Der Spiegel - 07.09.2019

(Ron) #1

D


er Bund hat ein Luxusproblem. Er
wird sein Geld nicht los. Jahr für
Jahr bleibt er auf Milliarden Euro
sitzen, die er hätte ausgeben dürfen –
die er aber nicht ausgeben konnte. Im
laufenden Bundeshaushalt türmen sich
die Beträge, die aus den Etats der Vor -
jahre übertragen wurden, auf 19,2 Mil -
liarden Euro, 10 Milliarden mehr als noch



  1. Im Schnitt blieben seitdem Jahr für
    Jahr 2,5 Milliarden Euro in der Leitung
    hängen.
    Diese Geld-Verstopfung könnte von der
    Luxussorge zum realen Problem werden.
    Gerade jetzt, wo die Konjunktur zu lah-
    men beginnt. Da wäre es sinnvoll, dass der
    Bund mehr ausgibt und die Wirtschaft mit
    staatlichen Investitionen anstößt. Die wir-
    ken gleich zweifach segensreich: Zum ei-
    nen stützen sie kurzfristig die Konjunktur,
    wenn Straßen gebaut oder Schienen ver-
    legt werden. Zum anderen erhöhen sie
    langfristig das Wirtschaftswachstum, weil
    über gut ausgebaute Verkehrswege mehr
    Waren schneller zum Kunden kommen
    oder weil ein leistungsfähiges Datennetz
    neue Angebote für Wirtschaft und Ver-
    braucher nutzbar macht.


Der Internationale Währungsfonds (IWF)
fordert ein solches Eingreifen der Bundes-
regierung schon lange, auch heimische For-
schungsinstitute, allen voran das DIW aus
Berlin, propagieren, das Ziel des ausgegli-
chenen Haushalts aufzugeben und auf
Pump für mehr staatliche Investitionen zu
sorgen. Doch würde es etwas bringen, dass
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD)
die Schatulle noch weiter öffnet, wenn der
Staat es nicht einmal schafft, das heute
schon verplante Geld auszugeben? Und
woran liegt das?
Ein großer Teil der übrig gebliebenen
Milliarden stammt aus Investitionsmitteln.
In keinem Jahr seit 2013 schaffte es der
Bund, das dafür bereitstehende Geld kom-
plett auszugeben, wie aus einer Aufstellung
des Bundesfinanzministeriums hervorgeht
(siehe Grafik). Mal blieben, wie 2015, am
Jah resende 0,3 Milliarden Euro übrig, mal
2,1 Milliarden, wie 2017. Insgesamt behielten
die Ministerien 7,8 Milliarden Euro zurück,
die für Investitionen vorgesehen waren.
Je mehr der Bund ausgeben will, desto
mehr bleibt meist auch liegen. 2016 stockte
die Bundesregierung nach erheblicher öf-
fentlicher Kritik den Investitionstopf schlag-

artig um fünf Milliarden Euro auf. Von ins-
gesamt 35 Milliarden Euro blieben am
Ende 1,8 Milliarden Euro ungenutzt.
Im vergangenen Jahr lag die Summe bei
rund 40 Milliarden Euro, ein Niveau, das
auf absehbare Zeit gehalten werden soll.
Wieder blieben 1,7 Milliarden Euro übrig.
Auch aus etlichen Sondertöpfen und
Nebenhaushalten fließt das Geld zu lang-
sam ab. Besonders viele ungenutzte Mil -
liarden schlummern im Geschäftsbereich
von Verkehrsminister Andreas Scheuer,
der auch für die digitale Infrastruktur zu-
ständig ist. Bereits 2015 hatte das Kabinett
eine massive Breitbandförderung beschlos-
sen. 4,5 Milliarden Euro sollten die Kom-
munen erhalten, um Glasfaserkabel für
das ultraschnelle Internet unter die Erde
zu verlegen. Hinzu kommen weitere Mil-
liarden aus der Auktion der 5G-Frequen-
zen, die dem Bund in diesem Jahr noch
einmal 6,6 Milliarden einbrachte.
Aus der übervollen Kasse sind gerade
mal 164 Millionen Euro abgeflossen – we-
niger als zwei Prozent. Das Geld ging viel-
fach nicht für Erdarbeiten drauf, sondern
für Beratungsleistungen. Verantwortlich
für dieses Stocken ist das nach wie vor kom-
plizierte und langwierige Förderverfahren.
Der Ärger fängt beim Antragsformular
an, hört dort aber längst nicht auf. Selbst
wenn der Bund einer Kommune das Geld
bewilligt, kann die oft nicht loslegen: Der
Markt für spezialisierte Tiefbauer für den
Kabelleitungsbau ist leer gefegt – die Prei-
se sind entsprechend hoch.
Hemmend wirkt auch die deutsche Vor-
gaben- und Regulierungswut. Neue Verle-

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Wirtschaft

Geld-Verstopfung


HaushaltJahr für Jahr bleibt der Bund auf Milliarden Euro sitzen,
die er für Investitionen ausgeben will. Die Gründe sind vielfältig, die
Auswirkung ist stets dieselbe: Bei der Wirtschaft kommt zu wenig an.

JULIAN STRATENSCHULTE / PICTURE ALLIANCE / DPA
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