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stoff zu 134 Mark aus dem Berg geholt. Das Kaliwerk
Bischofferode verursachte 1991 einen Jahresverlust von
knapp 20 Millionen Mark, im Jahr darauf waren es sogar
26 Millionen Mark. Damit war Bischofferode der unwirt-
schaftlichste aller ostdeutschen Kalischächte. Zudem be-
stand hier, anders als bei anderen Gruben, ein bergtechni-
sches Risiko durch austretendes Gas; 1973 hatte es einen
Ausbruch von 10 000 Kubikmetern Stickstoff-Kohlen -
wasserstoff-Gemisch gegeben. Dies wird freilich in keiner
Publikation über den Widerstand der Kalikumpel erwähnt.
U
m die MdK-Verluste zu verringern, empfahl der
»Leitungsausschuss«, ein vom Bundesfinanz -
ministerium eingesetztes, unabhängiges Gutach-
tergremium, dem Treuhand-Vorstand bereits im
November 1991, die Produktion in Bischofferode zuguns-
ten anderer ostdeutscher Standorte einzustellen. Erst ein
Jahr später konnte K+S durch die Gewerkschaft Bergbau
und Energie dazu bewegt werden, einer Fusion mit der
MdK zuzustimmen. Je zwei Gruben im Osten und im
Westen wurden geschlossen, wodurch im Westen 1744, im
Osten 1884 Stellen wegfielen – eine, wie die Treuhand-
Spitze fand, »vergleichbare Belastung«.
Unterschlagen wird in den Skandalgeschichten stets,
dass die Bischofferöder Bergleute das Angebot erhielten,
nach der Schließung ihres Schachts Ende 1993 zwei Jahre
lang bei vollen Bezügen von der Treuhand-Tochter »Ge-
sellschaft zur Verwahrung und Verwertung von stillgeleg-
ten Bergwerksbetrieben« weiterbeschäftigt zu werden –
646 der zuletzt 690 Kumpel nahmen es an.
Auch Petra Köpping wärmt die alten Mythen um Bi-
schofferode wieder auf. Besonders ausführlich schildert
sie die angeblichen Vorgänge um einen Betrieb in ihrer
sächsischen Heimat: das Elektrokeramikwerk Margare-
thenhütte in Großdubrau bei Bautzen.
Die Treuhand, schreibt sie, habe »behauptet, alles sei
völlig veraltet und marode«. Die »ehemaligen Ingenieure«
hätten ihr erzählt, »wie nachts die
wichtigsten Betriebsunterlagen und
Porzellan-Rezepturen sowie die
letzten Mitarbeiterlöhne samt
Tresor weggeschleppt und auch die
wichtigsten Maschinen ausgebaut
wurden«. Sie könne »nur wie die
ganze Belegschaft vermuten: Das
geschah zugunsten der Konkur-
renz«. Gemeint ist natürlich: der
westdeutschen Konkurrenz.
Nichts davon stimmt. Anhand
der Treuhand-Akten lässt sich das
tatsächliche Geschehen genau
nachzeichnen.
Die Margarethenhütte war in der
DDR Teil des Kombinats Kerami-
sche Werke Hermsdorf, das 1990 in
die Tridelta AG umgewandelt wur-
de. Das Problem von Groß dubrau
war ausnahmsweise mal nicht eine
von der SED-Planwirtschaft ruinier-
te Fabrik. Vielmehr handelte es sich,
wie die Treuhand feststellte, um
»die modernste Anlage Europas«.
Aber »aufgrund des Wegfalls des
bisherigen Absatzmarktes« in Ost-
europa waren »die Produktionsstät-
ten in Großdubrau überdimensioniert«. Der Betrieb, erläu-
terte die ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Maria
Michalk, die in den Siebzigerjahren dort gearbeitet hatte,
sei von den sozialistischen Planern »regelrecht kaputtinves-
tiert« worden; »in der vollzogenen Größenordnung« seien
die Investitionen »ökonomischer Unfug« gewesen.
»Zur Anpassung der Kapazitäten an die Marktbedin-
gungen« beschloss der Tridelta-Aufsichtsrat, »die Pro -
duktion von Elektroporzellan auf den Tridelta-Standort
Sonneberg in Thüringen zu konzentrieren«. Bereits im
Dezember 1990 wurde »einvernehmlich mit den Arbeit-
nehmern im Aufsichtsrat und dem Betriebsrat der ›Marga-
rethenhütte‹ die Stilllegung des Betriebs in Großdubrau
beschlossen, da an diesem Standort »eine Produktion
wirtschaftlich nicht vertretbar war«.
Die Entscheidung war eine rein ostdeutsche, getroffen
von einer ostdeutschen Geschäftsführung, im Einverneh-
men mit den ostdeutschen Mitarbeitern und mit Wissen
des Betriebsrats in Großdubrau. Die Treuhand hat an den
Beschlüssen nicht mitgewirkt. Die Maschinen, Rohstoffe,
Geschäftsunterlagen, die gewerblichen Schutzrechte und
das Markenzeichen wurden nach Sonneberg verlagert
und keineswegs, wie Köpping unter Berufung auf damali-
ge Mitarbeiter behauptet, in den Westen verschachert.
Mit diesem Sachverhalt konfrontiert, beharrt Köpping
auf ihrer Darstellung. Sie habe »aufgeschrieben, wie tief
emotional die Geschichte erlebt wurde«. Wahrheit und
Wahrnehmung seien eben oft unterschiedlich. »Aber soll
ich den Leuten sagen: Ihr lügt? Das mache ich nicht.«
Subjektiven Überlieferungen will sie mehr glauben als
Dokumenten. »Es wäre«, meint sie, »ein Fehler, wenn
nun alle in die Archive rennen und beispielsweise die
Treuhand-Akten sichten ... aber keiner sichert Berichte
und Einschätzungen von Zeitzeugen.«
Zeitzeugen, lautet ein oft zitierter Spruch, sind die ärgs-
ten Feinde der Historiker. Obwohl Erinnerungen trügen,
seien sie für die Betroffenen »so wichtig, dass sie sich die-
se und die damit verbundenen Gefühle nicht mehr neh-
CHRISTIANE EISLER / TRANSIT
Mitarbeiter bei Betriebsbesetzung des Edelstahlwerks Freital bei Dresden 1992