wurden sie von SPD und Union und eini-
gen Medien als politikunfähige Chaoten
hingestellt, die das Abendland bedrohten.
Später wurde versucht, die »SED-Nach-
folgepartei« PDS und deren Nachfolgerin
Die Linke als unbelehrbare Stasipartei fer-
tigzumachen.
Jedes System reagiert angefasst, wenn
es infrage gestellt wird. Aber es gibt ein
deutsches Spezifikum: Wenn der Angriff
von links kommt, wüten vorrangig die
rechten Parteien, kommt der Angriff von
rechts, wie im Fall der AfD, entsteht im
Abwehrkampf die denkbar größte Koali-
tion von ganz links bis ziemlich weit
rechts.
So treibt die AfD, vor allem ihr völ -
kischer »Flügel« wie jetzt in Sachsen, die
anderen Parteien in Regierungsbündnisse,
die weder die Parteien selbst noch die
Wähler wirklich wollen. Die ungewohnte
Parteienallianz wird als »unglaubliche
Politisierung« gefeiert, wie es Grünenchef
Robert Habeck in der Talkshow »Anne
Will« tat.
Es klingt wie ein großes demokratisches
Fest. Doch blickt man nach Sachsen-An-
halt, wo eine Keniakoalition aus CDU,
SPD und Grünen bereits seit drei Jahren
regiert, registriert man eher die Katerstim-
mung nach dem Fest.
basis in einer Partei aufzubauen, die am
Anfang unter ihrem Gründer Bernd Lucke
tatsächlich den Nimbus einer bürgerlichen
Professorenfraktion trug, muss nur einen
Blogeintrag Kubitscheks lesen. Er erschien
am 13. März 2013, im ersten Lebensmo-
nat der AfD.
Entscheidend sei, so Kubitschek, dass
diese Professoren-AfD mit dem Euro ein
»Türöffner-Thema« angepackt habe. »Un-
sere Themen (Identität, Widerstand, Gen-
der-, Parteien- und Ideologiekritik) kom-
men hintendreingepoltert, wenn wir nur
rasch und konsequent genug den Fuß in
die Tür stellen.«
Es war ein früh angelegter Plan der
feindlichen Übernahme, den Kubitschek
da beschrieb. Es ist kein Zufall, dass ein
völkischer Politiker wie Kalbitz schon
nach wenigen Wochen in die neu gegrün-
dete AfD eintrat, Mitgliedsnummer 573.
Heute ist er neben Gauland der mächtigste
Politiker der Partei.
Dass sich die damals bürgerliche AfD
unter ihrem Gründer Lucke massiv gegen
den Einfluss von Rechtsideologen zur
Wehr setzte, störte Kubitschek nicht: »Sol-
len sie also machen, sollen sie sich ruhig
ein bisschen von uns distanzieren, wenn
es hilft, diese Partei zunächst in der Nähe
der Mitte zu platzieren. Das Volk, das Par-
DER SPIEGEL Nr. 37 / 7. 9. 2019 23
Der Koalitionsvertrag sei in einem sol-
chen Bündnis wichtiger denn je, sagt der
Magdeburger SPD-Wirtschaftsminister Ar-
min Willingmann. »Man muss sehr genau
aufschreiben, was man will.« Der Vertrag
werde zu einer Art Pflichtenheft. Immer
wieder werde er dann auch dafür bemüht,
Projekte abzuwürgen. Dadurch führt die
Keniakoalition eben doch zur Stagnation.
Kenia sei ein reines »Verantwortungs-
bündnis, das auf der Einsicht beruht, dass
man eine rechtsvölkische Partei nicht an
die Macht lassen darf«, sagt der innen -
politische Sprecher der Grünen in Sach-
sen-Anhalt, Sebastian Striegel.
Es gibt diesen breiten Konsens, die AfD
auf keinen Fall an die Macht zu lassen. Der
Berliner Histo riker Per Leo, Autor des Bu-
ches »Mit Rechten reden«, sieht darin den
Kern der Debat te um die Bürgerlichkeit
der AfD. »Das, was über diesen Begriff
verhandelt wird, ist die Koalitionsfähigkeit
der AfD.« Bürgerlich, sagt Leo, stehe für
das nicht Extreme, für Mitte, Maß und
Kompromissfähigkeit, darum müsse man
das Etikett der AfD genauso verweigern
wie das des Konservativen.
Wer verstehen will,wie es den radikal
und völkisch denkenden Mitgliedern der
AfD gelingen konnte, eine solide Macht-
CARSTEN KOALL / GETTY IMAGES
»Flügel«-Mann Kalbitz: Mehr als das halbe Leben im rechtsextremen Milieu