitäten rund um Cum-Ex sind


ein Skandal. Sich eine nur einmal gezahl-


te Kapitalertragsteuer mehrfach erstatten


zu lassen ist Diebstahl an der Gesell-


schaft. Diese Praktiken waren einfach nur


obszön, unabhängig davon, ob nun die


Auslegung der relevanten Vorschriften,


die zu einer mehrfachen Erstattung führ-


te, rechtmäßig war oder nicht. In diesem


Zusammenhang ist darauf hinzuweisen,


dass bei einem unklaren Gesetzeswort-


laut eine teleologische, d. h. eine am


Zweck der Vorschrift ausgerichtete Ausle-


gung zugrunde zu legen ist. Zweck der


Vorschriften war, eine nur einmal abge-


führte Kapitalertragsteuer auch nur ein-


mal zu erstatten. Ein anderes Auslegungs-


ergebnis kann nur rechtswidrig sein; es


wäre geradezu absurd. Die neben den


Steuerpflichtigen handelnden Personen


in den Banken und Beratungsgesellschaf-


ten haben bewiesen, dass gesellschaftspo-


litische Verantwortung für sie nicht exis-


tiert. Immer wieder taucht in der Zeit der


Name der Anwaltskanzlei Freshfields auf.


Freshfields war offensichtlich an diesen


Raubzügen als Berater exponiert betei-


ligt. Ein möglicher Reputationsverlust


spielte wohl keine Rolle. Unabhängig von


dem finanziellen Schaden für die Allge-


meinheit, sind solche Praktiken geeignet,


die Akzeptanz der Gesellschafts- und


Wirtschaftsordnung durch den Bürger zu


untergraben. Zu Ende gedacht, bedeutet


dies, dass die handelnden Personen die


demokratische Ordnung gefährden. Man


muss ihnen das Handwerk legen.


DR. THEO SCHMITZ, BAD DÜRKHEIM


Zu „Der Streit um die schwarze Null spitzt


sich zu“ (F.A.Z. vom 15. August): Spätes-


tens seit das Ergebnis für das deutsche


Bruttoinlandsprodukt im zweiten Viertel-


jahr 2019 – ein Rückgang um 0,1 Prozent


im Vergleich zum Vorquartal – veröffent-


licht wurde, geht die Rezessionsfurcht um.


Zu einem nicht geringen Teil hängt das


mit einer in den Medien häufig anzutref-


fenden Definition der sogenannten techni-


schen Rezession zusammen: Sie liege vor,


wenn das preis- und saisonbereinigte Brut-


toinlandsprodukt in zwei aufeinanderfol-


genden Quartalen abgenommen hat. Die-


se Definition wird jedoch von keiner seriö-


sen Institution verwendet und ergibt kei-


nen Sinn. Aus ökonomischer Sicht ist eine


Rezession eine nachhaltige Unterauslas-


tung der gesamtwirtschaftlichen Kapazitä-


ten, also von Kapital und Arbeit.


Das Business Cycle Dating Committee


beim National Bureau of Economic Re-


search in den Vereinigten Staaten defi-


niert eine Rezession als eine spürbare Ab-


nahme wirtschaftlicher Aktivität, die sich


über die gesamte Wirtschaft erstreckt und


von wenigen Monaten bis über ein Jahr an-


hält. Dabei seien mehr Indikatoren als nur


das Bruttoinlandsprodukt zu berücksichti-


gen, etwa die Beschäftigung, das Real-


einkommen und gegebenenfalls Indika-


toren für Teilbereiche der Wirtschaft wie


reale Umsätze und Industrieproduktion.


Die genannte Definition aus den Medien


wird ausdrücklich zurückgewiesen. Es


kommt für eine Rezession also weder dar-


auf an, dass das Bruttoinlandsprodukt


schrumpft, noch, dass dies in zwei aufei-


nanderfolgenden Quartalen geschieht.


In einem stark wachsenden Schwellen-


land wie China wäre eine Rezession


schon bei Zuwachsraten von zwei oder


drei Prozent über längere Zeit gegeben.


In Deutschland hat das preisbereinigte


Bruttoinlandsprodukt von 2014 bis Mitte


2018 stärker zugenommen, als das Pro-


duktionspotential gewachsen ist; folglich


entstand eine positive Output-Lücke, die


seither abnimmt. Das nennt man einen


Abschwung – eine Rezession ist erst gege-


ben, wenn das Produktionspotential un-


terschritten wird. Dazu müsste die aktuel-


le Schwächephase bis weit in das Jahr


2020 anhalten oder sich die Schrump-


fung deutlich verstärken. Auch der Ar-


beitsmarkt müsste dann spürbar zur


Schwäche neigen.


DR. JÜRGEN PFISTER, WARNEMÜNDE


Diebstahl an der Gesellschaft


Zu „Tüten-Tamtam“ von Heike Göbel


(F.A.Z. vom 7. September): Wie die meis-


ten Beiträge von Heike Göbel trifft auch


dieser Kommentar wieder voll ins Schwar-


ze. Verbote sind harte Zeichen einer Akti-


vität: Ich habe etwas unternommen, im


Zweifel etwas zur Rettung der Welt.


Wenn es nicht so traurig wäre, müsste


man lachen. Die meisten Wähler wenden


sich gerade deswegen von der SPD und zu-


nehmend von der CDU ab. Das ist die


Quittung für die Symbolpolitik, die nur


an Symptomen doktert.


Die Frage an die Frau Umweltministe-


rin Schulze sei erlaubt: Wie kann es sein,


dass meine Plastiktüte im Pazifik


schwimmt? Kommt es nicht durch die


staatlich gelenkte und geförderte Politik


mit dem Grünen Punkt? In der blauen


Tonne werden Verpackungen und Plastik-


tüten gesammelt und dann für ordentlich


Knete nach Afrika und Südostasien expor-


tiert und dort nach menschenunwürdiger


Sortierung im Atlantik oder Pazifik ent-


sorgt. Warum wird das nicht von Frau Mi-


nisterin verboten? Warum wird das


E10-Benzin weiter staatlich gefördert, ob-


wohl es eine Beimischung von Palmöl ent-


hält? Frau Ministerin könnte das E10-Ben-


zin sogar verbieten, das hätte auf jeden


Fall einen Effekt für den Klimaschutz,


dann müssten nicht Urwälder für Palm-


plantagen gerodet werden, und die Sub-


ventionen für E10 könnten den Entwick-


lungsländern als Ersatz gezahlt werden.


Warum wurden die Glühbirnen verboten,


wo doch die neuen Leuchtkörper in Pro-


duktion und Entsorgung hochgiftig sind?


Und so weiter und so fort. Die Politik


kennt keine Kausalitäten, nur Abnormitä-


ten, die sie selbst durch ihre Gesetze und


Verbote erzeugt hat, und deswegen pro-


duzieren sie ein neues Verbot.


HORST WESTERFELD, FRIEDRICHSDORF


Zum Artikel „Kunde am Gleis allein“


(F.A.Z. vom 29. August) kommt hier ein


kleiner „Erfahrungsbericht“: Auch wir le-


ben in Friedrichstadt mit einem solchen


Regionalbahnhof, der seit über 10 Jahren


kein Personal hat und in dessen Bahnhofs-


gebäude sich seit über 20 Jahren ein grie-


chisches Restaurant befindet. Wir liegen


an der sogenannten Marschbahn von Ham-


burg nach Sylt, und unser Bahnhof hat die


Spezialität, dass die nach Norden und Sü-


den führenden Gleise durch einen be-


schrankten Bahnübergang über die Bun-


desstraße 202 getrennt sind. Weil eine Un-


terführung für Fußgänger fehlt, kann es


passieren, dass bei nicht sehr rechtzeiti-


gem Erscheinen die Schranken schon ge-


schlossen sind und man den Zug verpasst.


Auf dem Bahnsteig des nach Süden füh-


renden Gleises befinden sich weder Fahr-


kartenautomat noch Toiletten. Den Vor-


platz des anderen Gleises ziert ein Auto-


mat, der so „günstig“ aufgestellt ist, dass


sein Display an Sonnentagen nicht lesbar


ist und somit die Fahrkartenwahl nicht er-


folgen kann. Bis vor zwei Jahren gehörte


zu diesem Automaten ein Dach, das ihn


vor Regen schützen sollte. Im Norden gibt


es nun mal Stürme, die sehr heftig an je-


nem Dach rüttelten und es so beschädig-


ten, dass es zur Gefahr für Fahrkarten-


löser zu werden drohte. Die Bitten der Bür-


germeisterin an die DB um eine Reparatur


wurden über ein Jahr lang ignoriert.


Schließlich wurde es der Einfachheit hal-


ber entfernt und nicht ersetzt. Fazit: Nun


auch bei Regen ein unleserliches Display.


Selbst erfahrene Bahnfahrer müssen zum


Kartenlösen Schirm und Geld bereithal-


ten, zum Bedienen des Touchscreens fehlt


leider die dritte Hand. Toiletten gibt es auf


diesem Vorplatz auch, aber sie werden


nachmittags sehr zeitig abgeschlossen.


Über die katastrophalen Zustände bei


der Marschbahn – Zugausfälle, reichliche


Verspätungen, überfüllte, weil verkürzte


Züge und so weiter – soll hier nicht detail-


liert gesprochen werden. Eigentlich lebt


man bei uns kurz vor Husum am wunder-


schönen Ende der Welt, doch was den


DB-Verkehr angeht, ist es ein Trauerspiel.


ULRIKE HANSEN-MAURER, FRIEDRICHSTADT


Zum Leitartikel „Tüten-Tamtam“ von


Heike Göbel in der F.A.Z. vom 7. Septem-


ber. Der hier zutage tretende klimapopu-


listische Aktivismus ist bezeichnend für


die derzeit ziemlich hilflose und orientie-


rungslose Symbolpolitik. Die Klimahyste-


rie treibt die klimapopulistischen Partei-


en vor sich her. Heike Göbel beschreibt


den Sachverhalt am Beispiel dieses Plas-


tiktüten-Verbotes sehr zutreffend. In ei-


nem aber liegt sie nicht ganz richtig. Die


Wirtschaft nämlich lässt sich überwie-


gend opportun mittreiben. Auch die Un-


ternehmen fürchten das mediale „Klima“


und wollen grüne Pluspunkte bei Politik,


Kunden und sogenannten Stakeholdern


sammeln. Das höchst differenzierte Ge-


flecht aus umweltpolitischen Sachfragen


und deren Analyse und Lösungsansätzen


für eine moderne Industriegesellschaft


wird nicht ideologiefrei und sachorien-


tiert genug bearbeitet und kommuni-


ziert. Der verengte medial-dominante


Mainstream aber fordert auch hier eine


gewisse Kampagnen-Solidarität und Op-


fergesinnung. Generell gesprochen: Ideo-


logisierte und ineffiziente Symbolpolitik


dieser Art und ein breites unkritisches


Mitläufertum werden weder der Umwelt


noch unserer internationalen Wettbe-


werbsfähigkeit gerecht.


THOMAS M. ADAM, EISENBERG/PFALZ


Briefe an die Herausgeber


Aufschwung und Rezession


Ideologisierte Symbolpolitik


Quittung für Symbolpolitik


Trauerspiel am schönen Ende der Welt


X


Von den vielen Zuschriften,die uns täglich erreichen


und die uns wertvolle Anregungen für unsere Arbeit


geben, können wir nur einen kleinen Teil veröffent-


lichen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sie Kritik


oder Zustimmung enthalten. Oft müssen wir kürzen,


denn möglichst viele Leser sollen zu Wort kommen.


Wir lesen alle Briefe sorgfältig und beachten sie, auch


wenn wir sie nicht beantworten können.

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