Großbritannien
Hat Boris Johnson
die Queen getäuscht?
Ein Gericht hat die
Zwangspause des britischen
Parlaments für rechtswidrig
erklärt. Der Druck auf
Premier Johnson steigt.
Kerstin Leitel London
D
as Brexit-Chaos in Großbri-
tannien ist noch größer ge-
worden: Am Mittwoch ent-
schied ein schottisches Gericht, dass
die derzeit laufende Zwangspause für
das Parlament „ungesetzlich“ ist. Ob
das bedeutet, dass die Abgeordneten
nun doch wieder auf ihre froschgrü-
nen Sitzbänke im Londoner Palace of
Westminster zurückkehren und wei-
ter debattieren können, soll nun der
Oberste Gerichtshof in London ent-
scheiden. Erst in der Nacht zu Diens-
tag hatten die Abgeordneten – viele
von ihnen unter lautem Protest – den
Sitzungssaal verlassen.
Ende August hatte die Regierung
unter Führung von Premier Boris
Johnson Queen Elizabeth II. gebeten,
das Parlament vorzeitig aufzulösen.
Zur Begründung hatte die Regierung
erklärt, dass sie neue Gesetzesvorha-
ben in anderen Bereichen als dem
Brexit ankündigen wolle. Es ist in
Großbritannien üblich, dass vor der
Einführung eines neuen Regierungs-
programms das Parlament für einige
Wochen suspendiert wird, das ist die
sogenannte „Prorogation“. Die
nächste Sitzungsphase beginnt dann
mit einer „Queen’s Speech“. Diese ist
derzeit für den 14. Oktober geplant.
Die dieses Jahr ungewöhnlich lange
Zwangspause hatten Abgeordnete
aber heftig kritisiert. Sie sind der Mei-
nung, dass die Regierung sie mit der
Prorogation von der Arbeit abhalten
wolle – schließlich hatte das Par -
lament der Regierung einige Vor-
schriften bei der Umsetzung ihres
Brexit-Kurses aufgezwungen. Rund
80 der 650 Abgeordneten hatten in
Edinburgh geklagt – und nun in zwei-
ter Instanz vom höchsten schotti-
schen Zivilgericht recht bekommen.
„Die Erklärung des Premierministers
gegenüber Ihrer Hoheit und die da-
rauf folgende Prorogation ist unge-
setzlich und ist daher null und nich-
tig“, heißt es in der Kurzfassung des
Urteils. Die Prorogation sei „unge-
setzlich, weil sie darauf abzielte, die
Arbeit des Parlaments zu behin-
dern“, befanden die drei Richter. Ab-
geordnete forderten, dass das Parla-
ment sofort wieder einberufen wer-
den müsse. Das kann nur die
Regierung tun – die zunächst keine
derartigen Schritte unternahm.
Vielmehr erklärte sie, „enttäuscht“
von der Entscheidung des Gerichts
zu sein. Der Fall soll an die nächste
und letzte Instanz, den Obersten Ge-
richtshof in London, weitergereicht
werden, am Dienstag sollen die Rich-
ter dort entscheiden.
Auch wenn diese zugunsten der
Regierung urteilen, erhöht dieser
Vorfall den Druck auf Premier John-
son. Schließlich sind viele Schotten
schon lange verärgert, weil sie fin-
den, dass sie in London zu wenig Ge-
hör finden. Würden Londoner Rich-
ter anders urteilen als das oberste
schottische Gericht, würde es den
Unmut verstärken, was die Regie-
rungspartei in der nächsten Wahl in
Schottland schwächen könnte.
Sollten die Londoner Richter sich
aber ihren schottischen Kollegen an-
schließen, hätte das noch weitrei-
chendere Folgen: „Wenn die Regie-
rung die Königin über die Gründe für
die Suspendierung des Parlaments in
die Irre geführt hätte, wäre dies in
der Tat eine sehr ernste Angelegen-
heit“, erklärte der ehemalige konser-
vative Abgeordnete und Ex-General-
staatsanwalt Dominic Grieve. „Mei-
ner Ansicht nach wäre es dann
tatsächlich der Moment für Mister
Johnson zurückzutreten, und zwar
sehr schnell.“
Europäische Union
Die grüne Mission
Klimaschutz ist eines der
Schwerpunktthemen der
künftigen EU-Kommission.
Was auf den Staatenverbund
nun zukommt.
Eva Fischer Brüssel
U
rsula von der Leyen hat den
Klimaschutz zu einem der
wichtigsten Themen ihrer
Amtszeit erklärt. Ihr Arbeitsauftrag
an Frans Timmermans, der als Ers-
ter Executive Vice President feder-
führend für das Thema Klimaschutz
zuständig sein wird, ist eindringlich
formuliert: „Der Schutz unseres Pla-
neten und unserer gemeinsamen
Umwelt ist die entscheidende Aufga-
be unserer Generation“, schrieb von
der Leyen an Timmermans. Und
auch von wirtschaftlich strategischer
Bedeutung: „Diejenigen, die zuerst
und am schnellsten handeln, wer-
den diejenigen sein, die die Chancen
des ökologischen Wandels nutzen.“
Der „European Green Deal“ solle die
EU bis 2050 klimaneutral machen
und zum Markenzeichen Europas
werden.
Timmermans, der schon im Euro-
pawahlkampf Klimaschutz zu einem
seiner Schwerpunktthemen gemacht
hatte, bekommt in seiner neuen Rolle
eine Doppelfunktion: Er bestimmt zu-
sammen mit von der Leyen über die
strategische Ausrichtung und leitet
die Gruppe der Kommissare der kli-
maverwandten Ressorts, wie bei-
spielsweise Landwirtschaft, Verkehr,
Energie oder Kohäsion. Darüber hi-
naus ist er für das Klimaschutz-Portfo-
lio verantwortlich und damit auch für
internationale Klimaschutz-Verträge.
Wie genau der Green Deal ausse-
hen soll, wird die EU-Kommission in
den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit
ausarbeiten. Behandeln soll er Ener-
gienutzung und -produktion, das Er-
schließen privater Investitionen, die
Unterstützung neuer sauberer Tech-
nologien, außerdem Transport, Le-
bensmittel und Verpackungen. 25
Prozent des nächsten EU-Haushalts
sind für Klimamaßnahmen vorgese-
hen. Von der Leyen strebt dabei
nicht nur das Ziel der Klimaneutrali-
tät bis 2050 an, sondern auch die
CO 2 -Reduktion bis 2030 um mindes-
tens 50 Prozent, besser noch 55 Pro-
zent, anstatt der bisher vorgesehe-
nen 40 Prozent. Damit will sie auch
international Druck ausüben.
Hürden für CO 2 -Steuer
„Es ist politisch klug, beim Thema
Klimaschutz aufs Gaspedal zu tre-
ten“, sagt Peter Liese, klimapoliti-
scher Sprecher der EVP-Fraktion im
Europaparlament. Und das gehe laut
dem CDU-Politiker in erster Linie
über die CO 2 -Bepreisung.
Die große Frage dabei: Regelt man
dies über eine CO 2 -Steuer oder über
den Emissionshandel? Timmermans
hatte sich im Wahlkampf als Spit-
zenkandidat der Sozialdemokraten
für eine CO 2 -Steuer ausgesprochen.
Die EVP, größte Fraktion im Europa-
parlament, befürwortet dagegen ei-
ne Ausweitung des Emissionshan-
dels. Dies wäre auch im EU-Rat ein-
facher durchzubekommen: Für das
Vorhaben reicht eine Mehrheit; ei-
ner CO 2 -Steuer müsste dagegen je-
des einzelne Mitgliedsland zustim-
men. Das aktuelle Zertifikatesystem
deckt knapp die Hälfte der derzeit
in der EU entstehenden Treibhaus-
gase ab. Der Transportsektor ist bei-
spielsweise davon ausgenommen,
was die Klimapolitiker aber ändern
wollen.
Ganz oben auf ihrer Liste steht au-
ßerdem eine stärkere Belastung des
Luftverkehrs: Bislang müssen die
Flugunternehmen nur für 15 Prozent
ihrer Emissionen Zertifikate kaufen.
Dies soll zukünftig für 100 Prozent
gelten. „Das sind fünf Milliarden
Euro, die wir beispielsweise dafür
nutzen könnten, Bahnfahren wieder
günstiger zu machen“, sagt Liese.
2050
soll die EU
klimaneutral sein.
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DONNERSTAG, 12. SEPTEMBER 2019, NR. 176^13
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