Handelsblatt - 12.09.2019

(lily) #1
„Wenn wir den Klimaschutz vorantreiben,
wird es Geld kosten – dieses Geld ist gut
eingesetzt. Nichtstun ist nicht die
Alternative.“
Angela Merkel, Bundeskanzlerin

Worte des Tages


Quantencomputer


Fatale


Abhängigkeit


I


BM baut in Deutschland, ge-
nauer gesagt in Bayern, einen
Quantencomputer. Es handelt
sich um die Zukunftstechnologie
schlechthin. Denn Quantencompu-
ter sollen, wenn sie mal störungs-
frei funktionieren, Datenverarbei-
tung in ganz anderen Dimensionen
ermöglichen, als wir sie selbst von
unseren heutigen Supercomputern
kennen.
Die Fraunhofer-Gesellschaft,
Europas führende anwendungsori-
entierte Forschungsorganisation
und aufs Engste mit der Wirtschaft
verbunden, organisiert das Netz-
werk rund um den „Q System One“,
auf dass hiesige Forscher Einblick in
die schöne neue IBM-Quantenwelt
bekommen und unsere Unterneh-
men dort hochkomplexe Rechen-
aufgaben in Auftrag geben können.
Das Konstrukt zeigt jedoch zu-
gleich die fatale Abhängigkeit
Deutschlands von US-amerikani-
schen Tech-Giganten. In der Bun-
desrepublik oder überhaupt in
Europa gibt es kein Unternehmen,
das ein solches Projekt an vorders-
ter Front des technischen Fort-
schritts stemmen könnte. Das illus-
triert auch der Blick ins Saarland,
wo Google mit den Lokalmatadoren
des Forschungszentrums Jülich
ebenfalls an einem Quantencompu-
ter arbeitet. Und es ist ja nicht nur
die Quantentechnologie, sondern
es sind auch die anderen Spitzen-
technologien wie die Künstliche In-
telligenz und die Cloud-Technik, wo
wir auf die ausländischen Giganten
angewiesen sind.
Natürlich muss die Politik alles
tun, damit Deutschland aufholt.
Deshalb sponsert der Bund die
Quantentechnologie insgesamt
auch mit 650 Millionen Euro allein
bis 2022. Kurzfristig sieht auch alles
nach einer Win-win-Situation aus:
IBM kann zeigen, was es kann, hie-
sige Forscher und Firmen profitie-
ren, und das deutsche Recht sichert
die Daten nach unseren strengeren
Standards. Doch IBM wie Google ge-
währen keine Forschungsalmosen;
sie sichern sich den Zugang zum
Markt. Wenn das große Quantenge-
schäft rollt, werden sie damit das
große Geld verdienen – und wir ab-
hängiger sein denn je.


IBM baut in Bayern einen
Quantencomputer – weil es kein
hiesiges Unternehmen kann,
bemerkt Barbara Gillmann.

Die Autorin ist Korrespondentin
im Berliner Büro.
Sie erreichen sie unter:
[email protected]


E

in Austausch von Spitzenpersonal in der
Regierung von Donald Trump folgt stets
demselben Muster. Erst preist der US-
Präsident seine Wahl als beste Entschei-
dung aller Zeiten. Später will er davon
nichts mehr wissen. In Trumps Welt sind Köpfe be-
liebig austauschbar. Der Abgang von John Bolton,
bisher Chef des Nationalen Sicherheitsrats im Wei-
ßen Haus, hat besonders weitreichende Folgen. Mit
dem Nachfolger von Bolton hat Trump dann in sei-
ner ersten Amtszeit vier Sicherheitsberater getestet,
so viele wie keiner seiner Vorgänger. Von einer kon-
stanten Außen- und Sicherheitspolitik kann unter
diesen Umständen keine Rede sein. Boltons Aus-
scheiden ist Symptom einer dysfunktionalen Macht-
zentrale, in der täglich unterschiedliche Interessen
aufeinanderprallen – und in der Trump die Kontrolle
zu verlieren scheint. Anders sind die vielen Personal-
rochaden nicht zu erklären. 51 Abgänge unter
Trump verzeichnen US-Medien, Positionen der zwei-
ten Reihe nicht mitgezählt. Kurz vor der Generalver-
sammlung der Vereinten Nationen in New York Ende
September präsentiert sich das Land mit dem höchs-
ten Verteidigungsetat der Welt ohne funktionieren-
des Sicherheitsteam. Das ist ein beunruhigendes Sig-
nal nicht nur für die USA, sondern auch für den Rest
der Welt.
Glaubt man Trumps öffentlichen Verlautbarungen,
ist die chronische Unruhe in Washington nur Aus-
druck seines Tatendrangs. Und tatsächlich folgt die
Trennung von Bolton einer gewissen Logik, nämlich
der Trump-Logik: Wenn er im kommenden Jahr als
US-Präsident wiedergewählt werden will, wird er er-
neut mit dem Versprechen werben, die USA aus teu-
ren Kriegen herauszuhalten. Boltons Sympathien für
militärische Mittel störten dieses Ziel – auch wenn
Trump sich einst bewusst für den Hardliner ent-
schieden hatte. Jetzt hat er sich eines weiteren Nörg-
lers entledigt und kann freier agieren. Wieder ein-
mal. Der Vorgang entblößt ein Grundproblem, das
stellvertretend für Trumps Regieren steht, auch in-
nenpolitisch.
Oft wird gesagt, Trump sei unberechenbar, doch
bei näherem Hinsehen ist das unpräzise. Vielmehr
scheint der US-Präsident nur einen Modus zu ken-
nen, um Widerstände zu überwinden: Beim Bau ei-
ner Mauer zu Mexiko etwa schichtete er lieber Milli-
arden um, anstatt eine Einwanderungsreform zu er-
arbeiten. Ansonsten konnte Trump in den
vergangenen drei Jahren nur dann Errungenschaften
verbuchen, wenn er ohnehin Rückenwind hatte, wie
bei den Steuersenkungen 2017. Andere große Ent-
scheidungen, die eine Nation prägen, etwa im Waf-

fenrecht, in der Gesundheitspolitik oder der Infra-
struktur, wird es unter Trump nicht geben. Sobald
maximaler Druck nicht mehr funktioniert, gehen
ihm die Optionen aus.
Der Handelskrieg mit China oder mit der Europäi-
schen Union ist ungelöst, die Ratifizierung des nord-
amerikanischen Freihandelsabkommens USMCA
hängt im Kongress fest. Nordkorea rüstet nicht ato-
mar ab, eine Eskalation mit dem Iran ist weiter mög-
lich, und Russland muss nach Versuchen der Wahl-
manipulation in den USA keine Konsequenzen fürch-
ten. Trumps Versprechen, den „Sumpf “ in
Washington auszutrocknen, wirkt angesichts der Tat-
sache, dass Soldaten und Regierungsmitglieder auf
Steuerzahlerkosten in Trump-Hotels übernachten,
hohl. Und dass immer mehr republikanische Abge-
ordnete nicht zur Wiederwahl antreten, zeigt: Große
Teile der Partei haben den Glauben verloren, das Re-
präsentantenhaus zurückzuerobern.
Trump reagiert auf diese Warnsignale, indem er
sie leugnet. Warum sonst twittert er überzogene Be-
liebtheitswerte, von denen niemand weiß, aus wel-
cher Umfrage sie stammen? Oder startet eine Fehde
mit dem treu konservativen TV-Sender Fox, wenn
dieser es wagt, Trump zu kritisieren? Ein souveräner
Präsident, der mit echten Erfolgen brillieren könnte,
hätte derlei Ausbrüche kaum nötig.
Seine Anhänger halten trotzdem weiter zu ihrem
Idol, denn aus ihrer Sicht liefert Trump. Er installiert
konservative Richter, stärkt die Wirtschaft, spricht
Klartext und vermittelt seiner Basis das Gefühl von
Wertschätzung: für Kohle und Stahl, für Veteranen,
Evangelikale, die amerikanische Flagge.
Dabei wird Trump 2020 unter deutlich erschwer-
ten Bedingungen antreten. Die US-Demokraten sind
angestachelt, die Wahlbeteiligung in diesem Lager
wird hoch sein. Zwar hat Trump eine Chance auf ei-
ne zweite Amtszeit, wenn er in einer Handvoll Bun-
desstaaten hauchdünne Siege einfährt wie 2016 ge-
schehen.
Doch der Weg zur Wiederwahl wird schwierig,
weil er sein Fundament leidlich stabilisiert, ohne es
auszubauen. Trumps Radikalisierung der Republika-
ner verfängt nur bei einem Teil der Bevölkerung und
schreckt andere potenzielle Wähler ab, zum Beispiel
moderat-konservative Frauen in den wachsenden
Vorstädten. Auch hier zeigt sich die Unfähigkeit zum
Kompromiss. Trump überwindet sie selbst dann
nicht, wenn es um sein politisches Überleben geht.

Leitartikel


Schein-Erfolge


des Präsidenten


Der US-Präsident
feuert Kritiker
und feiert sich
selbst. Doch viele
vermeintliche
Erfolge sind nur
eine Illusion,
meint Annett
Meiritz.

An zentraler
Stelle scheint
die US-Regie-
rung arbeits-
unfähig, das ist
ein beunruhi -
gendes Signal
für die ganze
Welt.

Die Autorin ist Korrespondentin in Washington.
Sie erreichen sie unter:
[email protected]

Meinung


& Analyse


(^14) DONNERSTAG, 12. SEPTEMBER 2019, NR. 176

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