über die Insel laufe, aber am Ende kaum
etwas mitbekomme, da ich ständig die
Kamera vor mir habe? Außerdem finde
ich Fotos langweilig. Ich finde es viel span-
nender, wenn mir jemand erzählt, was er
erlebt hat.
SPIEGEL: Lehnen Sie das moderne Leben
eigentlich ab?
Liebmann:Nein, ich finde es ja schreck-
lich, wenn jemand sagt: Früher war alles
besser.
SPIEGEL: Ihr Buch klingt an einigen Stel-
len aber so.
Liebmann:Echt? Oh. Das ist etwas, was
ich absolut nicht mag. Ich möchte in kei-
nem anderen Zeitalter leben.
SPIEGEL: Die Grundforderung Ihres Bu-
ches ist recht banal: Halte auch mal inne.
Braucht es dafür mehr als 200 Seiten?
Liebmann:Mein Buch soll kein Ratgeber
sein, sondern Leute inspirieren. Ich teile
mit ihnen Geschichten und Gedanken, die
ich mir in den vergangenen 15 Jahren ge-
macht habe.
SPIEGEL: Sie schreiben, dass die pausen-
lose Tätigkeit uns davor schütze, in den
tiefen Abgrund unseres Selbst zu schauen.
Denn wenn dort nichts sei, mache dieser
Anblick Angst. Kennen Sie diese Angst?
Liebmann:Glücklicherweise nicht. Ich bin
behütet aufgewachsen. Ich habe deshalb
wenig Bedarf nach Bestätigung von außen.
SPIEGEL: Das klingt abgeklärt.
Liebmann:Natürlich hatte und habe auch
ich Ängste. Nach der Scheidung von
meiner ersten Frau zum Beispiel. Damals
fürchtete ich mich vor dem Alleinsein.
Ich nahm mir eine Auszeit und blieb drei
Wochen an der Nordsee. Dort habe
ich aufs Meer gestarrt und gegrübelt. Das
war gut.
SPIEGEL: Sie führen eine Not-to-do-Liste.
Dort sammeln Sie alles, was Ihnen aus Ih-
rer Sicht Zeit raubt. Was steht da drauf?
Liebmann: Fernsehen stand lange Zeit
drauf, aber heute habe ich keinen Fern -
seher mehr. Auch Einkaufen steht immer
wieder drauf. Speziell Onlineshopping.
Und ganz oben: Pflichtbesuche. Ich mache
keine Verabredungen mehr, wenn ich kei-
ne Lust drauf habe. Die Qualität von Be-
ziehungen misst sich nicht daran, wie oft
man sich sieht, sondern wie man die Zeit
verbringt.
SPIEGEL: Am Ende des Buches schreiben
Sie, wer faul sei, leiste einen Beitrag zur
Rettung der Welt. Ist das nicht ziemlich
dick aufgetragen?
Liebmann:Natürlich ist das provokativ.
Aber man sollte es zumindest einmal über-
legen. Was, wenn wir merken: Wir brau-
chen nichts, wenn wir nichts tun? Wir kon-
sumieren viel zu viel, größtenteils unnötig.
Ich spiele gerne Gitarre und habe inzwi-
schen 15 Instrumente. Wie viele spiele ich
davon? Drei vielleicht. Die anderen sind
überflüssig. Sie zu kaufen, hätte ich einfach
sein lassen können.
Interview: Christopher Piltz
Mail: [email protected],
Twitter: @chpiltz
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PAOLO MARCHETTI / DER SPIEGEL
Urlauber Liebmann: »Wir lassen uns ständig berieseln«