Der Spiegel - 07.09.2019

(Ron) #1
Tauchverein, mit dem Lime zusammenar-
beitet, holt immer wieder Roller aus der Als-
ter. Intern heißt das, was die Lime- Truppe
macht: »Retrieve and Deploy«, bergen und
stationieren. Wie Soldaten im Krieg.
Der Mietmarkt für E-Scooter wächst,
zwei- bis dreimal so schnell wie das kon-
ventionelle Carsharing, das hat die Bera-
tungsgesellschaft McKinsey errechnet. Im
Jahr 2030, so die Prognose, könnten Mo-
bilitätsdienstleister mit E-Scootern, Elek-
tromopeds und E-Bikes sagenhafte 500 Mil-
liarden Dollar weltweit einnehmen. Der
Optimismus gründet sich auch darauf, dass
E-Scooter in kleinere Städte vordringen
könnten, in denen es kein Carsharing gibt.
Bislang tummeln sich fünf Verleiher auf
dem deutschen Markt. Zwei US-Anbieter:
Lime und Bird. Dazu Voi aus Schweden.
Und zwei Berliner Firmen: Circ und Tier,
zu dessen Investoren Rennfahrer Nico Ros-
berg zählt.
Doch das könnte erst der Anfang sein. In
größeren deutschen Städten führen über ein

Geschäft rentiert sich nur für den, der am
Ende übrig bleibt.
Lawrence Leuschner, 37, Mitgründer
von Tier, ist mit großem Selbstbewusstsein
ausgestattet. Er zählt die Erfolge seiner Fir-
ma auf: »Zwei Millionen Fahrten in sechs
Wochen, in 16 Städten – das ist wahr-
scheinlich eine der stärksten Disruptionen
in der Geschichte der Mobilität.« In acht
Städten arbeitet Tier mit dem öffentlichen
Personennahverkehr zusammen, die Rol-
ler sind etwa über die App des Münchner
MVG oder der Berliner BVG buchbar.
Auf Kritik an E-Scootern reagiert er emp-
findlich. »Man muss aufpassen, dass man
nicht immer nur die Nachteile sucht. Sonst
wären wir noch beim Pferd.« Überhaupt er-
lebe er die Kritik am E-Scooter nirgendwo
»so heftig und einseitig« wie in Deutschland.
Dabei gibt es auch in anderen Ländern
Zoff um die neuen Vehikel. In Spanien,
Frankreich oder Italien. Mailand hat die
E-Scooter im August vorläufig aus der Stadt
verbannt, Anlass waren ein Unfall, bei dem

Wirtschaft

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halbes Dutzend Anbieter Gespräche über
einen möglichen Marktstart. Dott aus den
Niederlanden, Scoota aus Österreich oder
Bolt – benannt nach dem Unternehmens-
gründer, dem einstigen Sprinter Usain Bolt.
Auch die Autokonzerne wittern ein Ge-
schäft. Mit ihrer gemeinsamen Tochter
Hive wollen BMW und Daimler das euro-
päische Verleihgeschäft aufmischen. Volks-
wagen möchte nachziehen.
Allen Unternehmen ist eines gemein:
Sie wollen auf die Straße – und zwar lieber
früher als später. Wer den Markt jetzt nicht
besetzt, hat langfristig keine Chance. So
haben die Unternehmen zwar Risikokapi-
tal ohne Ende – Lime, ein Partner des US-
Fahrdienstleisters Uber, sammelte insge-
samt 765 Millionen Dollar ein. Aber es ist
ein Geschäftsmodell, das deutlich mehr
verschlingt, als es bringt.
In der Anschaffung kostet ein Roller
zwischen 800 und 1000 Dollar. Selbst bei
Leihpreisen von bis zu 25 Cent pro Minute
ist da kaum ein Anbieter profitabel. Das

Öko-Scooter?
CO 2 -Emissionen in Gramm
pro Person und Kilometer*
Quellen: Joseph Hollingsworth,
Brenna Copeland and Jeremiah
Johnson / Environmental Research Letters
* unter Berücksichtigung von Herstellung,
Lebensdauer, Betrieb und Einsammlung
zum Aufladen

Fahrrad 5

E-Bike 25
Dieselbus 51

E-Scooter 126

Pkw 257

Crash-Gefahr
Ergebnisse einer amerikanischen Studie zu Unfällen mit E-Scootern

Kurzstreckenverkehr
Durchschnittlich zurückgelegte Strecke in Kilometern

Quelle: civity, 2019

S-Bahn
Pkw
U-Bahn
Taxi

0,9

1,9


3,4

4,9

5,4

5,8

6,4

8,4

9,5

12,9

Carsharing
Bus

Straßenbahn


Fahrrad
E-Scooter
zu Fuß

53


Prozent der Befragten sehen in
E-Scootern ein Fortbewegungsmittel
zum Vergnügen. Quelle: YouGov

20


Prozent der Befragten halten
E-Scooter für ein umweltfreund-
liches Fortbewegungsmittel.
Quelle: YouGov

4


Monate dauert es schätzungsweise,
bis sich die Anschaffung eines
E-Scooters für den Verleiher lohnt.

5


Fahrten pro Tag sind dabei
nötig, um Anschaffungskosten
von 400 Dollar zu amortisieren*.

Unfallfolgen
Anteil an den gemeldeten Verletzten in Prozent

Verletzungen

(^48) am Kopf
Verletzungen
der oberen Glied-
maßen (Hände,
Arme, Schultern)
70
Knochenbrüche
(ausgenommen Nase,
Finger und Zehen)
35 auf unerlaubten Wegen,
Parkplätzen und in Parkhäusern
12
Unfallorte
Anteile in Prozent
auf der Straße
55
auf dem
Bürgersteig
33
Berechnung: McKinsey



  • unter Berücksichtigung von Gebühren, Versicherung, Reparaturen,
    Kundenservice, Ladekosten, einem Minutenpreis von 15 Cent und einer
    durchschnittlichen Fahrtdauer von 18 Minuten.
    Quelle: Dockless Electric Scooter-related Injuries Study;



  1. September bis 30. November 2018;
    190 Verletzte infolge von Unfällen mit E-Scootern

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