Hashtags und Memes gegen Merkel und
ihre Flüchtlingspolitik fluten.
SPIEGEL:Wie hat man sich das Innenleben
einer Trollarmee vorzustellen?
Ebner:Sie funktioniert wie eine Art Com-
puterspiel. Es gibt Belohnungssysteme,
man kann Punkte sammeln und aufsteigen.
Die Sprache ist pseudomilitärisch, es gibt
klare Hierarchien. Der Oberbefehlshaber
der Reconquista Germanica und andere
höhere Ebenen haben Anweisungen er-
teilt. Und dann sollten die Fußsoldaten zu
einer festen Uhrzeit in den sozialen Netz-
werken bestimmte Hashtags verbreiten,
um den öffentlichen Diskurs zu manipu-
lieren. Zum Beispiel #merkelmussweg.
SPIEGEL:Sie behaupten, Reconquista Ger-
manica habe die Bundestagswahl 2017 be-
einflusst – zugunsten der AfD. Überschät-
zen Sie die Gruppe damit nicht?
Ebner:Es ist natürlich schwierig, ganz genau
aufzuzeigen, ob und in welchem Ausmaß
Onlinetrolle Wahlergebnisse beeinflussen.
Aber längerfristig haben sie der AfD auf je-
den Fall geholfen. Sie haben die Onlinekam-
pagnen der Partei verstärkt und einige ihrer
Hashtags nach vorn katapultiert. Unterm
Strich haben sie für die Themen der AfD
eine höhere Aufmerksamkeit generiert.
SPIEGEL:Pegida ist als Facebook-Gruppe
entstanden, die AfD nutzt soziale Netz-
werke so intensiv wie keine andere Partei.
Ebner:Die Rechten sind allen anderen tat-
sächlich voraus im Nutzen der neuesten
Technologien. Sie haben erkannt, dass die-
se Webangebote für sie ideale Werkzeuge
sind, die wie Radikalisierungsmaschinen
wirken. Einerseits verwenden die Trolle
geschickt die sozialen Medien für die kos-
tenlose Verbreitung und Verstärkung ihrer
Kampagnen. Auf Facebook, Twitter und
YouTube werben sie zudem neue Mitglie-
der für ihre Bewegung. Die Radikalisie-
rung setzt sich in versteckten Kanälen fort,
etwa in selbst programmierten Apps oder
Nischen im Netz, in denen Extremisten
kompletten Freiraum genießen.
SPIEGEL:Welche Nischen meinen Sie?
Ebner:Foren wie 8chan zum Beispiel, das
aus der Gamer-Subkultur entstanden ist.
Die Attentäter von Christchurch und El
Paso zielten mit ihren Morden auch auf
den Applaus innerhalb dieser Gemein-
schaften – und sie haben ihn bekommen.
Die Sicherheitsbehörden haben diese Platt-
formen jahrelang vernachlässigt, weil sie
sich stark auf Kanäle konzentriert haben,
die von IS-Anhängern verwendet wur -
den – und das waren andere. In rechten
Foren waren die Fahnder praktisch blind.
SPIEGEL:8chan ist inzwischen aus dem
Internet gedrängt worden.
Ebner:Ich bin mir sicher, dass die Seite
früher oder später wieder auftaucht. Oder
ein ähnliches Forum. Die Vergangenheit
hat gezeigt, dass es Rechtsextremisten im-
mer wieder schaffen, auszuweichen oder
neue Plattformen aufzubauen. Eine der
schlimmsten Neonaziseiten aus den USA,
der Daily Stormer, war nach den rechtsex-
tremen Krawallen von Charlottesville welt-
weit verbannt, kein Land wollte seine Do-
main in der Adresse dieser Plattform sehen.
Inzwischen ist es den Betreibern gelungen,
Geld für eine private Domain zu sammeln
und wieder online zu gehen.
SPIEGEL:Sollte man auf Verbote verzich-
ten, weil sie sowieso nicht funktionieren?
Ebner:Auf keinen Fall. Es ist richtig, die
Reichweite extremer Foren so klein wie
möglich zu halten. Allerdings müssen die
Behörden genau darauf achten, auf welche
Kanäle rechtsextreme Gefährder auswei-
chen. Wir brauchen eine strenge Beobach-
tung dieser rechten Seiten und Plattfor-
men, insbesondere wenn es um Gewalt -
ankündigungen oder Aufrufe dazu geht.
SPIEGEL:Sie fordern eine ständige Über-
wachung des Netzes?
Ebner:Fünf Minuten vor den tödlichen
Schüssen im US-amerikanischen Poway im
April hatte das FBI einen Anruf bekommen,
dass im Netz ein Angriff auf eine Synagoge
angekündigt werde. Es müsste technische
Monitoringsysteme geben, die solche An-
kündigungen automatisch erkennen, durch
bestimmte Schlüsselwörter. Womöglich
könnte man auch Bilderkennungssoftware
einsetzen, die problematische Posts identi-
fiziert. Der Neuseeland-Attentäter hatte
wenige Tage vor der Tat ein Foto seiner
Waffen in den sozialen Netzwerken geteilt.
Das hätte ein Alarmsignal sein können.
SPIEGEL:In den USA gäbe es vermutlich
einen Aufschrei, wenn Algorithmen Alarm
schlagen, sobald jemand Bilder von Waf-
fen im Netz postet – dort finden sich sogar
massenhaft Kinder mit Knarren.
Ebner:Das ist ein Kernproblem: Wichtige
soziale Medien haben ihren Sitz in den
USA, dort gibt es eine andere Kultur und
eine starke Waffenlobby. Das bedeutet,
dass wir das Problem auf nationaler Ebene
kaum lösen können.
SPIEGEL: Tun die großen Plattformen ge-
nug gegen Hetze im Netz?
Ebner:Sie machen genau so viel, wie von
ihnen verlangt wird, ohne politischen und
öffentlichen Druck passiert dort nichts.
Das muss sich ändern. Die Unternehmen
müssten ihre Algorithmen so anpassen,
dass sie den Inhalten der Extremisten kei-
nen Vorrang mehr geben. Bei YouTube
beispielsweise werden den Nutzern auto-
matisch immer problematischere Inhalte
angeboten. Durch die Empfehlungen fin-
det man sich schnell in zunehmend radi-
kalen Echokammern wieder. Ich glaube
nicht mehr an Selbstverpflichtungen der
Firmen, dergleichen zu bekämpfen. Die
Politik muss hier durchgreifen.
SPIEGEL: Die Bundesregierung ist mit ih-
rem Netzwerkdurchsetzungsgesetz gegen
Hasskriminalität im Internet international
vorgeprescht. Das reicht Ihnen nicht?
Ebner:Nein. Wir brauchen Gesetze, die
tiefer ansetzen, auf der Ebene der Algo-
rithmen und bei der Infrastruktur. Eine
Möglichkeit wäre, koordiniertes Verhalten
von Nutzerkonten in den Blick zu nehmen.
Wenn Trollarmeen bestimmte Hashtags
oder Videos pushen, lässt sich das tech-
nisch feststellen und unterbinden.
SPIEGEL: Schon beim Netzwerkdurchset-
zungsgesetz gab es Vorwürfe, es gefährde
die Meinungsfreiheit. Die Plattformen ha-
ben massiv dagegen lobbyiert. Glauben
Sie wirklich, dass Regierungen einen Al-
gorithmen-TÜV durchsetzen können?
Ebner:Eine vollständige Transparenz wer-
den die Unternehmen nie zulassen, das
würde ihr Geschäftsmodell gefährden.
Man kann und muss sie aber politisch dazu
zwingen, ihre Algorithmen nachweislich
so zu verändern, dass sie keine Gefahr für
demokratische Gesellschaften darstellen.
Denn das tun sie gerade. Im Onlineraum
ermöglichen sie eine komplette Wahrneh-
mungsverzerrung. Sie manipulieren die
digitale Öffentlichkeit.
SPIEGEL: Wer über Trolle schreibt, macht
sich oft auch zu deren Ziel. Sie haben
schon Morddrohungen bekommen – und
Ihren letzten Job verloren. Wie kam das?
Ebner:Ich habe einen bekannten britischen
Rechtsextremen in einem Artikel als das be-
zeichnet, was er ist: als Rassisten. Er stand
dann plötzlich mit einem Kameramann in
dem Büro der Stiftung, für die ich damals
gearbeitet habe – und hat das live gestreamt.
Damit begann eine Hasskampagne gegen
mich und die Organisa tion. Die Morddro-
hungen haben dafür gesorgt, dass das Büro
zeitweise geschlossen werden musste. Es
gab Druck auf die Spender. Mein Boss woll-
te, dass ich meinen Artikel zurücknehme
und mich öffentlich bei dem Extremisten
entschuldige. Als ich mich weigerte, wurde
ich gekündigt. Das war schockierend für
mich, denn es zeigte, was ein einzelner Ex-
tremist heute auslösen, wie viel Druck er
über seine Community aufbauen kann.
SPIEGEL: Eingeschüchtert hat Sie das of-
fenbar nicht. In Ihrem neuen Buch berich-
ten Sie teilweise aus der Mitte der Szene.
Rechnen Sie nicht mit weiteren Angriffen?
Ebner:Dass die Betroffenen nicht begeis-
tert sein werden, ist klar, aber ich bin men-
tal und rechtlich auf alles vorbereitet.
Interview: Marcel Rosenbach,
Wolf Wiedmann-Schmidt
DER SPIEGEL Nr. 37 / 7. 9. 2019 31
Deutschland
»Die Algorithmen der
sozialen Netzwerke sind
eine Gefahr für demokra-
tische Gesellschaften.«