I
m Februar erhielt Bernhard Mattes
Post aus Wolfsburg. Das Schreiben
war in einem Ton verfasst, den der
Präsident des Automobilverbands VDA
bis dato nicht gewohnt war. Mattes, ein
höflicher Herr Anfang sechzig, wurde da-
rin hart angegangen. In Deutschland sei
ein »Kulturkampf ums Auto entbrannt«,
lautete die Warnung, »und der VDA als
Vertretung der Automobilindustrie muss
diesen Kampf entschlossen annehmen.«
Gerade Mattes als Präsident solle sich
»klar politisch positionieren« und »an die
Spitze der Bewegung für das Auto« stellen.
Absender des Briefs: Herbert Diess,
Chef des Volkswagen-Konzerns. Deutsch-
lands mächtigster Autoboss malte darin
ein düsteres Szenario, sollte der Verband
nicht offensiver auftreten: Diess warnte
vor einer »Verbannung des Autos aus der
Stadt«, vor Verlusten bei Arbeitsplätzen
und Wohlstand. »Deutschland wäre ohne
das Auto nicht das heutige Deutschland«,
schloss Diess seinen Brief, »nicht das
Deutschland, wie wir es kennen, und auf
das die Menschen stolz sind«.
Zwar ist der Konflikt inzwischen beige-
legt, kein Automanager kritisiert Mattes
derzeit öffentlich. Doch das Schreiben des
VW-Chefs dürfte nicht der letzte Angriff
der Autoindustrie auf ihren Verbandsprä-
sidenten gewesen sein. In mancher Kon-
zernzentrale herrscht Unzufriedenheit mit
dem VDA und seiner Führung.
Die Amtszeit des Verbandschefs Mattes
läuft offiziell bis Ende 2020. Schon jetzt
kursiert jedoch der Name eines möglichen
Nachfolgers: Günther Oettinger, 65. Der
CDU-Mann gibt im November seinen Pos-
ten als EU-Kommissar ab und ist politisch
bestens verdrahtet. Hinzu kommt: Aus sei-
ner Zeit als Ministerpräsident Baden-Würt-
tembergs, der Heimat von Bosch, Daimler
und Porsche, kennt er die Autoindustrie.
Schon vor zwei Jahren war Oettinger
als Kandidat für das VDA-Spitzenamt ge-
handelt worden. Als er damals gefragt wur-
de, lehnte er noch ab: Oettinger wollte lie-
ber EU-Kommissar bleiben. Zugleich hat
Oettinger immer wieder angedeutet, dass
er im Anschluss an seine Brüsseler Karrie-
re in der Wirtschaft arbeiten wolle.
Eigentlich hat Oettinger bereits andere
Pläne. Kürzlich hat er eine Beratungsfirma
in Hamburg gegründet. Noch ist er nicht
angesprochen worden. Ein Gespräch mit
dem VDA würde er aber kaum ablehnen.
So oder so müsste sein nächstes Engage-
ment vom Ethikausschuss der EU-Kom-
mission genehmigt werden.
Gegen den CDU-Politiker spricht, dass
seine Ernennung kein Aufbruchsignal für
eine grünere Zukunft wäre. In der Auto -
industrie hat Oettinger jedoch mächtige
Befürworter, die ihn gern in Stellung brin-
gen würden, sollte sich der VDA nicht be-
wegen. Amtsinhaber Mattes halten Kriti-
ker vor, er sei nicht eng genug mit den Ent-
scheidern in Berlin und Brüssel vernetzt.
Gerade jetzt, da die Politik die Klimaziele
verschärfe, brauche die Autoindustrie eine
stärkere Stimme. Es gebe »Defizite in der
politischen Unterstützung«, moniert ein
hochrangiger Automanager. Der einst so
mächtige VDA verkaufe sich unter Wert.
Hinzu kommen Probleme bei der Bran-
chenmesse IAA, die vom Verband organi-
siert wird. Die einst glamouröse Autoshow,
die am Donnerstag in Frankfurt am Main
beginnt, ist nur noch ein Schatten ihrer
selbst. Die Zahl der Aussteller ist seit 2017
um ein Fünftel geschrumpft, wichtige Mar-
ken wie Toyota, Volvo oder Ferrari sind nicht
vertreten. Auch die Besucher bleiben weg.
Doch nicht für alle Fehlentwicklungen
ist Mattes verantwortlich. Die rund 600
VDA-Mitglieder, vom Hersteller Audi bis
zum Zulieferer ZF Friedrichshafen, sind
zum Teil zerstritten. Waren früher alle da-
ran interessiert, möglichst viele Autos mit
Benzin- und Dieselmotor zu verkaufen,
driften die Ziele mittlerweile weit aus -
einander. Während VW auf eine radikale
E-Auto-Wende drängt, warnen viele Zu-
lieferer, ein zu schneller Schwenk zur Elek-
tromobilität koste Jobs. BMW wiederum
liegt im Clinch mit Daimler und VW we-
gen des laufenden EU-Kartellverfahrens.
Als Mattes das Amt im März 2018 über-
nahm, steckte die Branche mitten im Die-
selskandal. In den Städten drohten Fahr-
verbote, das Verhältnis zur Politik war zer-
rüttet. Dass Mattes im Gegensatz zu seinem
Vorgänger, Ex-Verkehrsminister Matthias
Wissmann (CDU), aus der Industrie kam,
werteten viele als Stärke: Als Ex-Deutsch-
landchef von Ford stehe er den Interessen
der Branche näher als der Politik. Vor al-
lem Daimler setzte sich für ihn ein, der
Konzern hält Mattes die Treue.
Noch im Herbst will sich Mattes mit den
Autokonzernen und Zulieferern zusam-
mensetzen, um eine »Mission 2030« zu
entwickeln. Die Branche soll sich endlich
auf eine gemeinsame Position zu Zukunfts-
fragen wie Klimawandel und Digitalisie-
rung verständigen. Auch an seinem Image
feilt der Verband, erstmals sind auf der
IAA Veranstaltungen mit Bürgern und Um-
weltschützern geplant. Der Verband suche
Kontakt »auch zu den schärfsten Kritikern
der Automobilindustrie«, sagt Mattes. Er
möchte ihnen seine Sicht auf Klimaschutz
und nachhaltige Mobilität vermitteln.
Ob das gelingt? Organisationen wie
Greenpeace und Campact haben für kom-
mende Woche eine Großkundgebung mit
Tausenden Demonstranten angekündigt.
Sollte die IAA zum Imagedesaster für die
Autobranche werden, dürften Mattes’ Tage
an der VDA-Spitze gezählt sein.
Simon Hage, Peter Müller
Mail: [email protected]
66 DER SPIEGEL Nr. 37 / 7. 9. 2019
Unter Wert
verkauft
KarrierenIn der Autoindustrie
wächst die Kritik am Chef
des Branchenverbands VDA. Zu
den möglichen Nachfolgern
wird Günther Oettinger gezählt.
WIKTOR DABKOWSKI / ZUMA PRESS / IMAGO IMAGES
EU-Kommissar Oettinger 2018